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Datum Talente

Der informierte Patient

Immer mehr Menschen machen sich im Internet über Gesundheitsthemen schlau. Das kann sie mündig machen – aber auch zu unbegründeten Ängsten oder gefährlicher Selbstüberschätzung führen.

DATUM Ausgabe Oktober 2020

Im Dezember 2017 bricht sich Margot Artner, heute 66, den Mittelfußknochen. Knochenbrüche hat sie schon mehrere hinter sich, doch dieser ist anders. Er verheilt nicht. Sie beginnt mit einer intensiven Recherche über Knochen – wie sind sie aufgebaut, wie heilen sie, wodurch wird ihre Heilung gestört. Auch zuvor hat sie sich immer wieder über Krankheiten informiert, aber jetzt startet sie als › Quereinsteigerin ‹ in ihr privates, sehr intensives Medizinstudium. Während sie wochenlang auf einen Opera­tionstermin wartet, nimmt sie jene drei Medikamente, die sie zu der Zeit einnimmt, unter die Lupe. Dabei recherchiert sie, dass eines der Medikamente den Knochenaufbau behindere. Dann tut sie etwas, wovon Ärztinnen und Ärzte immer wieder eindringlich abraten : Sie setzt es eigenmächtig schrittweise ab, und – ob Zufall oder nicht – der Knochen beginnt zu heilen.

Margot Artner ist eine von vielen Österreicherinnen und Österreichern, die Informationen über Krank­heiten und Gesundheitsthemen nicht ausschließlich in der Arztpraxis beziehen. Laut einer im September 2019 veröffentlichten IMAS-Umfrage unter tausend Be­­fragten über 16 Jahren suchen 49 Prozent Informationen über ihre Symptome im Internet. Das › Symptom-Googeln ‹ beschert medizinischen Portalen und Me­­­dien mit Gesundheitsressorts ihre hohen Klickzahlen, Influencern ihre Follower. Gesundheitssendungen oder -beilagen sind heute in praktisch jedem Medium zu finden. Das verändert das Berufsleben von Ärztinnen und Ärzten : Während die einen von einer positiven Entwicklung hin zu › mündigen Patienten ‹ sprechen, sehen sich andere damit konfrontiert, neben der Krankheit auch Meinungen behandeln zu müssen. Steigern die verfügbaren Informationen die › Gesundheitskompetenz ‹ der Bürgerinnen und Bürger ? Oder machen die Medien nur ein Geschäft mit dem Informationsbedürfnis der Bevölkerung – und verführen dabei zu Hypochondrie oder gar gefährlicher Selbsttherapie ?

Das Phänomen, dass Patienten sich bei anderen Nicht-Medizinern Rat zu Leiden oder Symptomen holen, wie es seit Jahrhunderten passiert, heißt in der Fachsprache › partizipative Medizin ‹. 2015 beschäftigte sich die Bioethikkommission im Bundeskanzleramt in einer Stellungnahme mit der neuen Dimension des Themas, die durch das Internet entstanden ist. Aktuell ortet die Bioethikkommission die Gefahr, dass das Bild entstehe, Patienten seien immer mehr selbst für das › Management ‹ ihrer Gesundheit verantwortlich. Dabei stoßen sie online auf eine Fülle von Informationen, die erst einmal bewältigt werden müsse. Erschwert werden könne dies schließlich auch noch durch mangelnde Kompetenz bei der Internetnutzung. 

Grundsätzlich gilt : › Das Internet ermöglicht eine Demokratisierung von Wissen ‹, so auch Gesundheitspsychologe Stefan Höfer, Leiter der Fachsektion Ge­­sundheitspsychologie im Berufsverband Österrei­chi­scher PsychologInnen. Der Arzt habe keinen ex­klu­­siven Zugang zu medizinischem Wissen mehr, die Machtposition, das Gefälle, das dominante Rollenbild – alles werde plötzlich kleiner. Laut der genannten IMAS-Studie empfinden 28 Prozent der vorinformierten Patienten ihre Ärztin oder ihren Arzt als genervt – › pikiert ‹, sagt Artner –, wenn sie ihr selbstrecherchiertes Wissen in die Ordination mitbringen. Immerhin : Herr oder Frau Doktor gelten nach wie vor als häufigste und vertrauenswürdigste Informationsquelle, wenn es um medizinische Fragen geht. Nur zwei bis fünf Prozent haben ein starkes Vertrauen in medizinische Internetforen – konsultiert werden sie trotzdem.

