Die Mühen der Ebene
Die Gemeinde Wiesen im Burgenland hat der Landschaft eine Skipiste abgerungen. Letzten Winter war es zu warm zum Fahren, trotzdem hat der Skiclub heuer eine neue Talstation gebaut. Besuch bei den Fitzcarraldos Ostösterreichs.
Wenn zu Weihnachten bei den meisten Menschen langsam Ruhe einkehrt, wird Lukas Weghofer immer nervöser. Jedes Jahr sei es gleich, erzählt er, › vor Weihnachten beginnt das Zittern ‹. Weghofer meint das Wetter. Er braucht frostige Temperaturen, denn der junge Mann, blonde Haare, kantiges Gesicht, ist der Präsident des Skiklubs Wiesen im Burgenland.
Mitten zwischen Einfamilienhäusern liegt in der Gemeinde Wiesen im Bezirk Mattersburg eine Skiwiese, 300 Meter lang, von einem Schlepplift flankiert. Nur durch Schneekanonen kann Weghofer hier eine Skisaison ermöglichen, darum benötigt er Minusgrade. In der Regel kann man im Jänner die Piste eröffnen, die hält dann drei bis vier Wochen. › Wir haben bis jetzt immer eine Saison zusammengebracht ‹, sagt Weghofer, der erst 24 Jahre alt ist, › außer halt im letzten Winter. ‹ Da war es zu warm.
Trotzdem baut der Skiklub Wiesen seit Juni eine neue Liftstation. Freiwillige wie Weghofer arbeiten an den Wochenenden an der neuen Talstation, einem zweistöckigen Haus aus Lärchenholz. Der Rohbau steht schon. Die Vision des Skiklubs ist noch dieselbe wie bei der Gründung im Jahr 1976 : Die Kinder aus Wiesen und den Nachbargemeinden sollen hier Skifahren lernen.
Der junge Präsident verdingt sich im Brotberuf als Gemeindearbeiter. In blauer Arbeitskluft sitzt Weghofer in der Skihütte, Schnapsflaschen und ein aus-
gestopftes Murmeltier verströmen alpines Flair, zumindest ein bisschen. Schon Weghofers Großmutter arbeitete hier als Wirtin, bekannt als die › Hütten-Resi ‹.
› Natürlich, wenn man daheim sitzt und nachdenkt, kommt man schon auf die Idee, dass es irgendwann nicht mehr geht ‹, sagt Weghofer über das Klima. Dann brauche man wohl mehr Projekte im Sommer, sagt er und klopft dreimal auf den Holztisch, dass es nicht so weit kommen möge. Draußen stehen zwei Vereinskollegen oben auf der neuen Liftstation und flämmen mit einem Gasbrenner das Dach, um es dicht zu machen. Sie tragen dabei nur T-Shirts. Es hat an diesem Freitag in Wiesen 14 Grad – zwei Tage vor Allerheiligen.
In der Skihütte kann man auch in der Chronik des Skiklubs Wiesen blättern. In einem dicken Buch mit Ledereinband liest man von der Errichtung des Babyliftes im Jahr 1986 oder dem Kauf der ersten Schneekanone in den 90er-Jahren. Es brauchte viel Geschick und Mühe, den sanften Hügeln des Rosaliengebirges ein Skigebiet abzutrotzen. Eine Liftkarte kostet heute 27 Euro – pro Saison. Der Skiklub hat eine Pistenraupe, sie trägt den Schriftzug › Everest Power ‹. 350 Tage im Jahr steht sie aber in der Garage.
Ein Kapitel in der Chronik des Skiklubs ist Anton Koch gewidmet. Im Jahr 2002 baute er mit ein paar Männern einen Schlepplift in den Ennstaler Alpen ab, lud ihn in einen Lkw und stellte ihn in Wiesen wieder auf. Koch, heute 73 Jahre alt, weiße buschige Augenbrauen, stapft durch die nasse Wiese zur Bergstation. › Das war damals schon einer der ältesten Lifte der Steiermark ‹, sagt er und zeigt mit dem Finger hinauf zum Umlaufrad.
Wie kam es 2002 zu der Abholung ? In Wiesen war ein Auto in den Babylift gekracht, ein neuer Lift musste her. Koch arbeitete beim Baukonzern Porr und tingelte nebenbei von den Hohen Tauern bis in den Bregenzerwald, um einen ausrangierten Skilift zu suchen. Fündig wurde der Ingenieur im Gesäuse in der Steiermark, dort wollte man den alten Oberst-Klinke-Schlepplift – benannt nach einem Offizier der deutschen Wehrmacht – loswerden. Koch kaufte ihn den Steirern um einen symbolischen Euro ab. Wenig später fuhren ein Dutzend Burgenländer ins Gebirge, um den Schlepplift samt Stützen, Motor und Bügeln abzuschrauben. › Auf die Schraube gleich wie in der Steiermark haben wir ihn wieder aufgebaut ‹, sagt Koch. Nur kürzer, denn der Skihang in Wiesen ist auf 380 Metern Höhe zu Ende.
