Der Lobbyist in uns
Wie der Jurist Alberto Alemanno müde Bürger weckt.
Sie sind viele: laut Europaparlament 15.000 bis 30.000 allein in Brüssel. Sie hantieren mit viel Geld, sie schreiben die neoliberale europäische Ordnung weiter. Sie gelten als zwielichtig, verschlagen, den Interessen von wenigen statt den Belangen aller verpflichtet: Lobbyisten.
Mag sein, sagt Alberto Alemanno, Professor für Europarecht an der HEC Paris, Co-Gründer der Organisation ›The Good Lobby‹ und Autor von ›Lobbying for Change – Find your voice to create a better society‹ (Icon Verlag, 2017). Doch was sind schon einige tausend gegen mehr als 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger allein in der EU? Spielt nicht bei ihnen die Musik in gegenwärtigen Demokratien? ›Jede und jeder kann Bürger-Lobbyist werden‹, schreibt Alemanno. ›Durch Einzelaktionen, Veröffentlichungen, Kampagnen. Hat dir jemand gezeigt, wie das geht? Hast du das in der Schule gelernt? Vermutlich nicht.‹ Also, raus aus den Federn, weg vom Bildschirm, rein in das Versuchslabor, am besten mit anderen. Motto: Wecken wir unsere inneren Lobbyisten auf. ›Wie bitte? Geh, bitte!‹ tönen da flugs müde Reaktionen.
Obwohl, wenn sich die einen für Glyphosat und gegen Netzneutralität einsetzen, können sich doch alle anderen auch …? Klar, sagt Alemanno und nimmt seine Leserschaft auf eine kurzweilige Reise vom Rat zur Tat mit. Lobbying sei mysteriös, abschreckend, tabu? Quatsch, es ist nicht nur legal, es ist essenziell, um Politikerinnen und Politikern in der Zeit zwischen den Wahlgängen zu vermitteln, was bei den Bürgerinnen und Bürgern eigentlich los ist. ›Egal, ob du konservativ, progressiv, libertär, kommunistisch, grün bist oder Pirat /-in, du kannst erfolgreiches Bürgerlobbying lernen.‹
Alemanno erklärt, was noch heute an diesem Küchentisch gestartet werden kann. ›Schritt eins, wisse, was du willst. Informiere dich über dieses Thema. Finde andere – gründet ein Kernteam. Der Erfolg hängt von den Vorbereitungen ab.‹ Alemanno erklärt die Spielarten von Freiwilligenarbeit und Vereinsgründung, Drehtür-Prinzip und Datenschutz, warum man nach Geld fragen darf und in Grafikdesign investieren soll, woher man kostenlose (pro bono) Unterstützung etwa von Rechtsexperten bekommt, wann man öffentlich agiert, welche Online-Kampagnen oder Plattformen wann geeignet sind und warum Max Schrems ein Vorbild ist.
Alemanno schrieb dieses Handbuch für dich und mich mit der Leichtigkeit und Lebensnähe eines Menschenfreundes, zugleich mit der fachlichen Trittsicherheit eines langjährig Lehrenden, der die Universität als Labor fürs echte Leben interpretiert. Und der sich mit europäischen Kampagnen der vergangenen Jahre – ob gegen Roaming und Glyphosat, TTIP oder ACTA, für Roma-Rechte und Netzneutralität – auseinandergesetzt hat.
Tipps rund um Politikprozesse teilt der vierzigjährige Italiener dabei großzügig: Wie gehe ich auf ein Politikerbüro zu? Wie lang oder kurz soll die E-Mail sein, mit Anhängen oder ohne, wer ist in Kopie? Was bringe ich ausgedruckt mit? Oder: ›Vielleicht interessiert sich dein Gastgeber nicht besonders. Sei emphatisch. Viele Entscheider lesen einfach nicht so gerne Akten, sondern delegieren dies lieber an ihre Teams.‹ Und: ›Wenn das Treffen zu Ende ist, bleib ruhig. Zeige nie deine Gefühle, solange du noch im Gebäude bist.‹
Alemanno informiert und ermutigt, indem er das nur scheinbar banale Wissen rund um die Mechanismen von Macht und Gestaltung offenlegt. Ein Handbuch für Bürgerinnen und Bürger, das wir heute in Innsbruck und München, Rom, Wien oder Brüssel ganz gut gebrauchen können.