› Das Suchen von Symptomen und diese zu verstehen, ist ein ganz normales menschliches Bedürfnis. Das Selbstinteresse war auch schon immer da. Das einzige, was sich geändert hat, ist das Medium, in dem man sucht ‹, so Höfer. Während man früher in einem Buch über Gesundheit nachgelesen hat, zieht man heute Gesundheits-Apps, Zeitschriften oder Gesundheitssendungen im Rundfunk oder auf YouTube zu Rate. Und davon gibt es viele : Während der Internist Siegfried Meryn unter anderem auf ORF 2 › Bewusst gesund ‹ und auf ORF 3 › Meryns Sprechzimmer ‹ anbietet, schaut Margot Artner beispielsweise › Visite ‹ im NDR. Es gibt dutzende deutschsprachige Printmagazine und unzählige Gesundheits-Apps in den Stores der Anbieter – von der › Rückenschule ‹ über die Migräne-App bis zum › Herzfrequenz-Monitor ‹.

Für Artner war es eine › Notwendigkeit ‹, ihre Krankheit selbst unter die Lupe zu nehmen. Denn obwohl der Bruch nicht heilte und die Haut des Fußes sich nach fünf Tagen bereits schwarz färbte, wollte man an der Therapie nichts ändern. › Der Arzt hat weder ge­­sagt, ich solle das Medikament nicht mehr nehmen, noch weniger nehmen. Denn das ist der Standard in der Medizin hier : Das wird so gemacht. Ob man es braucht, verträgt oder will, ist egal ‹, beschreibt Artner ihre Erfahrungen. › Es gibt sehr wohl einen Unterschied zwischen Krankenkasse und Wahlarzt bei der Behandlung, bei der menschlichen und der medizi­­nischen. Es ist eine Frage der Zeit. Und Zeit ist Geld. So schaut es leider aus ‹, sagt Artner. Sie habe seit 2017 jedenfalls gelernt, wieder stärker auf ihr Bauchgefühl zu hören und nach Verordnungen erst die Reaktionen ihres Körpers zu testen. 

Michael Kunze vom Public Health Zentrum in Wien weist auf einen scheinbaren Widerspruch hin : Zwar habe die Körperwahrnehmung der Menschen abgenommen, Körper- und auch Krankheitsbewusstsein hingegen hätten enorm zugenommen. › Die Leute sind wesentlich informierter, wesentlich kritischer geworden ‹, so Kunze. Das kann in verschiedene Richtungen ausschlagen : Im einen Extrem gibt es dann jene Menschen, die zur Hypochondrie neigen, im anderen jene, die alles negieren. Die Herausforderung für die Medizin sieht er darin, den Patienten zu sagen, wo sie sich informieren können und dabei auf offizielle Homepages und verlässliche Quellen zu verweisen. › Beratungsarbeit ist mehr gefordert denn je ‹, sagt Kunze. Das Ziel dabei sei der sachlich kompetente Bürger.

Den bräuchte es vor allem im Social-Media-, Influencer-, Blog-, Portal- und Ärztebewertungsbereich, so Medienethiker Matthias Karmasin von der Universität Klagenfurt. Er ist der Meinung, dass in Österreich die Kluft zwischen Medienkompetenz und Mündigkeit der Patienten gerade im Medizinbereich sehr groß ist. › Das Experiment hat schon jeder einmal selbst ge­­macht : Wenn man einen harmlosen Befund googelt, hat man spätestens nach 20 Minuten Krebs. Hier stellt sich die Frage, wie sinnvoll so etwas ist ‹, sagt Karmasin. Probleme bringen auch die jeweiligen Quellen mit sich. Der professionelle Journalismus muss sich zwar an ethische Grundprinzipien halten, aber Gesundheitsbeilagen entstehen manchmal in Kooperation mit Unternehmen, die ihre Interessen in den Inhalten transportiert wissen wollen. Im Social-Media-Bereich fehlen bestimmte Sorgfaltsregeln und Kennzeichnungspflichten überhaupt. Gerade deshalb sei Eigenverantwortung so wichtig, sagt Karmasin. › Menschen passen irrsinnig gut darauf auf, was sie essen, aber womit sie ihr Gehirn füttern, darauf passen sie nicht so auf. ‹

