Die gespaltene Gesellschaft und ihre Freunde

Über einen allgegenwärtigen Begriff und seine Profiteure.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Februar 2022

Holz wird gespalten, mitunter auch ein Atom. Gebiete können sich von Staatsgebilden abspalten. Das Bewusstsein eines Menschen kann gespalten sein, was dann ein klar definiertes Krankheitsbild ergibt. Aber was bedeutet eine Spaltung der Gesellschaft? Alle reden von ihr.

Die Häufigkeit, mit der in Österreich dieser ­Begriff verwendet wird, deutet auf bewusste ­Übertreibung oder Ahnungslosigkeit. Niemand benennt konkret die einzelnen Gruppen, in die eben diese ­Gesellschaft zu zerfallen drohe. Daher gibt es keine Debatte ­darüber.

Wenn es aktuell in dieser Pandemie die Impfgegner sein sollen, die sich von den Impfbefürwortern lösen wollen, dann geben diese noch lange keine Spaltung her. Sie sind eine kleine, wenn auch lautstarke Minderheit. Wenn damit die Differenzen gemeint sein sollen, mit denen das Virus Familien, Freundeskreise, einzelne Berufsgruppen befallen hat, dann hat das mehr mit dem Versagen der öffentlichen Debatte denn mit der Gesellschaft an sich zu tun.

Auf das Gerede von der Spaltung ist daher mit größter Skepsis zu reagieren. Dahinter verbirgt sich, gut getarnt, das politische Geschäft all jener, die in Wahrheit auf Destabilisierung aus sind. Das heißt all jene, die das Wort ständig im Mund führen, besorgen in Wahrheit das Geschäft jener, die von Unruhen und Schwächung der Gesellschaft profitieren. Das ist in Österreich – mehr als in allen anderen europäischen Ländern – eine Partei, die FPÖ mit all ihren ›Freunden‹ am rechten Saum des politischen Spektrums.

Aber nicht nur sie. Spaltung hat immer auch etwas Bedrohliches. Das macht sie für Medien aller Art – mainstreamig, sozial und auch angeblich widerständig – interessant. Mit Angst lässt sich nicht nur trefflich Politik betreiben, sondern es lassen sich auch Zugriffe, Auflagen und Quoten verbessern. Vor allem in einem Land wie Österreich, mit seinem Hang zur Angstlust. Statt den notwendigen Diskurs zu fördern, um die Differenzen in einer rationalen Weise zu überwinden, wird so die Spaltung in den Köpfen der Konsumenten festgeschrieben.

In diesem Sinn sind die ­Medien geradezu Komplizen der Politik – sogar der offiziellen. Denn je öfter dort seit Neuestem offenbar in völliger Verkennung der Realität das Thema ›Gemeinsamkeit‹ betont wird – bei einer der Antrittsreden von Bundeskanzler Karl Nehammer ein halbes Dutzend Mal – desto stärker schwingt die Mahnung vor der Spaltung mit.

Und da ist niemand, der wirklich öffentlich und nachdrücklich dagegenhält. Warum treten nicht Vertreter der Kirchen, der Universitäten, der intellektuellen Zirkel stärker gegen das Märchen von der gespaltenen Gesellschaft auf?

In ihrem jüngsten Buch ›Twilight of Democracy‹ beschreibt die US-Journalistin und Historikerin Anne Applebaum die traurige Rolle der Intellektuellen beim Wechsel von demokratischen zu totalitären Systemen. Die Geschichte zeigt: Ein Zustand kann so lange propagiert werden, bis er tatsächlich eintritt. In diesem Fall hätten dann die Freunde der gespaltenen Gesellschaft gewonnen. •

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