Der Staat sind wir

Nach Jahrhunderten der Unterdrückung und der Ausbeutung haben die Menschen in der Ukraine erstmals das Gefühl, dass der Staat ihnen dient und Leben rettet.

DATUM Ausgabe Februar 2023

Kurz vor Silvester wurde ich in das Hauptamt der Kiewer Streifenpolizei zu einem Konzert eingeladen, das die ukrainischen Musiker, die sich der Polizei in der Anfangsphase der Invasion als Freiwillige angeschlossen hatten, für die Beamten gaben. Bereits während der ersten Kriegstage war ich hier gewesen, um darüber zu berichten, wie sich die Polizisten auf die russische Bedrohung vorbereiteten. Die Abteilung hat ihren Sitz in der Nähe eines der Flughäfen der Stadt, und es bestand die sehr reale Gefahr, dass russische Fallschirmjäger hier landen und in die Hauptstadt eindringen würden. Der Plan des Kremls ging zwar nicht auf, den Flughafen bombardierte er aber trotzdem. 

Einige der Lieder, die an diesem Abend gespielt wurden, waren ein Tribut an die Polizisten, die während des Krieges gestorben sind. Während die Armee kämpft, hat die Polizei die Aufgabe, sich um jeden Notfall zu kümmern: Straßen zu sperren, wenn Bomben einschlagen; dafür zu sorgen, dass die Ausgangssperre nicht gebrochen wird. Wenn das Militär Gebiete befreit, sucht die Polizei nach russischen Sabotage- und Aufklärungsgruppen, bevor Zivilisten zurückkehren, und ermittelt in Kriegsverbrechen. In Städten, die beschossen werden, hilft sie bei der Evakuierung und birgt sogar die Leichen der Getöteten. Während der Belagerung von Mariupol halfen Polizisten den verbliebenen Rettungskräften auch bei der Beseitigung der Trümmer.

Als ich auf der Polizeistation Spielzeug-Handschellen aus Plastik auf einem Weihnachtsbaum sah, konnte ich nicht aufhören, daran zu denken, was ich in den Polizeidienststellen in Balaklija, Isjum und Cherson gesehen hatte – den Städten, die von der russischen Besatzung befreit wurden, unter der sie als Internierungslager dienten. Das Team des ›Reckoning Project‹, das ich leite, dokumentiert alle Arten von Kriegsverbrechen und mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die während der Invasion begangen wurden: Hinrichtungen, Gewaltexzesse, willkürliche Verhaftungen, Deportationen, Bombardierungen der Zivilbevölkerung. Allein unser Team, das aus 20 Reportern besteht, hat bis zu 50 ausführliche Zeugenaussagen von Menschen aufgenommen, die ohne Gerichtsverfahren in einem Dutzend Polizeistationen festgehalten wurden. Ältere Menschen, Teenager und Frauen. Gefangene wurden schwer geschlagen, schlecht ernährt, gedemütigt, mit dem Tod bedroht, mit Elektroschocks und Scheinhinrichtungen gefoltert. 

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