2009: ›Ich würde Ihre Gedanken säubern‹
Florian Scheuba trifft Wolfgang Schüssel und befragt ihn zu seiner Biografie ›Offengelegt‹. Ein Gespräch über Karl-Heinz Grasser, Vera Russwurm und selektive Wahrnehmung.
Jörg Haider wollte wieder umdrehen. Es war sechs Tage vor seinem letzten Wahlsonntag im vergangenen September und er war gerade im Stiegenhaus auf dem Weg in die Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung, als er erfuhr, wer im Rahmen eines geplanten Interviews sein Überraschungs-Gesprächspartner sein sollte. Ich.
Nein, mit diesem Scheuba wolle er nicht sprechen. Dem guten Zureden des BZÖ-Pressesprechers Heimo Lepuschitz war es zu verdanken, dass er doch nicht flüchtete, und so kam es zu einer denkwürdigen Unterhaltung, in deren Verlauf der Kärntner Landeshauptmann ungewohnt defensiv agierte (nachzulesen unter anderem auf www.florianscheuba.at). Die Autorisierung des Interviews war ein harter Kampf, zumal Lebensmensch Stefan Petzner auf den Plan trat, der sich beschwerte, warum Haider ausgerechnet mir Rede und Antwort stehen musste, aber das Gesprächsprotokoll wurde von Interventionen nahezu unversehrt abgedruckt.

Hinter der Geschichte
Anscheinend ließ Wolfgang Schüssel damals bei Redaktionen mit der Frage intervenieren, wann denn endlich wer etwas über sein Buch schreibt. Auch bei DATUM. Stefan Kaltenbrunner hatte dann die Idee, mich hinzuschicken, was von der ÖVP tatsächlich akzeptiert wurde. Es war aber bald klar, dass Schüssel falsche Erwartungen an das Interview hatte. Er hoffte auf einen Werbeartikel. Ich habe aber sein Buch tatsächlich gelesen, und mir sind darin einige Sachen aufgefallen. Mein großer Vorteil bei diesem Gespräch war natürlich: Ich bin kein Innenpolitikjournalist, konnte unbefangen fragen und musste nicht nach taktischen Überlegungen handeln. Ich musste nicht befürchten, kein Interview mehr mit Schüssel zu kriegen. Darum konnte das Interview in dieser Form erscheinen. Das klappte auch, weil sich die ÖVP anschließend totstellte. Durch das Nicht-Reagieren bei der Autorisierung wollten sie vermutlich die Veröffentlichung verhindern, wir ließen uns aber nicht aufhalten. Andere Medien wollten das mit mir dann nachmachen, aber bis auf Jörg Haider – der vorher nicht wusste, dass er von mir interviewt wird und in letzter Sekunde noch flüchten wollte, aber von seinem Pressesprecher zurückgehalten wurde – haben alle Politiker ausnahmslos verweigert.
Neben meinen Arbeiten für das Kabarett und andere Medien habe ich für DATUM mehrere Beiträge geschrieben, zuletzt 2021 über politische Satire im ORF.
Florian Scheuba
Bei Wolfgang Schüssel ist es dieser Tage ganz anders gelaufen. Zur Veröffentlichung seiner politischen Biografie ›Offengelegt‹ (Ecowin) erbat sein Verlag ein Interview mit DATUM. Der Wunsch wurde erfüllt und ich als Interviewer auserkoren. Vermutlich, um auf die von Schüssel unlängst in einem Presse-Interview geäußerte Klage – ›Es fragen manche immer die gleichen zehn Fragen, deren Antworten man schon lange kennt. Nach einer gewissen Zeit genügt mir das nicht‹ – zu reagieren. Für den Ex-Kanzler, heute einfacher ÖVP-Abgeordneter, war es also keine Überraschung, als ich in seinem Büro im Palais Epstein erschien. Er empfing mich mit Buttersemmeln und staatstragender Jovialität. Letztere nahm schon während des Gesprächs spürbar ab.
