Die neuen Ziegen kommen
Die vom Hunger befeuerte Jagd nach Wildtieren bedroht die Artenvielfalt. Schneller wachsende Nutztiere sollen Landwirten einen Ausweg bieten.
Es hat nicht geregnet, sagt Levia Mugande. Das ganze Jahr nicht. ›Die Ernte hat die Hitze nicht überstanden, und wir wissen, dass das Essen knapp werden wird.‹
Mugande kommt aus dem Dorf Chivwetu in Zimbabwe, im Südosten Afrikas, eingebettet zwischen den zwei Flüssen Zambezi und Limpopo. Wie ihr geht es vielen im Land: Zimbabwe ist seit einigen Jahren massiv von Dürre betroffen: Die Lebensgrundlagen von 45 Prozent der Bevölkerung am Land sind aufgrund der häufigen Dürren bedroht. 2019 trockneten sogar die größten Wasserfälle des Kontinents, die Victoria Fälle fast aus. Laut OCHA, einer humanitären Organisation der UNO, sind 2,4 Millionen Menschen im Land akut von Hunger bedroht – Tendenz steigend.
Weil sich immer mehr Dürre-Tage aneinanderreihen, wird es vor allem im Westen des Landes immer schwieriger, Essen anzubauen. Mehr und mehr Menschen kehren deshalb zu einer alten Tradition zurück: Sie gehen jagen. Die Bauern und Bäuerinnen der Tonga-Gemeinde erlegen Impala, eine häufige Antilopenart, Perlhühner und andere Wildtiere, um sie zu essen und zu verkaufen. Sie wissen, dass das illegal ist. Der Bestand der oft geschützten Tiere wird so verringert, und sie laufen Gefahr, wegen Wilderei verhaftet zu werden. Aber, sagen Menschen wie Mugande, sie haben keine Wahl: jagen oder hungern.
Mugande lebt ein einfaches Leben. Sie hat drei Kinder, ihr Mann arbeitet Teilzeit als Handwerker in der nächsten Stadt. Viel Geld bleibt nicht für sie und ihre Familie – sie sind auf die Landwirtschaft angewiesen.
Jetzt versucht das Sustainable Wild Life Management (SWM) eine Lösung zu bieten. Das Projekt wird von der EU finanziert und versucht in fünfzehn Ländern Ernährungssicherheit und den Schutz von Wildtieren zu verbinden. ›Den Menschen Nahrung und den Wildtieren ihren Lebensraum zu bieten, das ist kompliziert‹, sagt Maxwell Phiri. ›Gerade sind die Ernten und das Vieh bedroht, von denen die Menschen abhängig sind.‹ Er ist technischer Assistent des SWM-Projekts in Zimbabwe.
Das 2018 gestartete Programm für nachhaltiges Wildtiermanagement hat 30 Landwirten in der Provinz Binga je einen Ziegenbock geschenkt. Nicht nur irgendeinen, sondern einen der Buren- und Kalahari-Ziegenart. Diese Art wächst besonders schnell und bietet so mehr Fleisch und Milch für die Landwirte. Sie erhalten die Böcke kostenlos, die monatlichen Kosten für jedes Tier belaufen sich auf etwa zehn Dollar für Futter und Medikamente. Ziegen halten Dürre gut aus und geben Milch und Fleisch. Auch wenn Getreide und Gemüse die Dürre nicht mehr überstehen, finden sie noch Futter. Die Menschen können von den Ziegen leben, sie essen oder am Markt verkaufen und müssen nicht mehr wildern oder um ihre Lebensmittelversorgung fürchten.
Gerade in Zimbabwe hat dieses Programm große Relevanz: Mehr als 60 Prozent der simbabwischen Bevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, so die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen.
