Zu Hause eingesperrt

Die ›Fußfessel‹ gilt als Rezept gegen viele Probleme im Strafvollzug. Aber wie lebt es sich eigentlich im elektronisch überwachten Hausarrest?

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Illustration:
Francesco Ciccolella
DATUM Ausgabe Dezember 2021

Monatelang verließ Stefan Moser, der in Wirklichkeit anders heißt, sein Elternhaus kaum – außer für die Arbeit. Jeden Morgen verabschiedete er sich um 6:45 Uhr in Richtung Betrieb, jeden Abend kehrte er um 19:15 Uhr wieder zurück. Wenn er Abwechslung brauchte, begab er sich in den Garten hinter dem Haus, denn Gartenarbeit war ihm erlaubt. Moser sieht mit Ende Dreißig aus wie ein Mann, dem Gartenarbeit liegt. Groß, kräftig, mit etwas schwieligen Händen, die die meiste Zeit ineinander verschränkt vor ihm auf dem Tisch liegen. ›Anfangs war z’haus eingesperrt sein anstrengend. Aber mit der Zeit wurd’s zur Routine‹, sagt er, nachdem wir uns mit einem coronakonformen Fistbump begrüßt haben. Er spricht nicht von den Covid-Lockdowns. Er beschreibt die neun Monate, die er nach der Verurteilung für ein Drogendelikt in elektronisch überwachtem Hausarrest verbracht und eine Fußfessel um den Knöchel getragen hat. Die Fußfessel, das ist ein schwarzes Band mit einem Peilsender, der regelmäßig Funksignale an die Computer der Justiz schickt und so über den Aufenthaltsort des Trägers informiert – 24 Stunden am Tag. In einem Lokal an einer stark befahrenen Kreuzung stellt Moser seinen mitgebrachten Energydrink neben sich ab und beruhigt die Kellnerin mit den Worten, dass er ›eh etwas bestellen wird‹. Während wir auf unseren Kaffee warten, beginnen wir zu reden. Moser beantwortet alle Fragen kurz, knapp, präzise – er verliert kein Wort zu viel.

Moser ist kein Multimillionär, der sich eine angenehme Strafzeit erkauft hat, so wie der elektronisch überwachte Hausarrest oft dargestellt wird. Ein Großteil der Personen mit Fußfessel sind Menschen, die dadurch ihren Job, ihre Wohnung und ihre Kinder behalten und so nicht, wie in der Regelhaft, von der Gesellschaft isoliert werden. 366 Menschen sind in Österreich im Oktober 2021 unter Hausarrest, knapp über vier Prozent der Inhaftierten. Wegen Betrug oder Diebstahl Verurteilte tragen sie am häufigsten. Seit der Hausarrest 2010 in Österreich eingeführt wurde, gilt er als eine der erfolgreichsten Strafmaßnahmen und als ›Allheilmittel‹ für die Probleme des Strafvollzugs, die während Covid verstärkt an die Oberfläche traten: Gefängnisüberpopulation, Strafvollzugskosten und fehlende Resozialisierung. Die Rückfallquote liegt bei Entlassenen aus Haftanstalten bei über 50 Prozent, nach einem Hausarrest sinkt sie um zwei Drittel.

›Die Fußfessel ist halt gut, um wieder ins Leben reinzufinden‹, sagt Moser. Er bemühte sich bereits während seines Prozesses um den Hausarrest, um bei seiner Familie bleiben zu können. Der Hausarrest kann bei einer Strafrestzeit von unter zwölf Monaten auch ›back-door‹, also aus einer Justizanstalt heraus beantragt werden. Das macht aber nur ein Drittel der Antragsteller. Denn erstens ist diese Möglichkeit einigen nicht bewusst. Zweitens fällt es vielen in Haft deutlich schwerer, die zusätzlichen Voraussetzungen zu erfüllen: eine Anstellung und einen festen Wohnort. Moser hatte Glück, seine Eltern gaben ihre schriftliche Einwilligung, und er durfte während des Hausarrests bei ihnen wohnen. Auch beruflich traf er es gut. Seine alte Firma erklärte sich bereit, ihn trotz Fußfessel weiter zu beschäftigen und unterzeichnete die nötigen Papiere. Seinen Kollegen war seine Freiheitsstrafe von da an bewusst. ›Für gewisse Personen war das schon ungewohnt‹, sagt Moser. Probleme machten ihm seine Kollegen aber keine, sie stellten höchstens neugierige Fragen.

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