Für die Autorisierung des Interviews war DATUM eine zeitlich großzügig gesetzte Frist zugesagt worden, doch auch eine Woche nach ihrem Verstreichen gab es keine Reaktion des Interviewten – bis es schließlich seitens der Pressestelle des Parlamentsklubs hieß, Schüssel weile in Tibet und sei selbst für sein Büro nicht erreichbar. Das Angebot, das Gespräch trotzdem zu veröffentlichen – unautorisiert – hat DATUM angenommen. Ich wünsche Wolfgang Schüssel, dass er im fernen Osten wieder zu innerer Ruhe und Gelassenheit findet.
In den meisten Rezensionen zu Ihrem Buch taucht der Vorwurf auf, es sei zu wenig selbstkritisch. Das erscheint mir ungerecht, zumal es am Schluss sehr wohl selbstkritisch wird, nämlich mit dem Eingeständnis einer verheerenden Fehleinschätzung: Sie wollten Karl-Heinz Grasser zum Vizekanzler der Republik machen. Andreas Khol (2002 bis 2006 Nationalratspräsident) hat das in letzter Sekunde verhindert. Haben Sie sich bei ihm schon dafür bedankt?
Wolfgang Schüssel: Nein, sicher nicht. Das ist auch nicht die Fehleinschätzung, die ich im Buch beschreibe. Meine Idee wäre gewesen, dass Molterer die Partei übernimmt und Grasser in der Regierungsmannschaft Vizekanzler und Finanzminister wird. Der Parteichef übernimmt sozusagen die Fraktion und kümmert sich noch mehr um die Partei. Ich glaube, diese Konstellation wäre eine interessante Geschichte geworden. Damit hätte Grasser sich auch den Ärger um Julius Meinl V. erspart und manches andere mehr. Ich glaube überhaupt nicht, dass das falsch gewesen wäre.
Meinl hätte er sich erspart, aber die Skandale, die jetzt auffliegen, sind ja schon vorher passiert. Die Buwog-Affäre rund um Meischberger, Hochegger, die Geschäfte mit dem damaligen Buwog-Aufsichtsratsvorsitzenden Ernst Karl Plech …
Das mit dem Herrn Plech ist schon vorher bekannt gewesen. Aber das ist eine Sache, die Grasser selbst rechtfertigen muss. In der Zeit, die ich beurteilen kann, war er sicher einer der besten Finanzminister. Und ich glaube schon, dass ich einen ordentlich geschulten Blick habe.
Der Rechnungshof sagt, dass der Republik Österreich beim Buwog-Verkauf ein großer Schaden entstanden ist.
Nein, das sagt der Rechnungshof nicht. Der Rechnungshof sagt – wie fast bei jeder Geschichte –, dass man mehr herausholen hätte können. Bei so einem Verkauf gibt es Spielregeln. Internationale Ausschreibungen, internationale Bewerbungen mit einer objektiven Bewertung. Ich glaube sogar, die Öffnung der Kuverts mit den Angeboten wurde mittels Kameras überwacht. Natürlich kann man sich immer mehr wünschen, aber das ist alles korrekt abgelaufen.
Sie argumentieren wie ein Ehemann, der trotzig den untadeligen Ruf einer ehemaligen Lebensabschnittspartnerin verteidigt, während die Öffentlichkeit jetzt langsam draufkommt, dass sie als Callgirl gearbeitet hat.
Nicht alles, was humpelt, ist ein Vergleich. Ich habe keine Lebensabschnittspartnerin, sondern eine seit Jahrzehnten mit mir durchs Leben gehende Frau.
Die hab ich nicht gemeint …
Ich bin auch nicht homophil, sodass man den ehemaligen Finanzminister zu meinem Lebensabschnittspartner küren müsste. Ich glaube, Grasser war in diesen sieben Jahren ein ausgezeichneter Finanzminister. Er hat erstmals seit 40 Jahren ein Nulldefizit erreicht und die ÖIAG, die er mit sechs Milliarden Schulden übernommen hat, war am Schluss schuldenfrei.
