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Das Rohr

Die Pipeline TAP soll Gas aus Aserbaidschan in die EU leiten. In Albanien und Griechenland bangen deshalb hunderte Bauern um ihre Existenz.

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Fotografie:
Ilir Tsouko
DATUM Ausgabe November 2018

Es ist ein Donnerstagmorgen im August, der über die Zukunft der Bauern entscheiden soll. Um neun Uhr steht die Sonne im griechischen Kavala schon recht hoch am Himmel. Die 40 Bauern warten im Schatten einiger großgewachsener Walnussbäume. Es herrscht jene aufgeladene Stille, die eintritt, bevor etwas passiert. Eigentlich würden die Bauern jetzt auf ihren Feldern arbeiten, aber heute gibt es Wichtigeres zu tun. Denn ihnen gegenüber stehen an einen alten Trecker gelehnt 15 Arbeiter der Gegenseite. In gelbe und rote Westen gehüllt, Schutzhelme auf dem Kopf, die Spaten bereit, warten sie darauf, ihre Arbeit fortsetzen zu können. Am frühen Morgen hatten die Bauern ihre Arbeit gestoppt und eine Genehmigung gefordert. Eine Genehmigung dafür, dass die Männer Rohre der TAP-Pipeline unter ihre Felder legen. ›Das werden wir nicht zulassen!‹, ruft Themis Kalpakidis, der Vorsitzende der Bauernvereinigung, der jetzt vor dem Eingang des Maisfeldes steht.

Bauern und Arbeiter, sie streiten um etwas, das es noch gar nicht gibt: Die Trans-Adriatische Pipeline, kurz TAP, die Erdgas von einem Gasfeld in Aserbaidschan nach Europa transportieren soll. Was ab 2020 die Energiequellen für die Europäer diversifizieren wird, ist hier, in der Region Kavala, Griechenland, in der schon flimmernden Morgensonne nur noch einen Schritt von einem Handgemenge entfernt. Die Lippen aufeinandergepresst, lehnen Arbeiter und Bauern nun gemeinsam über der Kühlerhaube eines weißen Jeeps. Skeptisch mustern die Bauern die Dokumente, die die Arbeiter darauf ausgebreitet haben. Bis einer der Arbeiter entnervt den Bebauungsplan zusammenfaltet und die Plastikhocker und Messgeräte wieder in die Jeeps wuchtet. Für heute haben die Bauern gewonnen, aber der Kampf um die Pipeline ist damit keineswegs entschieden.

Drei Tage zuvor sitzt der Biogasbauer Themis Kalpakidis in seinem blauen Traktor und zieht lange Bahnen auf einem abgeernteten Feld. Vor ein paar Wochen blühte hier in grellem Gelb der Raps, jetzt bedeckt dunkelbraune Jauche den Boden. ›Seit ich klein bin, bin ich mit aufs Feld gegangen. Das war etwas, das ich wirklich gerne mochte‹, sagt Kalpakidis. ›Wir lieben unser Land und kämpfen gegen die Pipeline, weil wir Angst haben, dass sie unsere Region zerstört.‹ Die Fensterscheiben schirmen ihn vom stechenden Gestank ab. Mit seinem Handrücken wischt er sich die Schweißperlen von der Stirn. Die Finger, die das Lenkrad umgreifen, sind abgenutzt, die Haut rau. Kalpakidis, 51, sonnengegerbtes Gesicht, graue Haare und ebensograue Bartstoppel, öffnet eine Landkarte auf seinem Smartphone. Eine pinkfarbene Linie zieht sich einmal quer über den dunkelgrünen Bildschirm, Kalpakidis würde sie am liebsten ausradieren. Es ist die Route der TAP, eines transnationalen Infrastrukturprojektes, an dem die britischen BP, die staatliche norwegische Statoil und SOCAR, die nationale Ölgesellschaft Aserbaidschans, beteiligt sind. TAP meint also nicht nur die Pipeline selbst, sondern ist auch der Name des Unternehmens, das für den Bau verant­wortlich ist. ›In diesem Kampf geht es uns nicht um persönliche Vorteile, wir tun das für unsere Gemeinschaft, für unsere Kinder‹, sagt der Bauer. Seit fünf Jahren kämpft er nun diesen ungleichen Kampf. Dabei hat er nichts gegen die Pipeline, nur etwas gegen deren Route. Denn die verläuft direkt durch die Felder, die bekannt sind für ihre fruchtbare, moorige Erde und die den Bauern ihre Zukunft sichern. Für diese Felder fühlt sich Themis Kalpakidis als Präsident der Bauernvereinigung verantwortlich – auch wenn seine eigenen Grundstücke außerhalb der geplanten Route liegen. Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage.

