Die Quinoa-Blase
Die plötzliche weltweite Begeisterung für das ›Superfood‹ Quinoa machte arme bolivianische Bauern reich – bis das Angebot die Nachfrage überstieg und der Weltmarktpreis einbrach.
Kühl ist der Wind, den die indigenen Aymara in ihrer Sprache Wayra nennen. Seit Tausenden von Jahren weht er verlässlich Salz aus der bolivianischen Wüste auf den Altiplano, das mehr als 4.000 Meter hoch gelegene Plateau im Westen des Landes. Der Wind sorgt dafür, dass auf dem kargen Boden Boliviens der Stolz der Nation gedeiht: Quinoa. Eine Pflanze, deren senfkorngroße Samen die Aymara seit jeher mit Vitaminen, Mineralstoffen und Proteinen versorgt. Ohne Quinoa wäre ein Überleben in dieser menschenfeindlichen Umgebung kaum möglich gewesen.
April ist für Clinio Juan Silvestre Panama, Quinoa-Bauer auf dem Altiplano, der wichtigste Monat im Jahr: Die Ernte steht an. In wenigen Wochen schon wird der südamerikanische Winter mit Frost, Regen- und Hagelschauern hereinbrechen, doch nun brennt unerbittlich die Sonne. Der 56-Jährige blinzelt in das gleißende Licht, klopft sich Salzstaub von Hut und Poncho, schlurft in Sandalen über seine Felder. Die Hälfte seines Landes liegt brach, damit sich der Boden zwischen den Ernten regenerieren kann. Auf der anderen Hälfte blüht seine Quinoa in leuchtenden Farben: rot, gelb und grün, wie auf der bolivianischen Nationalflagge. Silvestre Panama streift durch krautige Pflanzen, die bis zu zweieinhalb Meter hoch in den Himmel ragen. Er greift nach einem dunkelroten Stängel mit rhombischen Blättern und reibt einen Samenstand zwischen seinen Fingern, dessen Körner auf den Boden kugeln. ›Hart wie Stein‹, sagt der Mann. ›Sie ist reif.‹ Silvestre Panama öffnet eine Flasche und besprenkelt einige Pflanzen mit dem Bier, auch dies aus Quinoa gebraut. In seiner Muttersprache Aymara murmelt er: ›Pachamama, Mutter Erde, heilige Erde, danke, dass du uns Nahrung gibst. Ohne dich sind unsere Mägen leer, ohne dich ist Leid und Not.‹ Das Gebet und die Opfergabe bringt er dar, da Pachamama, Göttin der Erde und Symbol der Fruchtbarkeit, eine gute Ernte beschert hat. Hier, auf diesem kalten, trockenen Boden, wo nicht – wie sonst überall in Südamerika üblich – Mais oder Weizen wachsen und wo bis auf sprödes Federgras auch sonst kaum Vegetation überlebt. Von seinen Quinoa-Feldern blickt Silvestre Panama auf den über 5.300 Meter hohen Vulkan Tunupa, dessen Krater sich in den Wolken versteckt. Dahinter endloses Weiß.
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