Und er hat ein Netzwerk der Freunderlwirtschaft aufgezogen, wie jetzt langsam ans Tageslicht kommt.
Die Freunde sind eine Sache. Da muss er sich jetzt auch hinstellen und das rechtfertigen. Aber das ist nicht mein Thema. Ich glaube, dass viele Dinge gerade im Finanzministerium – Stichwort Steuerreform, Stichwort Verwaltungsreform – hervorragend gelaufen sind.
Ich versuche es einmal über den psychologischen Aspekt zu verstehen. Gerade die keuschesten Frauen fallen manchmal auf die dreistesten Heiratsschwindler rein. Sie gelten als hochintelligent – als vernunftgesteuerter Mensch, der sehr rational an alle Dinge herangeht. Woher kommt im Falle Grasser die Faszination für das Halbseidene?
Ich bin kein Halbseidener.
Ich habe Grasser gemeint …
Offensichtlich haben Sie ein Problem mit den Vergleichen. Callgirl, keusch, Lebensabschnittspartner … die Neue Zürcher Zeitung hat eine wunderbare Werbung: ›Sprache ist Arbeit an Gedanken‹. Ich würde Ihre Gedanken säubern von diesen sexuellen oder unter der Gürtellinie liegenden Vergleichen. Und ich habe nicht bloß einen Mitarbeiter oder Partner in der Regierung gehabt, sondern ein Superteam. Ich bin auch niemandem verfallen, sondern war ein sehr kritischer Beobachter meiner Regierungsfraktion und der gesamten Regierung. Bei Grasser hätte manches noch besser sein können, aber in Summe gesehen war er ein wirklich guter Finanzminister. Ich möchte umgekehrt fragen: Warum stoßen sich ausgerechnet jetzt manche an einer Person und stilisieren diese zum unbedingten Buhmann hoch?
Apropos, die von Ihnen geschätzte und erwähnte ›Neue Zürcher Zeitung‹ schrieb vor Kurzem anlässlich Ihrer Buchpräsentation in Zürich, ›bei Schüssel sei eine gewisse Bewunderung für Politiker wie Jörg Haider zu spüren, während jegliche Kritik an der gelegentlich menschenverachtenden Propaganda dieser Politiker ausgeblendet wurde‹. Also doch Faszination für das Halbseidene?
Dass ich den Jörg Haider bewundert hätte, hat mir noch niemand nachgesagt. Es gibt in der Schweiz den Christoph Blocher, der einen ganz bestimmten Flügel in der Schweizer Volkspartei (SVP) abdeckt. Wir haben in Österreich den Jörg Haider gehabt. Die beiden sind in gewisser Weise ähnlich, in anderer Weise wieder völlig verschieden. Christoph Blocher ist ein ehrgeiziger, sturer, charismatischer Typ, der aber sehr stark auf liberales Gedankengut setzt. Jörg Haider hat eine weitaus größere Breite im sozialpolitischen Spektrum gehabt. Blocher hat nie in irgendeiner Weise mit dem Dritten Reich geliebäugelt, Haider hat vor allem in der Frühphase seiner Karriere diese Anklänge gehabt. Bei der Frage, wie man mit solchen Persönlichkeiten umgeht, habe ich meine ehrliche Meinung gesagt: dass Blocher und Haider große Begabungen sind. Das ist ein Unterschied: ob man fasziniert ist von irgendjemandem – und ich bin von wenigen Leuten fasziniert – oder ob man feststellt, dass jemand eine Begabung mitbringt, Leute zu begeistern, Themen durchzusetzen und sie mehrheitsfähig zu machen. Blocher und Haider sind beide letztlich an mangelnder Teamfähigkeit gescheitert. Solche Menschen sind unheimlich gut, wenn sie von Bewunderern umgeben sind. In dem Moment, wo Kritik aufkommt, wo sie andere motivieren müssen, die nicht unbedingt der gleichen Meinung sind, wird es schwierig. Aber es macht überhaupt keinen Sinn, dauernd eine ganze Gruppe oder manche Persönlichkeiten auszugrenzen. Das heißt nicht, dass man mit ihnen zusammenarbeiten muss oder dass man sie faszinierend findet. Aber die Ausgrenzung als solche ist schlecht.
