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Wenn Geister regieren

Jahrzehntelang hatten sich die Taliban dem Guerillakrieg verschrieben. Nun sind sie es, die Aufständische jagen. Besuch in einem Land, wo der Kampf nicht zu enden scheint, auch wenn sich die Vorzeichen ändern.

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Fotografie:
Emran Feroz
DATUM Ausgabe Juni 2022

Ein kalter Frühjahrsabend in Kabul: ›Fahrzeugpapiere?‹, fragt ein Taliban-Kämpfer an einem Checkpoint im Westen der Stadt. Walid* überreicht sie ihm. Der Talib wirft einen kurzen Blick darauf und lässt ihn passieren. Meist fahnden die Taliban nach Dieben oder bewaffneten Männern. Wer keine gültigen Papiere vorzeigen kann, droht außerdem sein Fahrzeug zu verlieren. Vor allem Pick-ups und die großen Toyota-Kombis sind bei den Taliban beliebt. ›Mich erkennen die hier in Kabul zum Glück nicht‹, sagt Walid. Was er damit meint, erklärt er später in der Wohnung seines Bruders. Walid wickelt sich in einen langen Schal ein und trinkt einen Schluck Ananassaft. Er ist kräftig gebaut und hat ein rundes Gesicht. Mittlerweile trägt er lange Haare. An den neuen Alltag muss sich der 27-Jährige erst gewöhnen.

Mehr als sieben Jahre lang hat er im Norden des Landes für eine Spezialeinheit der Afghanischen Nationalarmee (ANA) gekämpft. Sein Alltag war rau und tödlich. Walids Aufgabe war die Rückeroberung von Gebieten, die von den Taliban kontrolliert wurden. Oft glichen die Einsätze für ihn und seine Kameraden einem Himmelfahrtskommando. Viele seiner Weggefährten sind heute tot, während Walid und andere Ex-Soldaten im Schatten leben. Er ist untergetaucht im anonymen Kabul, wo er sich sicherer fühlt. Seine Heimat im Norden Afghanistans meidet er. Dort würden zu viele Menschen sein Gesicht erkennen. Das gilt auch für die Taliban, die er jahrelang unerbittlich bekämpft hat und die nun auf der Suche nach Männern wie Walid Wohnungen und Häuser durchkämmen.

Im August 2021 haben die Taliban nach zwei Jahrzehnten Krieg die Macht im Land zurückerobert. Mit dem Abzug der internationalen Truppen verließen viele führende Politiker das Land. Der ehemalige Präsident Ashraf Ghani flüchtete, kurz bevor die Taliban in die Hauptstadt einzogen. Für Walid ein bitterer Tag, den er nie vergessen wird. ›Ich wünschte, ich wäre damals gestorben. Dann müsste ich diese Schande nicht ertragen‹, sagt er mit ernstem Gesichtsausdruck. Vor allem die letzten Tage und Wochen haben verdeutlicht, dass es sich bei den vermeintlich neuen Taliban weiterhin um die alten handelt. Mädchen wird trotz zahlreicher Versprechen weiterhin der Gang in die Oberstufe verwehrt. Medien werden bedroht und zensiert. Eine strikte Geschlechterapartheid bestimmt zunehmend den Alltag. Hinzu kommt, dass Männer wie Walid gejagt werden. An das eigene Amnestiegebot für ehemalige Sicherheitskräfte halten sich die Taliban nicht. Vielmehr dürfte es sich um ein Lippenbekenntnis für die internationale Staatengemeinschaft gehandelt haben.

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