Als Margot Artner mit ihrer eigenen Recherche gestartet hat, ist sie unter anderem auf das › MiniMed-Studium ‹, wie das Angebot sich selbst nennt, ge­­stoßen – eigentlich eine Vortragsreihe zu Gesundheitsthemen, die auch in kleineren Städten in den Bun­­desländern stattfinden. Artner interessiert sich für fast jedes Thema und nimmt regelmäßig teil. › Ich war von Anfang an begeistert, dass es sowas überhaupt gibt und dass die Vortragenden das Wissen so bereitwillig und kostenlos weitergeben ‹, sagt Artner. Laut Artner sind viele Vortragsteilnehmer so wie sie bereits vorinformiert und stellen spezifische Fragen, denn › es kommen nicht nur unbedarfte Laien ‹. 

Seinen Namen hat MiniMed bei der Gründung im Jahr 2000 in Zusammenarbeit mit der Medizin Universität Innsbruck erhalten. Der Gedanke war, so Ge­­schäftsführer Johannes Oberndorfer, ein › Bürger-Studium ‹ zu schaffen, im Rahmen dessen auch Laien an die neuesten Erkenntnisse aus der Welt der Medizin kommen. In niederschwelligen Formaten halten Ärzte Vorträge – › in Freizeitkleidung, ohne weißen Arztmantel ‹, wie Oberndorfer betont. Die Teilnehmer am › Studium ‹ sind größtenteils über 50 Jahre alt, besonders nachgefragt seien Themen wie schmerzende Gelenke, alles rund um Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Erkrankungen und Prävention. › Die Menschen suchen den Spezialisten und sie suchen das Gespräch ‹, so Oberndorfer. Auf den 40- bis 50-minütigen Vortrag folge eine Diskussionsrunde, das › Herzstück ‹ jeder Ver­­anstaltung. › Menschen nehmen teil, um mit dem Spezialisten aus ihrer Region ins Gespräch zu kommen, weil die Menschen sich wirklich sehr alleine fühlen, auch in den Kliniken und in den niedergelassenen Ordinationen. Ich sag’s mal so : Der Faktor Zeit kommt massiv zu kurz. ‹ 

Bis 2013 war das MiniMed-Studium ein gemeinnütziger Verein, 2016 wurde es von der RMA Gesundheit, einer hundertprozentigen Tochter der Regionalmedien Austria, übernommen und integriert. Alle Vortragenden arbeiten ehrenamtlich, die Teilnahme an den Vorträgen ist kostenlos – das sei schließlich die Philosophie der kostenlosen Regionalmedien, so Oberndorfer. MiniMed sei › ein sehr wichtiges Image-Projekt ‹, aber kein › Profitcenter ‹ – also keine Unternehmenssparte, mit der man Gewinne erziele. Vielmehr werde es über Förderungen von Bund, Land und den Städten der MiniMed-Standorte finanziert, an denen regelmäßig Veranstaltungen stattfinden – immerhin bisher 24 in ganz Österreich. Die wichtigste Fördergeberin dabei : die österreichische Gesundheitskasse. Weitere Projekte der RMA Gesundheit helfen zusätzlich, das MiniMed-Studium querzusubventionieren. Würden Saalmieten oder Honorare für Ärzte anfallen, müsste das Projekt eingestellt werden, so Oberndorfer. Dass die RMA sich durch eine Gesundheitsvortragsreihe Unterstützung der ÖGK holt, hält Medienethiker Matthias Karmasin nicht für verwerflich. › Es kommt auf die Transparenz an ‹, so Karmasin. Wenn etwa die Un­­terstützer angegeben werden, könne man es den Menschen überlassen, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Im ersten Wiener Gemeindebezirk ist die Redaktion der Internetseite gesundheit.gv.at angesiedelt. Ein grünes Tor führt in das Gebäude, Chefredakteur Stephan Fousek hat im dritten Stock des Altbaus sein Bü­­ro. Seit 2010 gibt es das Gesundheitsportal gesundheit.gv.at, herausgegeben vom Gesundheitsministerium mit dem Ziel, die Gesundheitskompetenz aller Bevölkerungsschichten zu stärken. 2019 besuchten laut Fousek 11,6 Millionen Unique User (Anm. : Unterschiedliche Nutzer innerhalb eines bestimmten Zeitraums) die Website. In deren Redaktion arbeiten sechs Personen, darunter zwei Ärztinnen, außerdem Ernährungswissenschaftler und Kommunikationsexperten. Sie informieren über Krankheiten, gesunde Lebensführung oder die elektronische Gesundheitsakte ELGA. › Es geht darum, einen Text verständlich zu schreiben, ohne komplizierte Formulierungen. Aktualität ist eine wichtige Sache – und die Vertrauenswürdigkeit ‹, sagt Fousek. Als Quellen werden unter anderem klinische Informationsportale verwendet, die auch Ärzten zur Verfügung stehen. Grundsätzlich gilt : Es werden Basisinformationen gegeben. › Unsere Fragestellungen lauten zum Beispiel : »Wie erfolgt die Diagnose von Diabetes ? Wie erfolgt die Behandlung und welche Methoden gibt es ?« Wir geben einen Überblick über die üblichen Behandlungsmethoden, ohne einzelne Medikamente oder spezielle Verfahren zu bewerten. Davon grenzen wir uns ab. ‹ Während gesundheit.gv.at von öffentlicher Hand finanziert wird, stehen dem Portal zahlreiche kommerzielle Seiten gegenüber, etwa netdoktor.at aus dem AHVV-Verlag, der auch die Gratistageszeitung Heute herausgibt. Es ist das größte medizinische Onlineportal in Österreich. Dort wollte man mit DATUM jedoch nicht sprechen. 