517 Kilometer westlich von Kavala, in dem kleinen Dorf Strum im Westen Albaniens, hockt Festim Malka auf seinem Wassermelonenfeld. Mit groben Bewegungen sticht er zuerst einen runden Deckel aus der Melone, dann schneidet er eine Spalte heraus, sodass ihr saftig-rotes Fleisch zum Vorschein kommt. ›Echt Bio, komm her und probier!‹, ruft er mit kratziger Stimme, die selbstgedrehte Zigarette steckt noch zwischen seinen weißen Zähnen. Mit seinen Ledersandalen und der beigefarbenen Caprihose sieht Malka gar nicht so aus, wie man sich einen Bauern vorstellt. Anders als sein griechischer Kollege Themis Kalpakidis hat er den Kampf gegen die Pipeline schon verloren. Seit fast einem Jahr sind ihre Rohre im Boden. Zwei Meter tief verläuft die Pipeline einmal quer durch sein Grundstück. Als die Leute von Abkons, dem albanischen Subunternehmen von TAP, vor zweieinhalb Jahren das erste Mal zu ihm kamen, weigerte er sich zu unterschreiben. Aber dann hätten sie gesagt, dass es Gesetze gebe, mit denen sie ihm die Grundstücke wegnehmen könnten, sie würden dann in Grundstücke der Regierung umgewandelt. Also unterschrieb er doch und bekommt seither 350 Euro Grundstücksmiete – pro Jahr. ›Hätte ich den Sommer über, also drei Monate lang, auf diesem Feld Wassermelonen angepflanzt, dann hätte ich mindestens 2.800 Euro im Jahr verdient‹, sagt Malka. Jetzt aber drohen seine Wassermelonen und Tomaten immer wieder zu ertrinken. Denn wenn es regnet, sammelt sich das Wasser auf seinem Feld und kann nicht mehr abfließen. Schuld daran sei die Drainage, die im Zuge des Pipelinebaus gemacht wurde und die die natürliche Laufrichtung des Wassers ändere. Die Dämme, die er notdürftig errichtet hat, halten den Wassermengen nicht stand. Malka sagt, er habe sich bei den Arbeitern vor Ort beschwert. Ein Anwalt wäre zu teuer und zu weit weg gewesen. Nach Tirana zu fahren, dafür habe er keine Zeit. Dann schiebt er mit einem resignierten Lachen hinterher: ›Außerdem, seit wann kann der kleine Fisch den großen fressen, und das in diesem Land?‹

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Bankwatch, die die Auswirkungen des Pipeline-Baus untersucht hat, sind in Albanien etwa 80 Gemeinden, deren Existenz zu einem großen Teil von Landwirtschaft abhängig ist, von der TAP betroffen. Das Unternehmen TAP weist darauf hin, dass von insgesamt 10.585 Grundstücken, die in Albanien auf der Route der TAP liegen, 22 Prozent, also 2.374, für den Bau enteignet wurden. Dies sei laut TAP das letzte Mittel und werde vor allem dann angewendet, wenn Landbesitzer und -nutzer keine entsprechenden Dokumente nachweisen könnten. Genau wie Malka haben viele Albaner keine offiziellen Urkunden, die ihren Besitz dokumentieren. ›Das Ganze hat meiner Familie, aber nicht mir gehört. Ich baue hier seit 20 Jahren an, aber nun musste ich erst einmal die Papiere fertigmachen, um zu beweisen, dass dies mein Grundstück ist‹, sagt Malka. Die anderen 78 Prozent haben ihr Grundstück an TAP vermietet oder verkauft. So wie Festim Malka am Ende auch.

