Die Zahl der Ein-Personen-Unternehmen steigt rasant. Ein Sozialexperiment mit ungewissem Ausgang.
Eigentlich dachte Susanne M. immer, alles richtig gemacht zu haben: Studium der Elektrotechnik, postuniversitäre Weiterbildungen, um neben dem technischen Wissen auch kaufmännisch auf Vordermann zu kommen. Zwanzig Jahre arbeitete sie sich hoch, bis sie zu Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008 fast ganz oben angekommen war: Als hochbezahlte Qualitätsmanagerin eines Industriekonzerns leitete sie ein Team von drei Leuten, ›über mir war nur noch der Vorstand‹. Heute steht auf Susanne M.s Visitenkarte nicht mehr ›Abteilungsleiterin‹, sondern ›selbstständige Unternehmensberaterin‹. Wegen Einsparungen trennte sich der Konzern von der mittleren Führungsebene, sie verlor ihren Arbeitsplatz. Eine vergleichbare Stelle fand sie nicht mehr, ›um meine Kosten zu decken, blieb mir nur der Weg in die Selbstständigkeit‹.
Susanne M. ist jetzt ein Ein-Personen-Unternehmen. Eine Firma, die keine Mitarbeiter haben darf und mit eigenen Produktionsmitteln arbeiten muss. So wie achtzig Prozent derer, die in den vergangenen Jahren in Österreich ein Unternehmen gegründet haben. Knapp 40.000 Neugründungen hat die Wirtschaftskammer 2016 gezählt, ein Plus von mehr als drei Prozent gegenüber dem Jahr davor und der fünfte Anstieg in Folge. 58,9 Prozent aller Unternehmen in der Wirtschaftskammer sind mittlerweile EPUs, ihre Zahl ist in den vergangenen fünf Jahren um 50.000 auf 290.000 gestiegen. Dazu zählen klassische Freiberufler wie Apotheker, Steuerberater und Rechtsanwälte, sofern sie nicht eine andere Rechtsform wählen und Mitarbeiter anstellen, und viele Kreative. Aber genauso gehören dazu Susanne M., der Lkw-Fahrer und die rumänische Altenpflegerin, alle mit Gewerbeschein. Und eine ständig wachsende dritte Gruppe: die Neuen Selbstständigen, die ohne Gewerbeschein auf Werkvertragsbasis und meist ohne Betriebsvermögen ihre Arbeitsleistung anbieten. Für die letzten beiden Gruppen gilt: Ihr Schritt in die Selbstständigkeit hat auch mit einem Arbeitsmarkt zu tun, der aus den Fugen geraten ist. Und mit einer Politik, die auf die Situation zögerlich reagiert: Wer der eigenen Klientel entspricht, wird bedient, alle anderen negiert.
Dennoch sind die EPUs gekommen, um zu bleiben. Sie werden sich auf das Budget niederschlagen, den Arbeitsmarkt verändern und die Rahmenbedingungen vom Sozialversicherungsrecht bis zur Insolvenzgesetzgebung herausfordern. Sie werden fragen, wie weit sich der Sozialstaat zurückdrängen lässt. Und schlussendlich die Wirtschaft mitgestalten, wenn man es positiv formuliert. Umwälzen passt aber auch.
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