› Es gibt sehr viele Seiten, die Geld machen wollen, und es gibt sehr viele Seiten, die völlig unseriös sind ‹, so der Facharzt für Innere Medizin und › Fernsehdoktor ‹ Siegfried Meryn über das Angebot im Internet. Er rät dazu, herauszufinden, wer hinter den Themen und der Seite stehe. Und sich die Frage zu stellen : Werden Quellen, Studien – auch kritische Studien – und Gegenstimmen genannt ? › Patienten sind kritisch bei jedem Medikament, das man ihnen verschreibt und lesen den Beipacktext. Ich sage immer : Lesen Sie auch den Beipacktext der Internetseite. Sie lassen sich auch sonst im Leben nicht alles erzählen ‹, so Meryn. Gegen das Symptome-Googeln ist der Arzt jedoch keinesfalls. › Ich halte das auch für motivierend, wenn die Leute beginnen, sich damit zu beschäftigen. ‹ Er empfindet es nicht als Misstrauen, wenn sich der Patient eine zweite Meinung einholt – gerne auch im Internet.

Meryn will mit seinen Sendungen dem großen Bedürfnis der Menschen entgegenkommen, sich über medizinische Sachverhalte zu informieren. Auch er will die Gesundheitskompetenz der Österreicher stärken – faktenbasiert, nicht reißerisch. Außerdem gehe es ihm um Prävention, Vorsorge und das Verständnis für einen gesunden Lebensstil. › Ich habe so einen Spruch, den nicht alle Kollegen von mir schätzen. Der Arzt ist so gut wie sein Patient. Die Zeit der »eminenzbasierten« Medizin ist vorbei. Wir sind auf Augenhöhe ‹, so Meryn. Eine neue Ära der Medizin sei angebrochen, die durch die Coronakrise sogar noch be­­schleunigt werde. In dieser werden laut Meryn die Begriffe Ge­­sund­­heit und die Rolle der Patienten und Ärzte neu definiert – und das in einem positiven Sinn. Er selbst sieht sich als Wissensvermittler, Übersetzer und › Ge­­sundheitskompass ‹. Meryn spricht die Sprache der Zuseher, nicht die der Ärzte, um die Patienten via TV mündig zu machen. Bei den rund 298.000 Zusehern, die durchschnittlich etwa die Sendung › Bewusst gesund ‹ sehen, mag das gelingen. Doch was passiert mit den übrigen Menschen in Österreich ? 