Mehr als zwei Drittel der Röhren der gesamten TAP-­Strecke sind bereits im Boden, die Bauarbeiten der Pipeline sind fast fertig. Ab 2020 soll sie Erdgas von einem Gasfeld in Aserbaidschan bis nach Italien bringen, von wo aus es über bestehende Gasleitungen in andere europäische Länder fließt. Für Europa bedeutet die Pipeline, die durch Griechenland, Albanien und Italien verläuft, vor allem eines: Etwas mehr Unabhängigkeit vom russischen Gas, das derzeit rund 40 Prozent der europäischen Nachfrage in Höhe von 548 Milliarden Kubikmeter befriedigt. Damit ist der russische Anteil an Europas Gasimporten so hoch wie nie zuvor. In den kommenden Jahren soll die Nachfrage nach Erdgas in der EU weiter steigen, als Brückentechnologie soll Gas Kohle- und Atomkraft auf dem Weg hin zu einer Umstellung auf erneuerbare Energien ersetzen. Um den russischen Anteil daran zu verringern, nimmt die EU einiges in die Hand: Die TAP ist mit geplanten Gesamtkosten von 4,5 Milliarden Euro das aktuell größte und teuerste Infrastrukturprojekt der Europäischen Union. Das sind die Zahlen auf den Folien der Projektmanager. Auf ihrer Strecke von Ost nach West passiert die TAP insgesamt 19.060 Grund­stücke und begegnet 45.000 Landbesitzern. Ein riesiges Energieprojekt also, das für sich reklamiert, im Sinne aller europäischen Bürger zu sein und dabei die Not einer Gruppe von Bauern in Kauf nimmt. Deshalb erzählt der Bau dieser Pipeline eine Geschichte über die Frage: ­In­wiefern dürfen die Interessen der Mehrheit gegen jene einer Minderheit durchgesetzt werden? Und: Wieviel Kollateralschaden darf ein Projekt mit sich bringen, wie muss es damit umgehen? Wer darf letztlich darüber entscheiden?

Wie eine unterirdische Schlange windet sich die TAP auf 870 Kilometern durch abgeschiedene albanische Bergdörfer, dichte Wälder, vorbei an archäologischen Aus­grabungen. Kurz vor Philippi, einer antiken römischen Stadt, die 2016 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde, kommt sie am Fuße des Lekani-Gebirges zum Stehen. Mühsam kämpft sich Lefteris Kotaidis alter Gelände­wagen den Berg hoch, vorbei an orangefarbenen Absperrbändern. Aus dem linken Fenster blickt er in einen vier Meter tiefen Spalt. Oben auf dem Berg stoppt Kotaidis, der die Region als ehemaliger Bürgermeister gut kennt, das Auto. Entlang des Bergrückens frisst die Pipeline eine hellbraune Narbe in den dunkelgrünen Waldteppich. Geht es nach den Bauern, dann würde die Route an dieser Stelle nicht die Berge verlassen, um anschließend hinunter ins Tal zu führen, sondern einfach hier oben bleiben, ohne die Felder der Bauern zu berühren. Kotaidis bückt sich und zeichnet mit einem Stein zwei Linien in den sandigen Boden – eine Route, die der TAP-Betreibergesellschaft ebenfalls vorgeschlagen wurde. ›Es ist die Pflicht von TAP, beide Routen zu untersuchen und die beste zu finden. Aber das haben sie nicht getan. Sie sind gleich bei der geblieben, die sie anfangs vorgeschlagen hatten‹, sagt Kotaidis. Die geotechnische Kammer Griechenlands hat die Route ebenfalls untersucht. Sie weist auf die landwirtschaftlichen Schäden hin, die die aktuelle Route mit sich bringen würde. Lisa Givert von der TAP-AG hingegen schreibt, dass man beide Verläufe untersucht und sich für jene mit den geringsten Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft entschieden habe.

