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Die Mutter aller Lösungen

Spanien pfeift auf den globalen Anti-Migrationskurs – zum Wohle der Wirtschaft.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe November 2025

Die Mutter aller Probleme sei die Migration, hat ein deutscher Politiker einmal gesagt. Der Satz ist längst zum globalen Mantra geworden. Donald Trump lässt Migranten in seinem Land von vermummten Beamten jagen, Friedrich Merz stören sie im Stadtbild, und man möchte ihn fragen, ob er es seinem Buddy, dem US-Präsidenten, bald gleichtun möchte.

Daher sorgt es für Schlagzeilen, wenn eine Regierung sich einmal dagegen entscheidet, die Migration als die Wurzel allen Übels zu betrachten und zu behandeln. Spanien tut das und profitiert. ›Spanien ist ein Vorbild für die Welt‹, titelte die New York Times im August dieses Jahres. Der Economist kürte das Land gar zur weltbesten Volkswirtschaft 2024 und begründete die Entscheidung mit dem Ansatz der sozialistischen Regierung von Pedro Sánchez in der Migrationspolitik. Spaniens Wirtschaft brummt, das Bruttoinlandsprodukt legte im vergangenen Jahr 3,4 Prozent zu, während es im EU-Schnitt gerade einmal 0,8 Prozent waren. Auch für dieses und kommendes Jahr wird ein Wachstum von mindestens 2 Prozent prognostiziert. ›Dies wurde durch viele Touristen und viele Einwanderer erreicht‹, erklärte der Wirtschaftsprofessor Javier Díaz-Giménez gegenüber dem Guardian

Die Regierung weiß, dass Spanien, das die zweitniedrigste Geburtenrate in der EU aufweist, etwa 250.000 Migranten pro Jahr braucht, um seinen Wohlstand zu halten. Daher pfeift sie darauf, was in Sachen Migration als Konsens gilt:  Abwehr, Abschottung, Das-Boot-ist-voll-Metaphern. Spanien verfolgt einen anderen Weg: das Prinzip des ›Arraigo‹ (Verwurzelung). Es erlaubt Menschen, die legal oder illegal im Land leben, relativ unkompliziert einen Aufenthalts-und Arbeitstitel zu erhalten. Wichtig ist nachzuweisen, dass man ›integriert‹ ist, etwa einer Arbeit nachgeht, studiert, eingebunden ist in die Nachbarschaft oder in einem lokalen Fußballverein spielt. Spanisch müssen die Anwärter dafür nicht beherrschen. Im Mai trat zudem ein neues Gesetz in Kraft, das weitere Erleichterungen für Neuankömmlinge versprach, etwa die Verkürzung der Aufenthaltsfrist von drei auf zwei Jahren.

Bis 2027 erhofft sich die Regierung so, rund einer Million Menschen einen legalen Aufenthalt zu bieten. ›Die Aufnahme von Menschen, die von außerhalb kommen und ein besseres Leben suchen, ist nicht nur eine Pflicht (…), sondern auch ein wesentlicher Schritt, um den Wohlstand und die Nachhaltigkeit unseres Sozialstaats zu gewährleisten‹, erklärte Ministerpräsident Sánchez im vergangenen Herbst. Bislang gingen seine Landsleute mit ihm d’accord. Eine Studie des Think Tanks Real Instituto Elcano aus dem Jahr 2021, die Umfragen aus den vergangenen 30 Jahren auswertete, ergab, dass ›Spanien gegenüber Einwanderung durchwegs eine offenere Haltung einnimmt als der europäische Durchschnitt, mit weniger Ablehnung und einer größeren Wertschätzung für deren Beitrag zur Gesellschaft und Wirtschaft‹. 

Doch auch in Spanien kann die Sündenbockpolitik gegenüber Migrantinnen schnell um sich greifen. Im Sommer kam es in Torre-Pacheco zu Hetzjagden Rechtsextremer auf Migranten, nachdem ein Pensionist verprügelt worden war. Bei den Angreifern soll es sich um Männer aus dem Maghreb gehandelt haben. Die rechtsextreme Partei Vox, mittlerweile drittstärkste Kraft im spanischen Parlament, machte Spaniens laxe Einwanderungspolitik dafür verantwortlich. Es bleibt abzuwarten, ob sie in den nächsten Jahren die Deutungshoheit über das Thema Migration erhält, wie ihre Parteifreunde im Rest Europas – oder ob es Spanien gelingt, auf seinem Sonderweg zu bleiben. •

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