Ob sich Patienten medizinische Information verschaffen, verstehen und anwenden können, wird an­­hand ihrer › Gesundheitskompetenz ‹ beurteilt. Um diese ist es in Österreich nicht besonders gut bestellt. 2014 veröffentlichte das Ludwig-Boltzmann-Institut folgende Daten : Rund 22 Prozent der Befragten können dem Arzt nur schwer folgen, 30 Prozent hätten Probleme, den Beipacktext eines Medikaments zu verstehen. Außerdem war es für 59 Prozent der Befragten nicht oder kaum möglich, zu beurteilen, wie vertrauenswürdig Informationen über eine Krankheit in den Medien sind. Aktuell läuft eine neue Befragung der Gesundheit Österreich GmbH rund um die Gesundheitskompetenz der Österreicher, Ergebnisse werden Anfang 2021 erwartet.

Wer über wenig Gesundheitskompetenz verfügt, hat schon früh mit Folgen zu rechnen. › Menschen, die von geringerer Gesundheitskompetenz betroffen sind, treffen unter anderem auch in ihrem Lebensstil nicht so gesunde Entscheidungen ‹, sagt Christina Dietscher, Vorsitzende des Kernteams der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz. › Insgesamt haben sie daher auch ein höheres Risiko, nicht ganz korrekt behandelt zu werden sowie dafür, dass medizinische Fehler passieren, weil sie sich selbst weniger genau ausdrücken können oder weniger nachfragen, wenn sie den Arzt nicht genau verstanden haben. ‹ Doch Dietscher betont : Geringe Gesundheitskompetenz ist kein individuelles Versagen, sondern ensteht aus dem Zusammenspiel persönlicher Voraussetzungen mit den Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem.  Auch die Österreichische Sozialversicherung setzt auf niederschwellige Information, so Stefan Spitzbart, dort Leiter des Bereichs Gesundheitsförderung und Prävention – etwa die Broschüre › Kompetent als Patient und Patientin ‹. Darin wird erklärt, wie man gute Gesundheitsinformation erkennt, was man beim Gespräch mit dem Arzt beachten soll oder welche Leistungen man als versicherte Person bekommt. Mitt­lerweile sind rund 200.000 Stück unter die Leute gebracht, und es wird an der fünften Auflage ge­­ar­­beitet. 

Eine Stelle, die in Österreich auf qualitätsvolle Ge­­sundheitsinformationen achtet beziehungsweise die Seriosität der vorhandenen prüft, existiert indes nicht wirklich. Weder bei der Arbeiterkammer noch beim Verein für Konsumentenschutz gibt es Experten dafür. Patientin Margot Artner hat eine eigene Vorgehensweise, die Seriosität der Website, Vorträge und Sendungen, die sie konsumiert, zu prüfen : indem sie In­­formationen mit ihrem Wissen aus dem Buch › Der Körper des Menschen – Einführung, Bau und Funktion ‹ von Adolf Faller und Michael Schünke abgleicht, welches immer griffbereit auf ihrem Nachtkästchen liegt. Sucht sie Informationen im Internet, achtet sie vor allem darauf, dass Ärzte hinter den Artikeln stehen. › Wenn man sich länger damit beschäftigt, merkt man, welche Infos seriös und welche Werbung sind ‹, meint Artner. 

In der Steiermark will das Pilotprojekt EVI die Qualitätssicherung der Informationen vorantreiben – EVI steht dabei für Evidenzbasierte Gesundheitsinformation. Es werden Informationen zu 14 häufigen Erkrankungen vermittelt, aber auch auf medizinische Seiten weiterverlinkt, die EVI als vertrauenswürdig einstuft. Anlass für das Projekt war die Erkenntnis, dass bei Ärzten oft Gesundheitsinformationen von geringer Qualität aufliegen. › Wir wollten die besten deutschsprachigen Gesundheitsinfos zu häufigen Behand­lungsanlässen in der allgemeinmedizinischen Praxis suchen und die dann über ihre Hausärzte an die Patienten weiterreichen ‹, sagt Medizinerin Nicole Posch. Zu bekommen sind sie über sogenannte › EVI-Boxen ‹ in Hausarztpraxen oder online. Bisher ist das Interesse an den Boxen unter Hausärzten jedoch eher mäßig. Ziel sei es, hundert Boxen zu verteilen, bisher bestehe Kontakt zu rund 50 Hausärzten. Bis Mitte 2021 läuft das Projekt noch. › Das Bewusstsein der Ärzte ist häufig nicht da ‹, so Posch. Dafür, dass derzeit aufgelegte Prospekte häufig von geringer Qualität seien, wie dafür, dass Ärztinnen und Ärzte auch von gut informierten Patienten profitieren. Denn, so Posch : Gesundheitskompetente Patienten sind unter anderem die angenehmeren, kommen früher in die Praxis oder eher zur Vorsorgeuntersuchung. 