Am Fuße des Lekani-Gebirges, dort, wo die Pipeline den Berg verlassen soll, sitzt der Bauer Spyros Prousaef auf seinem hellgrünen Traktor und schreit sich den Frust aus der Seele: ›Sie werden hier nie vorbeikommen, nur über unsere Leichen!‹ Prousaefs Feld ist das erste auf der elf Kilometer langen Strecke des Widerstandes. 70 Prozent der Land­be­sitzer hier weigern sich, einen Miet- oder Kaufvertrag mit TAP zu unterschreiben. Prousaef, Anfang 40, grünes Polo­shirt, bulliger Typ, war einer der ersten. Nicht nur, dass die schweren Maschinen der TAP die Struktur der Erde zerstören und somit die Bedingungen für den Ackerbau verändern würden, nein, Prousaef wehrt sich auch gegen die Art und Weise, wie sich TAP den Bauern gegenüber verhält. Man habe versucht, sie zu teilen, die einzelnen Bauern mit Geld zu ködern: ›Man hätte sich auch mit uns allen an einen Tisch setzen können, um eine gemeinsame Lösung zu finden.‹

Vertrocknet von der Augustsonne, lassen Prousaefs Sonnenblumen ihre Köpfe hängen. In 25 Tagen wird das Feld abgeerntet, samt Stängel werden sie dann zu Biodiesel verarbeitet. Liegt das Feld erst einmal brach, so seine Angst, werde es für TAP ein Leichtes sein, zu graben. So wie damals, am 6. Oktober 2016, als er einen Anruf von einem Freund erhält, der unbekannte Personen in gelben Westen auf seinem Feld gesehen habe. Kurz darauf steht Prousaef dort 15 Arbeitern gegenüber. Wenig später stehen auch 70 Bauern auf dem Feld. Die Arbeiter hatten bereits eine gerade Ebene vorbereitet und diese mit gelben Pfeilern markiert. Aber Prousaef erzählen sie, dass sie sich verlaufen hätten. Vor fünf Jahren hatte er im Internet eine Karte gefunden. Damals hatte er das erste Mal von der Pipeline erfahren. ›Aber von der Firma habe ich nie etwas gehört.‹ Prousaef behauptet, dass TAP nie auf ihn zugekommen wäre, ihm nie einen Kauf- oder Mietvertrag vorgelegt hätte. Sie hätten kein Recht, sein Feld ohne seine Erlaubnis zu betreten, deshalb hat er sie angezeigt – seit zwei Jahren wartet er nun darauf, dass die Justiz etwas unternimmt. Für Prousaef ist TAP ein Dieb, nur, dass sie statt in sein Haus in sein Feld einbrechen. Ohne dafür von der Justiz bestraft zu werden. Deshalb ist er zu seinem eigenen Sicherheitsmann geworden. Mindes­tens zwei Mal am Tag kommt er auf sein Feld, um zu kontrollieren, ob es jemand unerlaubt betreten hat.

TAP dagegen behauptet, seit 2013 mehrere öffentliche und auch persönliche Treffen durchgeführt zu haben, in denen sie die betroffenen Menschen über ihre Rechte und den Verlauf der Pipeline informiert hätten. Nur in Fällen, in denen eine Einigung nicht zustande gekommen sei, hätte die Firma von ihrem Recht Gebrauch gemacht, das Grundstück auch ohne Zustimmung des Besitzers zu betreten. Recht­liche Grundlage für dieses Vorgehen sei der soge­nann­te ›forced process‹, eine im griechischen Recht verankerte Praxis. Anders als bei einer Enteignung würde der Eigentü­mer laut TAP nicht sein Eigen­tumsrecht verlieren, nach Ab­schluss der Bauarbeiten werde das Grundstück an die recht­mäßigen Eigentümer und Nutzer zurückgegeben. Eine Ent­eignung auf Zeit, sozusagen. Bauer Spyros Prousaef sagt, er habe von diesem Gesetz noch nie etwas gehört.