Eine letzte Anmerkung zum Thema Faszination für das Halbseidene. Das einzige Zitat, mit dem Sie es in Ihrer Amtszeit geschafft haben, mich zu schockieren, waren die drei Worte ›Alles Gute, Silvio!‹.
Warum hat Sie das schockiert?
Silvio Berlusconi ist ein rechtskräftig Verurteilter, der in die Politik gegangen ist, um einer Haftstrafe zu entgehen. Dort hat er dann die Gesetze so geändert, dass er nicht ins Gefängnis muss.
Das wissen wir nicht.
Das sind Fakten.
Nein, das ist kein Faktum. Richtig ist, dass Silvio Berlusconi dutzende Verfahren am Laufen hat. Die meisten davon sind niedergeschlagen oder abgelehnt worden. Ich habe das am Kongress der Europäischen Volksparteien in Rom gesagt, wo eine ganze Reihe von Rednern, unter anderem die Deutschen, unserer italienischen Schwesterpartei alles Gute für die Wahl gewünscht hat. Auch ich, und dazu stehe ich auch selbstverständlich. Die Alternative waren damals kommunistisch geführte oder jedenfalls kommunistisch beeinflusste Regierungen – na herzlichen Glückwunsch dazu.
Vielleicht wird Ihre Art von Humor manchmal missverstanden. Im ›Kurier‹-Interview zu Ihrem Buch sagen Sie: ›Ich vermisse meine ehemaligen Mitarbeiter. Auch das Regierungsteam. Das waren alles Giganten.‹ Da dachte ich zuerst: Wen meint er da? Michael Krüger, Elisabeth Sickl, Monika Forstinger, Hiasi Reichhold, Hubert Gorbach et cetera? Aber dann ist mir eingefallen, dass auch Unfähigkeit gigantisch sein kann.
Sie wissen schon, wie Interviews normalerweise laufen? Man redet relativ lang und dann wird von dem Journalisten, der Sie interviewt, eine Kurzfassung produziert. Sie können mir also, wenn Sie mich mit einer durchschnittlichen Intelligenz ausgestattet sehen, zubilligen, dass ich nicht jeden gemeint habe, sondern ›mein Regierungsteam‹ gesagt habe. Explizit habe ich Susanne Riess-Passer (Anm.: FPÖ-Vizekanzlerin von 2000-2003), Karl-Heinz Grasser und Herbert Scheibner (Anm.: FPÖ-Verteidigungsminister von 2000-2003) genannt. Und die halten wirklich jeden Vergleich aus.
Grasser ist ein Gigant?
Der Begriff Gigant ist wahrscheinlich ganz generell übertrieben – das ist etwas, wozu jeder gelegentlich neigt, schmückende Worte einzusetzen. Diese Kritik nehme ich gerne hin. Aber dass die gut waren, das glaube ich wirklich.