Die Abholaktion ist heute Wiesener Ski-Historie. Im Skiklub gilt Koch als › Lift-Pate ‹, gleichsam als ein burgenländischer Peter Schröcksnadel. Der Aufbau des Schlepplifts hat das Skigebiet nach der Babylift-Ära um rund hundert Meter vergrößert. Manche Anekdoten, die man im Skiklub über den Kampf mit dem flachen Gelände hört, erinnern beinahe an Werner Herzogs Film › Fitzcarraldo ‹, in dem Klaus Kinski mit peruanischen Ureinwohnern ein Schiff über einen Berg ziehen will, um ein Opernhaus im Urwald zu errichten; oder an › Cool Runnings ‹, den Film über die erste Bobmannschaft aus Jamaika.
Die mittlere Temperatur im Burgenland lag von 1971 bis 2000 bei zehn Grad, schrieb das Umweltbundesamt in der Studie ÖKS15. Die Zahl werde in den nächsten drei Jahrzehnten auf jeden Fall um 1,3 bis 1,5 Grad steigen, in geringerem Maße nur dann, wenn die Anstrengungen gegen den Klimawandel verstärkt werden. Lukas Weghofer denkt trotzdem nicht daran aufzugeben : › Wenn du dir jeden Tag sagst, es wird wärmer, dann bringst du die Motivation gar nicht mehr auf, dann rennt das Werkl nicht mehr. ‹
Auch wenn viele Vereinsmitglieder jünger als 30 sind, hat sich der Skiklub den Zukunftsglauben der 70er-Jahre erhalten. Man ist immer gewachsen, vergrößerte die Skihütte, baute eine Flutlichtanlage, kaufte eine zweite Schneekanone sowie zwei ebenfalls der Schneeproduktion dienende SchneilanzenEtwas aufbauen, sich anstrengen, ein Leben lang im selben Verein sein – der Skiklub Wiesen ist eine sehr österreichische Nachkriegsgeschichte. Auf Skiern fuhr das Land in eine bessere Zukunft. Zur Skipiste führt in Wiesen symbolträchtig die Ing.-Leopold-Figl-Gasse.
Von der Gemeinde bekommt der Skiklub 3.000 Euro pro Jahr, vom Land Burgenland für die Liftstation einmalig 20.000 Euro. Unten im Rathaus spricht Bürgermeister Matthias Weghofer (ÖVP), seit 30 Jahren im Amt und nicht näher verwandt mit dem Skipräsidenten, voller Anerkennung vom Verein : › Die machen das alles am Freitag und Samstag für Gottes Lohn. ‹ Der 68-Jährige erzählt, der Skisport habe in Wiesen sogar eine längere Tradition als die Piste. › Du hast dir die Skier angeschnallt und bist irgendwo rauftrepperlt ‹, erinnert sich Matthias Weghofer. › Trepperln ‹ bedeutet, mit den Skiern auf die schneebedeckten Hänge zu marschieren, um dann runterzufahren. Es gab keinen Lift, nur burgenländische Willenskraft.
Die Klimadebatte hat aber auch den Skisport erreicht. Bis zu 5.000 Kubikmeter Wasser brauche der Skiklub Wiesen, um ein weißes Band zu erzeugen, schätzt Weghofer. Ist das gescheit ? Der Bürgermeister kann nichts Schlechtes daran finden : › Dafür können die Leute zum Skihang zu Fuß gehen. Zum Stuhleck fahren sie mehr als 50 Kilometer, da wäre, glaube ich, der Energieaufwand höher. ‹
Der Skilift-Pate Anton Koch sagt, man müsse › zurückblicken, um unser Skigebiet zu verstehen ‹. Die Schnellstraße zum Semmering sei erst in den 80er-Jahren ausgebaut worden. › Du hast dich zum Semmering rauf gestaut und gequält ‹, erklärt Koch. › Wenn die Leute im Radio Burgenland gehört haben,
der Lift in Wiesen hat offen, waren sie erleichtert. ‹
Bis die Skisaison beginnen kann, wird die neue Liftstation sicherlich fertig sein. › Wir liegen im Zeitplan ‹, sagt Lukas Weghofer. Im Dezember wird der Skipräsident wieder fünf oder sechs Mal am Tag die Wetterprognosen lesen. Und kurz vor Weihnachten nur einen Wunsch haben : Lieber Gott, lass es frieren. •
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