Das Öl der anderen

Warum ist Tunesien nicht für sein hochwertiges Olivenöl bekannt? Ein Lehrstück über Korruption, freie Märkte und die Zollpolitik der Europäischen Union.

DATUM Ausgabe Juli/August 2020

Mabrouks* Gesicht gleicht einem expres­sionistischen Kunstwerk; violette Kleckse vermischen sich mit Schweiß, den die drückende Sonne heute auf seine Stirn treibt. Mit einer Hand umklammert er die schiefe Holzleiter, mit der anderen hält er den gelben Rechen. Er kämmt den Ast behutsam, als wären es seine Haare. Sein Sohn Omar* hält zwei Meter weiter oben, versteckt in der dichten Baumkrone, einen Holzstock in der Hand. Er holt aus, zielt und schlägt wuchtig, fast schon rhythmisch ein, zwei, drei Mal auf die gleiche Stelle. Die blauen Oliven prasseln wie kleine Hagelkörner auf das dunkelgrüne Netz, das um den Baum gespannt ist. Das Knacken des Olivenholzes wird an diesem Wochenende verstummen: Es ist Ende Februar und die Erntezeit bald vorbei. 

Wassila*, eine Frau mit klarem Blick, geht zwei Meter weiter in die Grätsche, sie nimmt eine Handvoll Oliven auf. ›Ich versuche meinem Mann Mabrouk so gut es geht zu helfen‹, sagt Wassila, deren Gesicht tiefe Falten zeichnen. Trotzdem reiche es nicht, um gut über die Runden zu kommen. Das Ehepaar arbeitet mit seiner Tochter und seinen zwei Söhnen seit drei Monaten auf den Feldern südlich von Sfax, einer Großstadt in der Mitte des Landes. Bezahlt wird die Familie nach Jutesäcken, die etwa 50 Kilo fassen. 15 Dinar, das sind ungefähr fünf Euro, kriegen sie für einen hüfthohen Sack. Wenn es gut läuft, geht die fünfköpfige Fa­­milie mit 50 Euro nach Hause. Die Säcke gehen einen anderen Weg: Sie landen nachmittags um fünf auf der Ladefläche eines Lasters. Wo ihre Oliven ge­­presst, in welche Flasche sie abgefüllt werden und wer das daraus gewonnene Olivenöl letztlich konsumiert, interessiert die Familie nicht. Sie sind zum Pflücken hier.

Menschen wie Wassila und ihre Familie strömen in den Erntemonaten – zwischen Oktober und Februar – auf die kilometerlangen Olivenhaine aus. Ihre Heimat, das nordafrikanische Land Tunesien, ist übersät von ihnen; vom mediterranen Norden bis hin zu den trockenen Anfängen der Sahara im Süden des Landes. Die Erntehelfer, die hier in der Peripherie Oliven pflücken, bilden das letzte Glied einer langen und undurchsichtigen Kette. Es ist eine Kette, an der Arbeitsplätze, un­­zählige Mittelsmänner, Hoffnung für viele und Profit für wenige hängen. Sie reicht weit über die europäischen Ufer des Mittelmeers hinaus. Und erstreckt sich über Umwege auch in die Regale mitteleuropäischer Handelsketten; vor denen letztlich wir Konsumenten stehen.

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