Im Idealfall führt das zur Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Ärztin und Patient – der Schlüssel zum Erfolg in der Beziehung, da sind sich Meryn, Höfer und Dietscher einig. › Ich ermutige die Leute : Sie sind nicht Bittsteller, sondern sie sind in Wahrheit die Hauptverantwortlichen für ihre eigene Gesundheit, und der Arzt ist in Wahrheit Berater ‹, so Meryn. Dieser Berater sollte aber unbedingt auch angehört werden, bevor man sich online selbst eine Diagnose stellt. Dazu können Gesundheits- und Me­­dienkompetenz nämlich auch führen : zu wissen, wann die Einordnung der gesammelten Informationen ebendiese eigenen Kompetenzen übersteigt. Die mündige Patientin weiß, wann sie sich einen Rat vom Mediziner aus Fleisch und Blut holen muss.

Und wann es diesen Rat auch zu befolgen gilt – insbesondere, wenn es um verschriebene Therapien oder Medikamente geht. Michael Kunze vom Public Health Zentrum erinnert in diesem Zusammenhang auch an die Verantwortung des Arztes. Dieser habe ja die Pflicht, dem Patienten zu begründen, warum ihm ein Medikament verschrieben wurde. Außerdem soll über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden, um nicht von unerwarteten Körperreaktionen völlig überrascht zu werden. Vom Patienten brauche es dann das Vertrauen gegenüber dem Arzt, die vorgeschriebene Behandlung durchzuziehen. 

› Ich  habe meine Berufung verfehlt ‹, meint Margot Artner. Alles an ihrem Körper finde sie faszinierend. Täglich lerne sie eine Stunde zu medizinischen Themen, außerdem schaue sie sich Sendungen über Ge­­sundheit und seltene Krankheiten im Fernsehen an, sowie Operationen auf YouTube. Bei jedem Medikament studiere sie den Beipackzettel. › Meistens nehme ich es dann nicht ‹, sagt Artner. Eine Praxis, die Experten wie Michael Kunze mehr als kritisch sehen, der das eigenständige Absetzen von Medikamenten als › absolut schlecht ‹ bezeichnet : › Mit dem Absetzen eines Medikaments erachtet der Patient eine medizinisch begründete Maßnahme für unwesentlich ‹, so Kunze. Wer sich dennoch unsicher ist, könne sich eine zweite Meinung einholen – laut Kunze der einzig seriöse Weg. Denn : Selbst wenn man keine Verschlechterung nach dem Absetzen eines Medikaments bemerkt, könnten Spätfolgen nicht vorhergesehen werden.  

Angst hatte Margot Artner beim Absetzen der Medikamente dennoch nicht. Im Fall des Blutverdünners sei es eher so gewesen, dass sie Angst hatte, ihn überhaupt einzunehmen. 

Um nicht in Hypochondrie zu verfallen, führt sie immer wieder einmal einen › mentalen Körperscan ‹, eine Art Meditation, bei sich selbst durch, schildert Artner. Dabei überprüft sie, ob Gelesenes oder Gesehenes auf sie zutreffen könnte. Bestätigt sich die Vermutung, sucht sie ihre Ärztin auf und fragt konkret nach. Denn gerade als sehr informierte Patientin hat Artner nach wie vor prinzipiell viel Vertrauen in Ärzte und ist für gelungene Behandlungen dankbar, wie sie betont. Das neue Körperbewusstsein, das sie durch ihre eigene Recherche erlangt hat, beschreibt Artner jedenfalls als beruhigend : › Das klingt banal, aber man findet zu sich selbst. ‹