Sie schreiben in Ihrem Buch doch selbst: ›Die überforderte Infrastrukturministerin Monika Forstinger wurde durch den Kärntner Nebenerwerbsbauern Mathias Reichhold ersetzt, der jammert: Aber ich habe mir doch gerade einen neuen Traktor gekauft!‹
Dass jemand überfordert ist, ist eine Feststellung – das ist ja nicht beleidigend. Jeder ist gelegentlich überfordert. Auch ich kannte Phasen, wo ich durchaus das Gefühl hatte, jetzt bin ich langsam über der Grenze. Aber der Grundgedanke ist ein anderer: Ein Teil der österreichischen Intelligenz und der Medienlandschaft hat gefunden, diese Regierung ist eine Katastrophe. Als Elisabeth Sickl, eine durchaus einfache Frau, das erste Mal ins Sozialministerium gekommen ist, wurde sie von linken anarchistischen Gruppen durch das Haus gejagt. Da kannte sie noch niemand und niemand wusste, ob diese Frau grenzgenial oder überfordert sein wird. Diesen Schock hat sie nie verkraftet. Und da frag ich mich, ist das korrekt? Ich habe immer noch die Bilder im Kopf, wie 200.000 Leute am Heldenplatz demonstriert haben – okay, Demokratie, das ist ihr gutes Recht. Aber da gab es dieses Transparent: ›Widerstand, Widerstand, Haider, Schüssel an die Wand‹. Und dann finden manche intellektuellen Sprecher nichts dabei, vor solchen Transparenten zu sprechen. Da muss ich ehrlich sagen, das würde ich nie tun.
Bei der Kritik an Ihrer Regierungsmannschaft ging es vor allem um die Entkoppelung von Ministeramt und Qualifikation. Sie haben dann selbst vorgeschlagen, dass Vera Russwurm Ministerin werden soll. Inwieweit wäre sie qualifiziert gewesen?
Gegenfrage: Was qualifiziert Ihrer Meinung nach eine Person für ein Ministeramt?
Kompetenz.
Und wie ist die feststellbar?
Da muss sich jemand in die Materie eingearbeitet haben. Man braucht Fachwissen.
Das testen Sie jetzt wie?
Wenn ich mir einen Minister aussuche, möchte ich das schon vorher wissen.
Wie wollen Sie das machen? Ich frage ja Sie: Sie wollen ja mir eine Frage stellen und ich will den Grund der Frage wissen.
Ich will wissen, wie Sie auf Vera Russwurm kommen!
Sie wissen ja nicht, für welches Amt sie verantwortlich gewesen wäre.
Gesundheitsministerin. Sie hat ja Medizin studiert …
Ach so, und wenn man Medizin studiert hat, ist man nicht qualifiziert? Dann versteht man nichts von Gesundheitspolitik?
Es gibt viele Österreicher, die Medizin studiert haben.
Und die sind alle nicht qualifiziert? Ihrer Meinung nach schließt ein Medizinstudium also aus, dass man Minister wird.
Nein. Die Frage ist, ob das reicht.
Was wollen Sie jetzt zusätzlich? Einen Test, was man weiß?
Nein, aber gesundheitspolitische Visionen zum Beispiel.
Wie wollen Sie das vorher testen? Kommen Sie als Minister auf die Welt? Sie sitzen entspannt da und sagen, die Frau hat zwar ein Medizinstudium, ist aber völlig ungeeignet für ein Ministeramt.
Nein, ich habe nicht gesagt, sie ist völlig ungeeignet. Ich frage Sie, was sie geeignet macht.
Was qualifiziert sie nicht dafür, was stört Sie an der Vera Russwurm? Was disqualifiziert eine gescheite Frau, die sich in den Medien zu diesen Themen geäußert hat, die sich eingearbeitet hat?
Ich will ja wissen, was sie qualifiziert, ich will es positiv formulieren.
Nein, Sie haben noch nichts positiv formuliert. Sie haben bei keinem Einzigen gesagt, der ist gut. Sie haben immer nur negativ formuliert – Sickl, Forstinger, Grasser, jetzt Russwurm, die sind alle nix. Das ist interessant.
Bei Reichhold haben Sie selbst gesagt, dass er sich mehr um seinen Traktor Sorgen gemacht hat.
Das ist ja kein Zitat von mir, das hat der Alexander Purger (Anm.: der Autor des Schüssel-Buchs) gesagt. Reichhold ist ein ehrlicher Mensch. Auch das disqualifiziert einen offensichtlich: Wenn einer ehrlich ist, darf er nix werden.
