Die Rückzieher

In ganz Europa ziehen Menschen vom Land in die Städte. Was braucht es, damit sich das ändert? Eine Reise von Brüssel nach Eisenerz.

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Fotografie:
Astrid Radner
DATUM Ausgabe März 2025

An diesem klaren Jännermorgen blendet die Sonne über Eisenerz so grell, als wolle sie einen vertreiben. Zwei Frauen um die siebzig haben Sonnenbrillen auf und schauen über den Eisenerzer Freiheitsplatz. ›Da waren überall Geschäfte und Wirtshäuser‹, sagt die eine nüchtern und deutet mit ihrem roten Walkingstock Richtung Altstadt. Die Häuserfassaden, die Hauptstraße, die Reste der Weihnachtsbeleuchtung spiegeln sich in ihrer Ray-Ban. ›Das war schön, damals mit den Kindern so durchzuspazieren‹, sagt die andere Frau kaum hörbar. Ihre Mundwinkel ziehen nach unten. Sie ist ganz in lila gekleidet, trägt Windjacke und Stirnband für den Ausflug zum nahe gelegenen Leopoldsteiner See. Im 71er-Jahr sei sie nach Eisenerz gekommen, weil da was los gewesen sei. ›Nicht einmal eine Wohnung hat man gekriegt‹, sagt die andere Frau nun aufgeregt. ›Und in der Klasse waren wir 30 Kinder, heute bekommen’s nicht einmal zehn zam‹, erzählt sie noch schnell, während ein weißer Lieferwagen mit einem laminierten Schild ›Taxi‹ vor ihnen hält. Die Frauen entschuldigen sich, sie müssten jetzt mit dem Kneippverein los zum See. ›Aber nur die Füße halten wir ins Wasser‹, sagt die Frau in lila, ›nicht als Ganzes wie die Jungen.‹ 

Die Jungen sind am Vormittag in Eisenerz eine Seltenheit. Doch kleine Spuren verraten, dass es sie gibt. Ein Mann schiebt einen Kinderwagen durch die Gassen. Auf die staubigen Fenster der leerstehenden Geschäfte sind Herzen, Penisse und Initialen gemalt. 2023 wurden 12 Kinder in Eisenerz geboren. 71 Menschen starben. Über 40 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner sind über 65 Jahre alt. Schafft es Eisenerz nicht, junge Menschen wieder in die Stadt zu bringen, wird es die obersteirische Gemeinde irgendwann nicht mehr geben. Das gilt aber nicht nur für Eisenerz, sondern laut Daten von Statistik Austria für drei von zehn Gemeinden in Österreich. Besonders die Obersteiermark, Oberkärnten und das nördliche Niederösterreich kämpfen demnach mit Bevölkerungsrückgängen. Auch in der gesamten EU dünnt der ländliche Raum langsam aus, während die Städte wachsen. In den letzten Jahren sind jedoch auch neue Ideen gegen die Abwanderung entstanden. Was braucht die Jugend von heute für ein Leben am Land? Und: Gibt es doch noch Hoffnung für Kleinstädte und Dörfer wie Eisenerz? 

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