Soll man aber tatsächlich Rücksicht auf die Interessen von hundert Personen nehmen, wenn es für ganz Europa darum geht, sich energiepolitisch von Russland zu lösen? Wo hört das individuelle Recht zugunsten jenes aller auf? Das Gesetz hat darauf eine klare Antwort: Wenn das öffentliche Wohl betroffen ist, in diesem Fall die Versorgungs­sicherheit durch Erdgas, können Grundrechte wie jenes auf Eigentum oder Natur eingeschränkt werden. Am Anfang eines solchen Prozesses steht eine Güterabwägung. Was ist wichtiger: dass der Bauer sein Geld verdient oder dass das Projekt umgesetzt wird? Auch in Österreich ist dieses Verfahren gängige Praxis. Etwa, wenn eine neue Auto­bahntrasse gelegt wird. Die Demokratie hat eine Lösung für solche Konflikte. Kurz gesagt: Die Mehrheit gewinnt.

Vor allem, wenn es nicht nur um eine Autobahn geht. Mit der TAP gebe es zum ersten Mal eine Pipeline, die Erdgas aus dem kaspischen Raum nach Europa bringt, sagt Kirsten Westphal, Energieexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. ›Man hat damit einen Link in eine inte­ressante Region, nach Turkmenistan, Iran und dem östlichen Mittelmeer, wo große Gasreserven liegen. Das ist geopolitisch bedeutsam.‹ Vor allem, seit Europas eigene Gasreserven abnehmen. Nicht zuletzt seit der Ukrainekrise, in der es zu Gasversorgungsengpässen gekommen war, wird die Abhängigkeit von russischem Gas in Europa zunehmend in Frage gestellt. Mit dem dritten Energiepaket distan­ziert sich die EU zum ersten Mal von Russland. Unter anderem verbietet es dem Betreiber einer Pipeline, gleichzeitig Gaslieferant zu sein. Diese Regelung zielt eindeutig auf den russischen Gasmonopolisten Gazprom, der bisher beide Funktionen ausübte. Man dürfe die Bedeutung der TAP aber auch nicht überbewerten, meint die Energieexpertin: ›Die TAP wird jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Erd­gas nach Europa bringen. Im Vergleich zu Russland, das im vergangenen Jahr 187 Milliarden Kubikmeter geliefert hat, ist das nur ein kleiner Anteil, der aber zur Diversifizierung bei­trägt.‹ Das große Ganze verändere die TAP damit also nicht.

Trotzdem ist die TAP überall: In den Strategiepapieren der EU-Beamten, in Kavala, in den Köpfen der griechischen Bauern und im Boden des Albaners Festim Malka. Zu sehen bekommt man sie aber nur selten. Wer ihr beim Werden zuschauen möchte, muss ins südalbanische Bergland, nach Skrapar fahren. Skrapar ist eine der letzten Regionen Albaniens, in der die Pipeline noch nicht im Boden ist. Neben einem Wohnhaus manövrieren Arbeiter schwarze, etwa vier Meter lange Stahlrohre mit einem Kran in eine vorbereitete Grube. Mit rund eineinhalb Metern Durchmesser sind sie gerade so breit, dass gebückt ein Mensch hindurchgehen kann.

Die Region Skrapar gehört zu den ärmsten Gegenden in Albanien. Isoliert durch schlecht erschlossene Straßen, konnte sie sich nur langsam entwickeln. Elektrizität gibt es in Albanien seit den 70er-Jahren, aber die meisten Menschen hier kochen und heizen mit Gas aus zugekauften Kanistern. ›Dank der TAP hat sich das Leben in unserer Gemeinschaft verändert‹, sagt Krenar Xhaferraj, Direktor für Tourismus und Auslandsbeziehungen, der in einem Café in der Altstadt von Çorovoda, dem Hauptort von Skrapar sitzt. Ein Ort, der inmitten all der Armut unerwartet neu und sauber daherkommt: gepflegter Rasen, neues Pflaster, frisch gepflanzte Bäume, die die neu asphaltierte Straße säumen. Seitdem hier vor vier Jahren begonnen wurde, die Pipeline zu bauen, hat das Konsortium viel Geld in neue Straßen und andere Projekte gesteckt. Nun sollen die Touristen kommen: zum Beispiel zum Raften in die Schlucht von Osum. Das zumindest ist der Plan.