In Binga, der Provinz, in der Mugande wohnt, nahe der Grenze zu Sambia, sind Nahrungsmittelversorgung und Einkommen seit Langem unsicher, was zum Teil auf Dürreperioden, hohe Temperaturen und unregelmäßige Regenfälle zurückzuführen ist. Regierungsdaten zufolge ist Binga eine der am stärksten von Armut geprägten Regionen: 88 Prozent der Menschen dort sind betroffen – um fast 20 Prozent mehr als durchschnittlich in Zimbabwe. Es ist eine Region, die die Klimakrise besonders hart trifft.
Die Ziegen entscheiden oft über Leben und Tod. Bisher haben die Ziegen, die sich mit der ersten Gruppe von Böcken gepaart haben, alle mindestens zwei Junge zur Welt gebracht, sagt Phiri von SWM. So war es auch bei Mugande und ihrem Ziegenbock. Letztes Jahr hat sie ihren ersten bekommen. Jetzt plant sie, mit einheimischen weiblichen Ziegen auf ihrem Bauernhof Ziegen zu züchten. So will sie mehr Nachkommen mit höherwertigem Fleisch auf ihrer Weide halten. Damit hofft sie auch, mehr Geld zu verdienen. Bisher lebt Mugande davon, Hühner und Rosella, die Frucht der Hibiskuspflanze, auf Märkten zu verkaufen. Dafür fährt sie nach Bulawayo, in die zweitgrößten Stadt Zimbabwes. Doch Mugande sieht die Unsicherheit und fürchtet mehr und mehr um ihr Einkommen.
Was Mugande beschäftigt und was in diesem kleinen Dorf in Zimbabwe passiert, das verweist auf eine große Spannung, die in Verbindung mit der Klimakrise steht: Sie befeuert das Artensterben. Nach Angaben des World Wide Fund for Nature (WWF) sind beispielsweise die Populationsgrößen von Wirbeltierarten in den letzten fünf Jahrzehnten um durchschnittlich 68 Prozent zurückgegangen. Die Geschwindigkeit, mit der derzeit Arten verschwinden, ist mindestens zehn- bis hundertmal höher als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre. In Zukunft wird sie weiter steigen.
Die Zerstörung von Ökosystemen macht Extremwetterereignisse häufiger und schränkt zum Beispiel Wälder dabei ein, CO2 speichern zu können.
In Zimbabwe zeigt sich, was dieser große Konflikt für das tägliche Leben von Menschen bedeutet: In vielen Regionen nimmt Dürre zu und gefährdet damit die Lebensgrundlage der Bevölkerung. Verzweifelt suchen viele nach Nahrung, beginnen womöglich zu wildern und zerstören so die Lebensräume der Tiere in der Region, womit sie die Biodviersität noch mehr gefährden. Ein Teufelskreis.
Was alles noch schlimmer macht: Weil die Klimakrise auch die Lebensräume der Tiere zerstört, gelangen immer mehr Wildtiere auf der Suche nach Nahrung und Wasser in menschliche Siedlungen. Dort wollen Bauern und Bäuerinnen ihre Familien schützen und töten die Tiere.
Die Ziegen von Binga bringen erste Verbesserungen: Einige Landwirte in der Provinz haben bereits aufgehört, Wildtiere zu jagen, sagt Tawanda Gonye, der für die veterinärmedizinische Beratung in der Provinz zuständig ist. Das liege an den neuen Ziegenrassen, die in den kommenden Jahren höhere Einkommen bringen könnten. ›Es gibt immer weniger Fälle, in denen Bauern wegen Wilderei verhaftet werden‹, so Gonye.
Auch die Mitglieder der Natural Resource Monitors, einer Gruppe junger Naturschützer, die als Umweltpolizei fungieren, sagen, dass sie seit Beginn des Projekts bei ihren Patrouillen zehnmal weniger Schlingen gefunden haben. Schlingen sind ein beliebtes Mittel zur Jagd in der Region. ›Wir glauben, dass die Menschen erkennen, wie wichtig es ist, die Wildtiere zu schützen, auch wenn es nicht genug Nahrung gibt‹, sagt Mathias Mugande, einer der Wildtierschützer in Binga.