Von Vera Russwurm ist es nicht weit zur ›Kronen Zeitung‹. Purger schreibt, dass Ihnen deren Herausgeber Hans Dichand angeboten hat, bei einer Änderung des Europakurses der ÖVP würde es eine freundlichere Linie der ›Krone‹ geben. Wie hat sich das abgespielt?
Ich führe kein Tagebuch. Er hat dieses Angebot auch den Vertretern anderer Parteien gemacht, unter anderem dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten. Es ist immer dasselbe. Wer bereit ist, auf einen europakritischen Kurs zu wechseln, hat automatisch eine positivere Berichterstattung. Ich habe das nie gemacht und das Ergebnis kennt man.
Aber wie läuft das ab, ruft Dichand einfach an?
Sicher nicht, aber Sie werden von mir über private Gespräche jetzt genauso wenig hören wie früher. Das waren vertrauliche Gespräche, die Inhalte sind bekannt und das war es.
Eine wesentliche Hilfe für das Verständnis Ihres Buchs scheint mir der Begriff ›selektive Wahrnehmung‹ zu sein. Es gibt ein schönes Beispiel dafür im Bilderteil. Da ist eine Karikatur von Gerhard Haderer abgebildet, wo Sie als Dirigent von Europa dargestellt werden. Was in Ihrem Buch fehlt, ist der zweite Teil der Karikatur, denn das war ein zweigeteiltes Bild. Auf diesem zweiten Bild dreht sich der Dirigent Schüssel um und es ist keiner mehr da. Niemand will sich von ihm dirigieren lassen.
Das zweite kenne ich gar nicht. Diese Karikatur hat er offenbar mehrmals verwendet. Im Trend – oder wo auch immer das war – war es nur dieses Bild. Isoliert.
Im Wirtschaftsmagazin ›Trend‹ waren beide Hälften abgedruckt, ich habe mit Haderer darüber gesprochen.
Was ich gesehen habe, war diese Karikatur. Aber sie ist insofern nicht unwitzig, weil die Zeichnung auch darstellt, wie man sich fühlen könnte, wenn man sechs Monate an der Spitze der EU steht. Das war der Höhepunkt der außenpolitischen Arbeit und wir haben das, wie ich glaube, sehr gut gemacht. Also nicht ich alleine. Das war beinharte Teamarbeit, das kommt auch im Buch sehr gut rüber.
Vielleicht trifft der zweite Teil der Zeichnung auch einen wunden Punkt bei Ihnen: das Thema weltpolitische Bedeutung. In Ihrem Buch kommt eine Anekdote vor, wo Sie dem damaligen US-Präsidenten George Bush anlässlich seines Besuchs in Wien im Juni 2006 erklären, wie er die Iran-Krise lösen soll. Und da steht, Sie hätten zuvor die Bodyguards von Bush vor seiner Suite im Hotel Imperial beiseitegeschoben. Wie sind Sie an denen vorbeigekommen, das müssen doch ziemliche Riegel gewesen sein?
Unterschätzen Sie mich nicht.
Wie haben Sie das gemacht?
Schnell. Punkt.
Wie sind Sie da durchgeflutscht?
Am Besten auf Kniehöhe, auf allen Vieren.
Nicht nur über diese Sache hätte ich gerne noch mehr erfahren. Zum Beispiel hätte mich eine endgültige Klärung der Frühstücksaffäre gefreut. (Anm.: Während einer informellen Frühstücksrunde mit österreichischen Journalisten am Rande des EU-Gipfels in Amsterdam im Sommer 1997 soll Wolfgang Schüssel, damals Außenminister, gemäß den Aussagen mehrerer Anwesender den deutschen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer als ›richtige Sau‹
bezeichnet haben.) Sie schreiben aber dazu nur, dass Sie falsch zitiert wurden. Was haben Sie wirklich gesagt?
Punkt. Punkt. Punkt. Genau das, was ich immer gesagt habe.