Ein neuer Kindergarten, neue Geräte für das Krankenhaus, Investitionen in Höhe von 60 Millionen Euro, über 1.000 Menschen, die bei TAP einen Job gefunden haben – die Menschen, denen man hier in Skrapar begegnet und nach der TAP fragt, sind dankbar. Der Bau der Pipeline hat ihre Lebensverhältnisse verbessert. Das ist die lokale Sichtweise. Doch was außer den Transitgebühren bringt die TAP Albanien, dem Land, das sich als EU-Beitrittskandidat schwer gegen Brüsseler Interessen stellen kann? Noch ist jedenfalls ungewiss, ob von den TAP-Rohren Gas auch ins albanische Netz eingespeist werden wird. Zurzeit bezieht das Land seinen Strom zu hundert Prozent aus Wasserkraft, die Wetterschwankungen ausgesetzt ist. In Zeiten von Stromarmut muss teuer aus dem Ausland zugekauft werden. Auch deshalb hofft man in der Hauptstadt Tirana neben den Einnahmen aus dem Gastransit auf einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zwischen der Regierung und TAP. Sicher ist dies nicht.

Natasha Ceta jedenfalls hat die Pipeline bislang nur Unglück gebracht. Die schweren Transporter, die eben noch um die Serpentinen bogen, fahren direkt an ihrem Grundstück vorbei und wirbeln den Staub in die Rosen, die in ihrem Garten stehen. Ceta, eine kleine, ängstliche Frau, hockt auf einem der durchgesessenen braunen Stoffsofas auf ihrer Terrasse und knetet ihre Hände. Sie hat Angst, dass TAP ihr das nimmt, was für sie am wertvollsten ist: ihr Haus. 20 Jahre hat Natasha dafür in Griechenland gearbeitet. Genau 20 Meter liegen zwischen ihrem Sofa und der Pipeline. Genug, um sich außerhalb der Sicherheitszone zu befinden, wo laut TAP keine Häuser gebaut werden dürfen, um äußere Einflüsse auf die Pipeline fernzuhalten und Gaslecks zu verhindern. Doch sicher fühlt sich Ceta deshalb nicht. ›Plötzlich fängt der Boden an zu beben, ein acht Meter langer Riss tut sich vor meinem Haus auf. Am Ende wird er es verschlingen. Jede Nacht habe ich diesen Traum‹, sagt sie. Seit drei Jahren. Geld, um sich woanders ein Haus zu kaufen, wollte TAP ihr nicht geben. Erst, wenn ihr Haus tatsächlich Schaden nehmen würde, hätte sie Anspruch darauf. Von drinnen bringt Ceta einen Plastiksack, aus dem sie einen Papierstapel zieht, den sie vor sich auf den Tisch legt. ›Als sie am Anfang hierherkamen, haben sie gesagt, ich solle nun endlich unterschreiben und nicht erst den ganzen Vertrag lesen, weil ich dafür Wochen brauchen würde.‹ Also unterschrieb sie. Hinter dem Haus, im Schatten eines Berges, bleibt Ceta vor einem leeren Acker stehen. ›Das hier war mein Grundstück. Hier standen Olivenbäume, die waren mindestens sechs Jahre alt‹, sagt sie mit brüchiger Stimme. Zwar hat sie dafür eine Entschädigung in Höhe von 170.000 Lek, umgerechnet etwa 1.300 Euro, bekommen, aber das wiegt nicht auf, was sie verloren hat: Als die Mitarbeiter von TAP angefangen haben, die Olivenbäume auszureißen, ist ihr Mann Michal nach Griechenland gefahren. Er konnte nicht mitansehen, wie die Bäume, die er aus Griechenland hergebracht und mit seinen eigenen Händen gepflanzt hatte, in weniger als einem Tag zerstört wurden. Seitdem lebt sie allein. Warum die Pipeline, die ihr Leben so durcheinandergebracht hat, gebaut wird, weiß Ceta nicht. Aber sie weiß, wer davon profitiert: ›Das sind die Europäer. Bei uns hier bleibt das Problem. Wir haben verloren. Ich persönlich jedenfalls.‹

