Blick zurück im Zorn
Die Iden des März 2020 werden wir wohl alle noch lange in Erinnerung behalten. Die Bilder von den überfüllten Kliniken in Bergamo, den Staus, die durch die panische Abreise der Urlauber aus Ischgl entstanden, und dann der Pressekonferenz, auf der Sebastian Kurz den ersten Lockdown verkündete. Es war der Beginn von sechs bizarren Wochen der Einigelung, die für viele sehr großen Stress, für andere ebenso große Einsamkeit bedeuteten – für fast alle: ein verstörendes Maß an Unsicherheit.
Der damalige Innenminister und heutige Bundeskanzler Karl Nehammer will nun das inzwischen fast drei Jahre alte Trauma aufarbeiten. ›Eine kritische, schonungslose Analyse ist daher Pflicht und gleichzeitig Voraussetzung, um diese gesellschaftlichen Wunden zu heilen und das Trauma zu bewältigen‹, sagte er Mitte Februar vor ausgewählten Journalistinnen und Journalisten. Eine Kommission soll für Transparenz sorgen, wie Entscheidungen über das Krisenmanagement der Regierung zustande kamen. So weit, so lobenswert, ohne Fehlerkultur kein Fortschritt.
Wer in der Kommission sitzen wird und welche Fragen sie untersuchen soll, hat der Kanzler freilich noch nicht verraten. Das will er erst im Rahmen einer ›Rede zur Zukunft der Nation‹ am 10. März tun. Wer (noch) nicht so viel zu erzählen hat, muss seine Botschaften offenbar gut portionieren. Statt also darzulegen, wie der Aufarbeitungsprozess vonstatten gehen sollen, hat der Kanzler aber schon erklärt, was am Ende dabei herauskommen soll: Er wolle die Hand ausstrecken, ›auch zu all jenen, die sich durch die Pandemie und ihre Folgen nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft willkommen gefühlt haben‹. Für alle, denen trotz Nehammers bemerkenswerter Offenheit noch nicht klar ist, wen die ›kritische, schonungslose Analyse‹ ins Visier nehmen soll, hat er noch ergänzt: ›Wir waren expertenhörig, nun sollen Experten erklären, warum sie zu dieser Entscheidung gekommen sind.‹
Die Chuzpe dieser Aussage muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Sie geht nicht nur lässig darüber hinweg, wer in den letzten drei Jahren für die Beratung zuständig war – und wer nach sorgfältigem Abwägen der Inputs aus verschiedenen Disziplinen die Entscheidungen zu treffen hatte – und auch getroffen hat. Sie ignoriert darüber hinaus die über die Pandemie-Jahre immer lauter gewordenen Klagen vieler involvierter Wissenschaftler, dass ihre Ratschläge zu spät oder mangelhaft umgesetzt oder ganz ignoriert worden seien. Vor allem aber unterschlägt sie, wie es etwa ZIB2-Journalist Martin Thür am Beispiel der Kosten für Tests illustriert hat, dass die Regierung nicht für die Daten gesorgt hat, die für eine seriöse Evaluierung notwendig sind, obwohl auch das die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Krisenstäben immer wieder und wieder gefordert haben.
Die Mitglieder von Nehammers Corona-Kommission werden also sehr viel Integrität, Erfahrung und Geschick brauchen, um unter diesen Vorzeichen etwas anderes als Persilscheine für Politiker zu produzieren. Sollte es ihnen jedoch gelingen, hätten wir gleich noch ein paar Krisen, die es aufzuarbeiten gilt – allen voran Österreichs Reaktion auf den großflächigen russischen Einmarsch in der Ukraine: Wieso steigt der Anteil Russlands an Österreichs Gasimporten wieder an? Wieso muss ein Investigativjournalist wie Christo Grosew hierzulande um sein Leben fürchten? Und wieso haben wir ein Jahr nach der ›Zeitenwende‹ immer noch keine neue Sicherheitsdoktrin?
Mindestens so wichtig, wie sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, die nach wie vor unsere Gegenwart prägt, ist es jedoch, sich der vermeintlichen Zukunft zu widmen, die bereits begonnen hat. Aus diesem Grund sind wir im Schwerpunkt dieser Ausgabe der Frage nachgegangen, wie Künstliche Intelligenz das Lernen und Lehren verändern wird – und haben dabei festgestellt, dass sie das schon längst in viel größerem Ausmaß tut, als uns bewusst war. Aber lesen Sie selbst! •
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit den Seiten der Zeit!
Ihre Elisalex Henckel
elisalex.henckel@datum.at
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