Sie sagen, das war falsch, die ›richtige Sau‹ war also eine falsche. Aber Sie sagen nicht, wie es wirklich war.
Darf ich Ihnen eines ganz offen sagen: Dieses Thema ist erledigt und zwischen dem Tietmeyer und mir ausgeredet worden und das war es. Das ist zwölf Jahre her, was soll es?
Ein anderer Punkt …
… aber apropos selektive Wahrnehmung. Es ist wirklich äußerst selektiv, wie Sie wahrnehmen. Das ist ein Pointillismus, der skurril ist. Aus Zeitungszitaten irgendwas herauszufitzeln, wie Sie das tun – glauben Sie wirklich, dass sich Politik so abspielt? Dass ein Kreisky, Vranitzky, Klima, Gusenbauer oder Faymann dasitzen und nachdenken, wie man jetzt dieses und jenes fragen könnte?
Das sind alles Politiker. Ich bin keiner.
Aber Sie sind hoffentlich ein politischer Mensch.
Natürlich, sonst würde es mich nicht so interessieren.
Und da interessieren Sie nicht die politischen Zusammenhänge? Da interessiert Sie nicht, warum etwas war, was auf uns zukommt, warum etwas ist? Da interessieren Sie diese pointillistischen Kletzeleien?
Ist es Ihnen unangenehm?
Nein, ich wundere mich nur.
Das sind Sachen, die mir beim Lesen Ihres Buchs aufgefallen sind.
Das ist schlicht.
Schade, dass Sie das so empfinden.
Ich wollte Ihnen Feedback geben.
Vielleicht kann ich Ihnen auch noch ein wenig Feedback geben: In Ihrem Buch fehlt der Name eines Herrn, in dessen Aufzeichnungen Sie sehr wohl vorkommen und mit dem wir wieder bei unserem Eingangsthema ›halbseiden‹ wären. Und es ist wieder ein Karlheinz, nämlich der Karlheinz Schreiber. Das ist ein wegen Bestechung in Untersuchungshaft sitzender Waffenlobbyist aus Deutschland, der einen Parteispenden-Skandal ausgelöst hat und der gesagt hat: ›Wenn ich ausgeliefert werde, dann habe ich auch einiges über Herrn Schüssel zu erzählen.‹ Es geht da um den Erwerb der Thompson-Hubschrauber für das Bundesheer. Da wurde eine von einer Bewertungskommission im Wirtschaftsministerium getroffene Entscheidung für den bisherigen Bestbieter Ericsson zugunsten der von Schreiber vertretenen Firma Thompson umgedreht. Und Schreiber behauptet, das sei über Sie gelaufen. Wollten Sie das nicht auch klarstellen?
Was soll ich klarstellen? Ich kenne ihn nicht und habe mit ihm nie zu tun gehabt – was er auch gar nicht bestreitet.
In seinen Aufzeichnungen hat man Ihren Namen und Ihre Nummer gefunden.
Es steht die Telefonnummer des Wirtschaftsministeriums in seinem Kalender. Das kann sogar der Herr Scheuba im Telefonbuch nachschauen. Das ist 18 Jahre her und der Wirtschaftsminister – das war damals ich – war nicht für den Kauf, sondern für die Gegengeschäfte zuständig. Ich habe den Schreiber nie gekannt, nie gesehen. Das ist offensichtlich eine reine Schutzbehauptung von ihm.
Aber wie kommt er darauf? Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich wollte eigentlich mit dem DATUM über mein Buch reden und nicht über irgendwas, das irreal ist. Man könnte genauso gut sagen, der Gaddafi hat Sie irgendwann gesehen.
Dann tät mich interessieren, wie er da draufkommt.
Er könnte genauso gut den Scheuba im ORF gesehen haben und sich dann die Nummer des ORF in seinen Kalender geschrieben haben.
Klingt interessant, aber unwahrscheinlich.
Ja, das wäre dieselbe Situation.
