›Alles geht weiter, und ich bin weg?‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit der Sängerin, Autorin und Schauspielerin Erika Pluhar.

DATUM Ausgabe November 2016

Wann war Ihnen bewusst, dass es den Tod gibt?
Tatsächlich ist das eher eine lustige Geschichte: Ich bin 1939 geboren, also mitten im Krieg und ich habe das Sterben um mich herum schon wahrgenommen, aber nicht sehr bewusst. Dann kam die Nachkriegszeit und eines Tages sagte mir meine Mutter, Josef Stalin ist gestorben. Der war damals für mich und generell eine Größe, die nicht wanken durfte. Da habe ich mir gedacht, wenn sogar Stalin sterben kann – dann kann jeder sterben. Stalins Tod hat mir klar gemacht: Alles stirbt.

In Ihrem Leben ist der Tod sehr präsent: Zwei Ihrer Partner sind tot, 1999 starb Ihre damals 37-jährige Tochter.
Das Leben hat mir gut eingeschenkt. Vor allem der Tod meiner Tochter war für mich kaum überlebbar. Da gab es meinen Enkelsohn, der damals nur mich hatte und so musste ich am Leben bleiben. Sonst hätte ich gerne den Tod gewählt, so wie ich mir den Tod vorstelle: als ein Nichts nämlich. So ein Nichts fände ich nicht schlecht. Nach dem Tod meiner Tochter wäre ich gerne in dieses Nichts verschwunden. Nichts mehr zu fühlen, nicht mehr zu sein. Aber ich habe mich ins Leben zurückgelebt. Es war fast bestürzend als ich gemerkt habe, ich lache wieder oder mir schmeckt was gut. Das Leben nimmt einen wieder mit.

Was war anders am Tod Ihrer Tochter als an den anderen Todesfällen?
Der erste Tod, der mich sehr ergriffen hat, war der Tod meines Lebensgefährten Peter Vogel, der sich getötet hat. Er hat oft zu mir gesagt, wollen wir nicht gemeinsam sterben und ich habe immer geantwortet, ich will lieber gemeinsam mit dir leben! Der Vater von Anna, Udo Proksch, war damals im Gefängnis und er war kein guter Vater als sie jung war, nie da, aber später waren sie einander sehr nahe. Sie hat ihn sehr geliebt und sie war für ihn da draußen das Licht. Nach ihrem Tod haben wir noch ein paar sehr tiefe Gespräche geführt. Nach meiner Tochter ist meine Mutter gestorben und mein Vater kurz davor, zu Hause. Er ist richtig entschlafen. Im Kreis der Familie, in seinem Bett, das war ein schöner Abschied. Meine Tochter ist nicht gut gestorben. Wir haben uns in der Früh verbschiedet, ich war im Studio und dann wurde an die Tür geklopft und es hieß, deine Tochter ist gestorben. Sie lag in ihrer Wohnung auf dem Sofa, mit einem sehr zerquälten Gesichtsausdruck. Es war ein Asthmaanfall und Herzversagen. Mein Enkelsohn und ich haben die Zeit danach gemeinsam überlebt. Das war sehr hart. Ihr Tod war für mich unfassbar und ist es immer noch. Eine Zeitlang habe ich wie hinter Glas gelebt. Dass es besser wurde, hat zwei bis drei Jahre gedauert. Ich habe es daran bemerkt, dass mich etwas wieder berühren kann. Wenn man wieder verletzbar ist, ist man auch wieder lebendig. Ich fliege nicht gerne, aber nach Annas Tod konnte im Flugzeug sein, was wollte, ich hatte keine Angst. Wenn das Leben einem wieder wehtun kann, ist man lebendig. Und, wenn man sich wieder freuen kann.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Sterben ist etwas Angsterregendes. Es ist mir unvorstellbar, dass alles weiter existiert, mein Haus, die Bäume, und ich bin tot. Alles geht weiter und ich bin weg? Wenn ich sterben würde, aber weiterhin alles sehen, dann wäre es mir leichter. Es ist unvorstellbar, nicht mehr Betrachter sein zu können. Ich kann mir vorstellen, dass man deswegen auch Dinge erschafft, produktiv ist. Während man Leben erschafft, lebt man.

Weil man etwas hinterlässt?
Nein, das ist mir egal. Mir geht es um das Welten erfinden, um das Tun. Man erschafft Leben. Es muss unglaublich traurig sein, wenn man im Altersheim sitzt, nur fernsieht und weiß, da kommt man nie wieder heraus. Es gibt ein schönes Zitat von Viktor Frankl: ›Denn das Vergangen-Sein ist vielleicht die sicherste Form von Sein.‹ Wenn etwas gewesen ist, dann war es wenigstens sicher.

Sie haben einmal gesagt: ›Ich plädiere dafür, dass dieses Leben das ist, was wir hochhalten sollen.‹ Wie kann man das?
In einem meiner Lieder singe ich, dass das Leben vielleicht doch ein Geschenk ist, auch wenn es einem gar nichts schenkt. Ich betrachte trotz aller Verluste mein Leben als Geschenk. Es gibt auch Wunder! Wissen Sie, wo ich mein Wunder sehe? In meiner Fingerspitze! Diese kleine Fläche durch die jeder eigen ist.

Was macht Ihr Leben lebenswert?
Die Natur. Die Bäume um mein Haus, dass, wenn ich auf dem Hügel gehe, ich die Stadt sehe, die da so schön in einem Dunst liegt als würde sie aus den Weinbergen fließen – ich versuche die Schönheit des Lebens zu sehen, denn die Hässlichkeit des Lebens bedrückt mich sehr. Ich spaziere fast jeden Tag. Aber ich haste nicht, ich wandere, ich lustwandele.

Worüber werden Sie froh sein, dass Sie es in diesem Leben gemacht haben?
Ich bin nicht froh, wie mein mütterliches Leben verlaufen ist. Ich war so gut wie alleinerziehend, ohne Geld. Ich habe meine Tochter immer geliebt und mein Möglichstes getan … froh bin ich darüber, wie ich mit meinem Enkelsohn ihren Tod überstanden haben und wir Seite an Seite waren.

Wie wollen Sie sterben?
Ich habe meine Mutter fast beneidet, als sie so ruhig sterben konnte, inmitten ihrer drei Töchter. Das war ein guter Tod. Ich möchte ohne Qualen und Dahinsiechen sterben. Wie mein Vater. Ohne viele Umstände. (lacht) Vielleicht in meinem Bett, mit allen herum, die ich liebe, um mich zu verabschieden.

Was möchten Sie im Leben noch machen?
Weiterschreiben! Ich möchte nicht verblöden. Und vielleicht noch an den portugiesischen Atlantik. Dort, wo es so einsam ist. Vor einem nur der endlose Atlantik, links und rechts endlos ein Strand. Wenn ich da noch ein paarmal stehen könnte, das wäre schön.

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