›Der Tod ist ein Freund‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit der Schauspielerin Adele Neuhauser.

Interview:
Saskia Jungnikl
·
Interviewte:
Adele Neuhauser
DATUM Ausgabe Dezember 2017

Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, dass es den Tod gibt?

Schon sehr früh. So mit zehn Jahren etwa, da wurde der Tod für mich zu etwas, das einen möglichen Ausweg bietet aus meiner Traurigkeit und meinen Schuldgefühlen. Meine Eltern haben sich scheiden lassen als ich neun Jahre alt war und ich bin bei meinem Vater geblieben. Ich wurde von der Fürsorge regelmäßig gefragt, ob ich nicht zu meiner Mutter gehen will und weil ich das nicht wollte, habe ich Schuldgefühle gegenüber meiner Mutter entwickelt. Ich bin in eine ziemliche Depression geschlittert und mit zehn Jahren habe ich dann das erste Mal versucht mir das Leben zu nehmen.

Sie haben in Ihrer Jugend sechs Suizidversuche unternommen. Warum wollten Sie sterben?

Ich bin mit den Umständen nicht zurecht gekommen. Ich wünsche mir, ich hätte damals darüber geredet. Es tut mir für mich leid, dass ich da alleine durch musste und mich nicht öffnen konnte. Ich habe den Tod damals aus einer Unsicherheit und Schwäche heraus als Ausweg gesehen. Und auch als eine Art Mutprobe, in dem ich mir das angetan habe.

Wie haben Sie sich da hinaus geholt?

Gott sei Dank hatte ich schon immer auch große Lebenslust und Lebensfreude. Andere konnten die Misere gar nicht sehen, in der ich steckte. Schauspielerin zu werden war für mich eine Lösung, weil ich mich in andere Charakter verkriechen konnte. Da durfte ich in Form anderer Menschen Höhen und Tiefen durchleben und habe gemerkt, ich stehe nicht alleine da. Das war für mich sehr heilsam.

In den vergangenen Jahren sind Ihr Bruder, Ihr Vater und Ihre Mutter gestorben. Hat das Ihren Blick auf den Tod verändert?

Sehr. Der Tod ist ein Freund, der Weg dorthin ist manchmal grausam. Der Tod ist nichts, was man fürchten muss, sondern was man fürchtet, ist die Art und Weise wie man sterben muss. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe nur manchmal Angst, dass ich ihn, wenn ich so weiterrauche, früher erleben muss (lacht). Manchmal ist man mit dem Tod versöhnt und manchmal hat man Schiss davor.

Leben Sie heute anders?

Ja, in gewisser Weise offener, neugieriger. Ich vergrabe mich nicht, ich schaue mich wieder um. Und ohne esoterisch zu werden: Ich fühle mich kosmisch aufgeladen, von all den Menschen, die gestorben sind. Als wäre die Energie, die sie hatten, besonders mein Bruder und auch mein Vater, auf mich übergegangen. Ich fühle mich so positiv aufgeladen. Ich genieße jeden Tag! Aber nicht als wäre es ein Event, sondern oft in einer Stille.

Tun Sie sich heute öfter etwas Gutes?

Auch durch das Schreiben meiner Autobiographie habe ich mir viel verziehen. Frieden gemacht, losgelassen. Das ist eine erleichternde Tatsache. Das Schreiben hat mir dabei geholfen, alles noch einmal zu durchfühlen. Das war sehr beglückend. Das abstrakte Denken ist eine Sache, aber beim Schreiben etwas noch einmal zu empfinden, das ist etwas anderes. Und dadurch ist jetzt eine gewisse Beruhigung eingetreten. Diese Lesereise etwa, die ich gerade mache: Ich bin hier jeden Abend ohne Netz vor dem Publikum, und ich kann mir das erlauben. Was soll schon passieren? Mir geht es überhaupt so richtig gut, ich habe meinen Sohn, meinen Bruder, ich bin finanziell abgesichert.

Ist es das, was Ihr Leben lebenswert macht?

Mein Sohn ist so ein wunderbarer Mensch, das macht mich sehr glücklich. Auch die Freundschaft zu meinem Ex-Mann, die schöne Beziehung zu meinem Bruder und zu meinen Freunden. Und mein Beruf: Ich liebe es, Schauspielerin zu sein. Ich glaube, dass ich den Menschen etwas dadurch geben kann, dass sie sich verstanden fühlen.

Wie auch durch Ihr Buch, in dem Sie sehr offen erzählen?

Vor allem Frauen leiden oft unter Minderwertigkeitskomplexen und Schüchternheit und ich merke, dass es ihnen hilft, wenn sie sehen, wie ich damit umgegangen bin, wenn sie sehen, dass andere ähnlich fühlen. Man kann tatsächlich Fehler machen und nichts passiert! Ist das nicht wunderbar?

Was wollen Sie in diesem Leben noch machen?

Ich möchte Großmutter werden, darauf freue ich mich sehr. Ich will noch viele tolle Frauenfiguren spielen und viele Geschichten erzählen, die Sinn machen und durch ihre Vielfältigkeit so viel zeigen. Und am schönsten wäre das auf der Leinwand.

Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:

Bei Austria-Kiosk kaufen