Aber der Schreiber sagt …
Keine einzige Frage mit Zusammenhang, kein einziges politisches Thema, das die Zukunft oder die Vergangenheit betrifft, das ist hochinteressant.
Wollen Sie sich die Fragen aussuchen, Herr Doktor Schüssel?
Nein, aber ich darf es ja wohl wenigstens kommentieren.
Wir können auch über Fußball sprechen. Sie sind ja Austrianer, ich Rapidler, das hat man heute vielleicht ein bissl unterschwellig gespürt …
Eigentlich bin ich ja Wackerianer, die gibt’s leider nicht mehr.
Der auch in Ihrem Buch erwähnte Pepi Hickersberger leidet immer noch daran, derjenige zu sein, der gegen die Färöer verloren hat. Sie sind derjenige, der eine Nationalratswahl gegen Alfred Gusenbauer verloren hat. Wie geht es Ihnen damit?
Gut. Denn ich weiß, warum wir verloren haben. Im Jahr 2002 haben wir 900.000 Wähler gewonnen und damit diese Stimmen bleiben, musst du dich in einer ganz bestimmten Art und Weise um sie bemühen. Das haben wir zu wenig gemacht. Wir haben die Hälfte dieser Leihstimmen halten können, aber die andere Hälfte ist weggebröckelt oder ist zu Hause geblieben. Sie sind nicht zur SPÖ gegangen, denn Gusenbauer hat genauso verloren, nur nicht so viel. Er ist seines Sieges sicher nicht froh geworden, was mich persönlich nicht zur Schadenfreude verleitet, weil ich mit ihm immer ganz gut zusammengearbeitet habe. Auch in den schwierigen Zeiten. Politik ist sehr schwierig geworden. Ich glaube, dass die Zuspitzung auf wenige Themen, vor allem auf emotionale Themen, also die Reduktion auf Skandalisierung und Dirty Campaigning, der Politik nicht gut tut. Das haben wir ja gerade gesehen, wie wenig wir über Politik geredet haben in der Zeit, die uns DATUM eigentlich gibt. Da wäre es schön gewesen, über Inhalte zu reden, aber das ist nicht drin. Okay, zur Kenntnis genommen.
Das tut mir leid, dass ich nicht die Fragen gestellt habe, die Sie sich gewünscht haben.
Nein. Sie missverstehen das völlig. Ich dachte mir, dass Sie eigentlich Fragen interessieren müssten, die über den Tag hinausreichen, nicht irgendwas, das vor 18 Jahren passiert ist. Wir sitzen auf einer demografischen Bombe, wir haben ein Sicherheitsproblem, das weithin unterschätzt wird, wir haben enorme wirtschaftliche Ungleichheit auf der Welt. Warum ist es so, dass man über Nachhaltigkeitsprobleme allgemein diskutiert, aber im konkreten Bereich passiert nichts? Warum funktioniert die Integration nicht so gut, wie sie sollte? Das sind die Fragen, die man diskutieren sollte. Das ist mit dem Zeigefinger – du bist schuld, er ist schuld – nicht getan.
Das ist richtig, aber könnte das nicht daran liegen, dass viele politisch Interessierte kein Grundvertrauen mehr in Politiker haben, weil Ihnen Phänomene wie Grasser dieses Vertrauen geraubt haben?
Vertrauen zeichnet sich auch durch ein Grundverständnis aus, dass man sich positiv und konstruktiv am politischen Diskurs beteiligt. Viel zu viel wird die Kritik, das Negative betont. Ich sage nicht, dass wir in meinen sieben Jahren Kanzlerschaft alles richtig gemacht haben, aber einen Vorwurf kann man uns nicht machen: dass wir nicht probiert hätten, viele Dinge in die Wege zu leiten. Jetzt versuchen viele, nur ja keinen Fehler zu machen. Ergebnis: Stillstand. Ich glaube, wir sollten die, die was bewegen wollen, unterstützen, und nicht die, die auf der Defensivseite sind. •