Die protestierenden Bauern von Kavala, sie würden Natasha Ceta sicher zustimmen. An Themis Kalpakidis, dem Vorsitzenden der Bauernvereinigung, geht der Kampf gegen die TAP nicht ohne Spuren vorüber. Dennoch führt er ihn weiter. Als er am 27. Juni in den Gerichtssaal von Kavala geführt wird, taumelt er: Am Tag zuvor hatten Polizisten ihn und sieben weitere Männer vom Feld weg verhaftet, wo sie die TAP-Arbeiter behindert hatten. Aus Protest gegen die leeren Versprechen der Politik und die Untätigkeit der Justiz war er acht Tage zuvor in den Hungerstreik getreten. Im Gerichtssaal bricht er zusammen, das Verfahren wird auf Dezember verschoben, er und seine Mitstreiter freigelassen. Von den Kindern im Dorf wird Themis seit dem Hungerstreik als Held gefeiert, die Bevölkerung steht zu dem Protest. Immer wieder gelingt es den Bauern, mit Sitzblockaden die Grabungen zu stoppen. Auch, weil die Genehmigungen der Baufirma mittlerweile nicht mehr gültig sind und weil die Arbeiter Überreste einer Straße aus der Antike gefunden haben.

Kalpakidis sitzt an seinem Schreibtisch im Büro. Immer wieder klingelt sein Handy. Seit dem Hungerstreik klagt er immer wieder über Bauchschmerzen. Außerdem hat er wieder angefangen zu rauchen. Der Kampf gegen die Pipeline hat tiefe Furchen in seinem Gesicht hinterlassen. ›Ich glaube, das liegt an den Menschen, mit denen ich mich im Zuge dieses Streits immer öfter auseinandersetzen muss. Das sind schwierige, unfreundliche Menschen. Sie haben kein Herz, das färbt auf mich ab.‹ Seine Familie findet, er sei ängstlicher, besorgter geworden.

Was ist die Pipeline nun also, Fluch oder Segen? Auf diese Frage gibt es zwei Antworten, und beide haben ihre Berechtigung. Am Ende ist es nun einmal meist das Anliegen der Minderheit, das im Interesse der Mehrheit geopfert wird. In dieser Geschichte sind das die Bauern, die zum Kollateralschaden der europäischen Energiepolitik werden. Ihre Ängste und Sorgen, sie mögen noch so nachvollziehbar sein – im Vergleich zur Größe des Projektes erscheinen sie Europa vernachlässigbar. Ist es überhaupt möglich, ein Projekt in dieser Größenordnung umzusetzen, ohne dabei auch die legitimen Interessen einiger Menschen zu verletzen? Wenn ja, dann ist es im Fall der TAP jedenfalls nicht gelungen.

Zwischen Strandbar und Menschen in Liegestühlen im albanischen Fier verlässt die Trans-Adriatische Pipeline Albanien in Richtung Italien. Noch in diesem Herbst soll sie dort in die Adria geführt werden. Zehn Stunden braucht die Fähre vom nahegelegenen Hafen in Vlora bis zur Hafen­stadt Brindisi, Italien. Das Erdgas, das in zwei Jahren entlang des Meeresbodens in etwa die gleiche Strecke nehmen wird, wird nur halb so lang brauchen. Ab 2020 wird hier auf 30 Grad gekühltes Gas fließen. Europa ist glücklich, in zwei Jahren wird die Pipeline mit einer großen Feier eingeweiht werden. Medien, Politiker, sie alle werden die TAP an diesem Tag als wichtige Versorgungsroute der EU feiern. Welche Narben sie dabei in den Transitländern hinterlassen hat, bleibt dann vermutlich unerzählt.

 

Diese Recherche wurde von einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt.