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›Der Spieß hat sich komplett umgedreht‹

Der Arbeitsmarkt verändert sich rasant. Worauf müssen sich Arbeitgeber einstellen? Wonach suchen Arbeitnehmer? Ein DATUM-Gespräch mit Betroffenen und Expertinnen.

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Fotografie:
Ela Angerer
DATUM Ausgabe September 2022

Lassen Sie uns in der Praxis beginnen. Frau Burgis, Sie leiten die Personalentwicklung bei der Drogeriekette Bipa: Wie stellt sich Ihnen persönlich die Situation am Arbeitsmarkt dar, mit welchem Begriff würden Sie sie beschreiben?

Elisabeth Burgis: Wir haben es mit einer tiefgreifenden Disruption zu tun. In manchen Branchen, wie der Gastronomie, hat sich die Entwicklung schon in den letzten Jahren abgezeichnet, aber für uns bei Bipa ist das in dieser Dimension doch relativ neu – auch wenn es schon in der Vergangenheit schwierig war, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ­finden. In dieser Situation wollen und müssen wir die Gründe für diese massiven Veränderungen verstehen, um mit geeigneten Maßnahmen gegen­steuern zu können.

Welchen Anteil daran hat die Pandemie?

Burgis: Sie hat zweifellos einen großen Anteil daran, aber gleichzeitig waren manche Entwicklungen auch klar absehbar – etwa, dass uns die demografische Kurve irgendwann ziemlich Sorgen bereiten wird und uns die Jungen langsam abhandenkommen. Was sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren ­bestimmt verstärkt hat: Es wird mehr hinterfragt, in welche Richtung sich unser Wirtschaftssystem entwickelt, wie und wo man sinnstiftende Arbeit leisten kann und was wir mit unserem Leben anfangen wollen. Das wirkt sich natürlich auch auf das individuelle Berufsleben aus.

Herr Schellhorn, die Gastronomie kämpft derzeit ganz besonders. Wie gehen Sie als Unternehmer damit um?

Sepp Schellhorn: Im Moment ist es das Wichtigste, meine bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor der völligen Überlastung zu schützen. Das kann ich nur, indem ich mein Angebot herunterfahre, bei den Öffnungszeiten, bei der Menükarte, überall … Warum es so weit gekommen ist? Das hat sehr stark mit den langen Lockdowns im Tourismus zu tun. Die haben zum Beispiel dazu geführt, dass von 80.000 Saison-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern die Hälfte nicht mehr nach Österreich zurückgekommen sind. Da entstand ein schwarzes Loch, das den Markt verändert hat. Als Liberaler kann man da sagen, na gut, der Markt regelt das schon…

Also muss der Arbeitgeber mehr zahlen, weil die Nachfrage größer und das Angebot kleiner ist.

Schellhorn: Aber so einfach ist das nicht: Das niedrigste Gehalt, das ich für 40 Stunden fünf Tage in der Woche ausbezahle, beträgt 2.800 Euro brutto. Wenn sich ein Mitarbeiter vorstellt – wobei es schon ein Glück ist, wenn er wirklich kommt –, sagt er: Herr Schellhorn, das sind 1.900 netto, mit Arbeitslosengeld, einer geringfügigen Anstellung, einem Wochenende Pfuschen komme ich auf genauso viel. Ich gehöre aber nicht zu denen, die fordern, dass die Arbeitslosenunterstützung gekürzt gehört! Mein großes Anliegen ist, dass der Mitarbeiter mehr vom Brutto-Gehalt bekommt und der Betrieb nicht so viel Lohnneben­kosten zahlen muss. Das Ziel müsste doch sein, dass dem Mitarbeiter bei einem Brutto-Gehalt von 2.800 Euro mindestens 2.200 netto bleiben. Eine dramatische Entlastung des Kostenfaktors Arbeit ist überfällig und wäre auch angesichts der Inflation ein richtiger Schritt. Das ist aber nur ein struktureller Faktor von vielen. Wir müssen über das Bildungssystem sprechen, über Kinderbetreuung, über intelligentes Migrationsmanagement. Und wir brauchen Sozialpartner, die aus der Schockstarre erwachen und mithelfen, Arbeitswelten für das 21. Jahrhundert zu definieren.

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