2009: ›Ich würde Ihre Gedanken säubern‹
Florian Scheuba trifft Wolfgang Schüssel und befragt ihn zu seiner Biografie ›Offengelegt‹. Ein Gespräch über Karl-Heinz Grasser, Vera Russwurm und selektive Wahrnehmung.
Jörg Haider wollte wieder umdrehen. Es war sechs Tage vor seinem letzten Wahlsonntag im vergangenen September und er war gerade im Stiegenhaus auf dem Weg in die Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung, als er erfuhr, wer im Rahmen eines geplanten Interviews sein Überraschungs-Gesprächspartner sein sollte. Ich.
Nein, mit diesem Scheuba wolle er nicht sprechen. Dem guten Zureden des BZÖ-Pressesprechers Heimo Lepuschitz war es zu verdanken, dass er doch nicht flüchtete, und so kam es zu einer denkwürdigen Unterhaltung, in deren Verlauf der Kärntner Landeshauptmann ungewohnt defensiv agierte (nachzulesen unter anderem auf www.florianscheuba.at). Die Autorisierung des Interviews war ein harter Kampf, zumal Lebensmensch Stefan Petzner auf den Plan trat, der sich beschwerte, warum Haider ausgerechnet mir Rede und Antwort stehen musste, aber das Gesprächsprotokoll wurde von Interventionen nahezu unversehrt abgedruckt.
Hinter der Geschichte
Anscheinend ließ Wolfgang Schüssel damals bei Redaktionen mit der Frage intervenieren, wann denn endlich wer etwas über sein Buch schreibt. Auch bei DATUM. Stefan Kaltenbrunner hatte dann die Idee, mich hinzuschicken, was von der ÖVP tatsächlich akzeptiert wurde. Es war aber bald klar, dass Schüssel falsche Erwartungen an das Interview hatte. Er hoffte auf einen Werbeartikel. Ich habe aber sein Buch tatsächlich gelesen, und mir sind darin einige Sachen aufgefallen. Mein großer Vorteil bei diesem Gespräch war natürlich: Ich bin kein Innenpolitikjournalist, konnte unbefangen fragen und musste nicht nach taktischen Überlegungen handeln. Ich musste nicht befürchten, kein Interview mehr mit Schüssel zu kriegen. Darum konnte das Interview in dieser Form erscheinen. Das klappte auch, weil sich die ÖVP anschließend totstellte. Durch das Nicht-Reagieren bei der Autorisierung wollten sie vermutlich die Veröffentlichung verhindern, wir ließen uns aber nicht aufhalten. Andere Medien wollten das mit mir dann nachmachen, aber bis auf Jörg Haider – der vorher nicht wusste, dass er von mir interviewt wird und in letzter Sekunde noch flüchten wollte, aber von seinem Pressesprecher zurückgehalten wurde – haben alle Politiker ausnahmslos verweigert.
Neben meinen Arbeiten für das Kabarett und andere Medien habe ich für DATUM mehrere Beiträge geschrieben, zuletzt 2021 über politische Satire im ORF.
Florian Scheuba
Bei Wolfgang Schüssel ist es dieser Tage ganz anders gelaufen. Zur Veröffentlichung seiner politischen Biografie ›Offengelegt‹ (Ecowin) erbat sein Verlag ein Interview mit DATUM. Der Wunsch wurde erfüllt und ich als Interviewer auserkoren. Vermutlich, um auf die von Schüssel unlängst in einem Presse-Interview geäußerte Klage – ›Es fragen manche immer die gleichen zehn Fragen, deren Antworten man schon lange kennt. Nach einer gewissen Zeit genügt mir das nicht‹ – zu reagieren. Für den Ex-Kanzler, heute einfacher ÖVP-Abgeordneter, war es also keine Überraschung, als ich in seinem Büro im Palais Epstein erschien. Er empfing mich mit Buttersemmeln und staatstragender Jovialität. Letztere nahm schon während des Gesprächs spürbar ab.
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