Ähnlich beschreibt es auch Mpendulo Mwiinde, ein Bauer, der einige Dörfer entfernt von Mugande wohnt. Ihm und seinen Kollegen falle es schwer, die Jagd aufzugeben, wenn sie so wenig zu essen haben, sagt er. Aber sie beginnen zu verstehen, warum sie weniger Tiere wildern sollten. ›Wildtiere sind eine wichtige Ressource für die Zukunft, auch wenn einige der Tiere unsere Ernten zerstört und unseren Viehbestand bedroht haben‹, sagt er.
Es gelingt dem SWM also, Menschen umzustimmen und Möglichkeiten zu bieten, anders als bisher zusammenzuleben. Aber das Projekt ist kein lückenloser Erfolg: Zu Beginn waren die Bauern die Aufzucht der neuen Ziegenrassen nicht gewohnt, sagt Patrice Grimaud, der Koordinator des Programms. Das Projekt geriet ins Stocken: ›Sechs der Ziegen starben, vor allem weil sie giftige Pflanzen fraßen, die sie nicht kannten. Und wegen Schädlingen und Krankheiten‹, sagt er. Es sei außerdem noch zu früh, um den Rückgang der Wilderei in dem Gebiet allein auf den Ziegenaustausch zurückzuführen, so Grimaud.
Weitere Maßnahmen des SWM sollen Mugande, ihrer Siedlung und den Tieren in der Region helfen: Zum Beispiel hat das Projekt Landwirte mit tragbaren Viehgehegen ausgestattet. So sind die Tiere der Menschen geschützt. Statt der Jagd nach wilden Tieren schützen Zäune das Vieh. Das Projekt ermutigt die Landwirte auch, alternative Proteinquellen wie Honig, Mopanewürmer und Tamarinde zu nutzen.
Diese Maßnahme begrüßt Annette Hübschle, Forschungsstipendiatin und Expertin für illegale Wildtierwirtschaft an der Universität Kapstadt. Naturschutzprojekte sollten die Gemeinden auch darin bestärken, ihre Landwirtschaft an das veränderte Klima anzupassen, damit sie die Landwirtschaft nicht ganz aufgeben, sagt sie. Neue Nahrungsmittel auszuprobieren, sei nur ein kleiner Schritt, um die Menschen von der Jagd abzuhalten, die den mit dem Klimawandel verbundenen Hunger lindern soll.
›Man kann nicht einfach Rinder oder Vieh einführen – man muss die Produktionsmittel bereitstellen‹, sagte Hübschle. ›Für eine Viehzucht braucht es Gehege, Ställe und Wasserstellen, während ein Ackerbauer andere Dinge braucht: Zugang zu Wasser, Geräte zum Aufweichen des Bodens, Saatgut und Kompost‹, ist Hübschle sicher.
Für Mugande bringen die Ziegen mehr Perspektive. Bisher verkauft sie zweimal im Jahr einheimische Ziegen, 20 Dollar bekommt sie für eine davon. Das Geld reicht, um Lebensmittel zu kaufen und das Schulgeld für ihre Kinder zu zahlen. Manchmal auch dafür, sich noch die eine oder andere Sache zu leisten. Aber: die neuen, größeren Ziegen könnten bis zu 80 Dollar einbringen – viermal so viel. ›Ich freue mich darauf, mehr Geld mit meinen Ziegen zu verdienen‹, sagt sie. Geld, das sie sparen kann, eine Rücklage, die sonst selten bleibt. Sollte ihre Ernte ausfallen, kann sie damit Getreide kaufen, Medizin, ihre Kinder zur Schule schicken. Die Ziegen bringen für Mugande zumindest ein wenig mehr Sicherheit für ihre Zukunft. •