Zum Abschuss freigegeben
Genese einer ›Kill Notification‹: Wie internationale Bildagenturen versuchen, sich vor manipulierten Fotos zu schützen.
Selbst nachdem Catherine, Fürstin von Wales, Ende März überraschend ihre Krebsdiagnose öffentlich gemacht hat, wirft die Vorgeschichte, die sie zu diesem Schritt veranlasst hatte, noch Fragen auf, die weit über die britische Königsfamilie und ihre Beziehung zur Öffentlichkeit hinausgehen – nämlich wie weit darf ein Bild im journalistischen Kontext bearbeitet werden? Und wer entscheidet das eigentlich?
Zur Erinnerung: Am Morgen des 10. März 2024 postete Kensington Palace ein Foto, auf dem Catherine, umringt von ihren drei Kindern, einen schönen britischen Muttertag wünscht. Das Bild sollte Gerüchte zerstreuen, die entstanden waren, weil sie nach einer Operation nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden war. Stattdessen passierte – möglicherweise angeheizt von einer russischen Desinformationsgruppe – das Gegenteil.
Am Abend versendeten die größten Nachrichten- und Bildagenturen Associated Press (AP), Getty, Reuters, die britische PA Media und die französische Agence France-Presse (AFP) eine sogenannte ›Kill Notification‹. Der Fachausdruck beschreibt die Empfehlung, ein Foto nicht zu publizieren oder wieder zu löschen. Begründet wurde sie mit dem Verdacht, die Quelle hätte das Bild manipuliert. Ein äußerst schwerwiegender Vorwurf an das Königshaus. ›So etwas wird nicht oft ausgeschickt‹, sagt Eric Baradat, stellvertretender Direktor für Foto, Grafik und Dokumentation bei der AFP, der ältesten internationalen Nachrichtenagentur. ›Es passiert, wenn wir beispielsweise einen Fehler bei der Identifizierung machen oder wenn es ein urheberrechtliches Problem gibt, also zum Beispiel der Fotograf ein Foto einer Institution überlässt, aber nicht wusste, dass diese es über uns verbreiten wird. Es ist extrem selten, dass die Bearbeitung eines Fotos der Grund ist‹, so Bardat.
Kurz nachdem die meisten Medien die Fotos in Online-Artikeln publiziert hatten, sahen die Fotoredakteure in London also, dass an dem Foto herumgedoktert worden war, erläutert der Journalist. Mindestens drei Personen – in diesem Fall waren es der Fotoredakteur, der Foto-Chef in Großbritannien und der europaweite Foto-Chef der AFP – sind in die Entscheidung zu einer ›kill notification‹ eingebunden. Die Presseagenturen verlangten gemeinsam eine Erklärung vom Kensington Palace. Als dieser nicht antwortete, beschlossen die Journalisten nach mehreren Stunden Wartezeit den ›photo kill‹.
›Wir begutachten jedes Foto, das wir bekommen, nicht nach Zufallsprinzip oder nur bei Auffälligkeiten. Manche Quellen sind vertrauenswürdiger als andere‹, sagt Baradat. Was er nicht explizit dazusagt: Der Kensington Palace dürfte durch den Vorfall massiv an Vertrauenswürdigkeit eingebüßt haben. Eine Tatsache, die den Royals mutmaßlich rasch bewusst wurde und wohl dazu beitrug, dass Catherine ihre Ende März versandte Videobotschaft dann von der BBC filmen ließ, anstatt noch einmal selbst Hand anzulegen.
Die AFP hat nach dem Durchbruch KI-gestützter Bildbearbeitung im Vorjahr ihre Richtlinien angepasst. Komplett künstlich generierte Bilder fallen aus dem System, berichtet Baradat. Wie man diese herausfiltert? Eine Mischung aus Wissen, Erfahrung und Software. ›Wir können der KI nicht wirklich zu hundert Prozent vertrauen, dass sie KI erkennt‹, sagt der Journalist. ›Unsere Kernaufgabe ist es, die Welt so zu zeigen, wie sie ist. Dafür muss man sich der Gefahren äußerst bewusst sein und sich Kenntnisse über die neuen Tools aneignen‹, betont er. In ihren Leitlinien hält die Agentur zum Thema Bildbearbeitung fest, was alles tabu ist: Ergänzungen oder Löschungen in einem Bild, übermäßige Aufhellung, Abdunkelung oder Unschärfe sowie übermäßige Farbmanipulation. ›Wir arbeiten nach strengen Vorgaben‹, sagt Eric Baradat, ›und das ist nicht nur lebenswichtig für den Fotojournalismus, sondern in weiterer Folge genauso für eine Gesellschaft, die an Pressefreiheit und ihre Rolle als Stütze in einem demokratischen System glaubt.‹ •