Die Stunde Null
Israelis und Palästinenser erleben derzeit eines der dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte. Trotzdem gibt es schon jetzt auf beiden Seiten Menschen, die an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten.
Videos, aufgenommen von der Terrorgruppe Hamas, die schonungslos zeigen, wie sie brutal morden, Kinder entführen, vor deren Augen ihre Eltern töten und danach den Kühlschrank plündern. Lachend. Die Aufnahmen aus dem Gazastreifen unter Dauerbombardement, tote und schwerverletzte Kinder, wo hungernde Menschen um die wenigen Fladen Brot mit Messern kämpfen. – Diese Szenen in Israel und den palästinensischen Gebieten werden das Land, die Region lange prägen. Tausende Opfer auf beiden Seiten, Erfahrungen von roher Gewalt, die von weiteren Ereignissen überwälzt werden, aber prägend bleiben. ›Die gesamte Region ist dabei, in einem Meer von Hass unterzugehen‹, fasste Ayman Safadi, der jordanische Außenminister, Mitte November die düstere Zukunftsangst vieler zusammen.
Um im Grauen Konturen einer Lösung dieses Konfliktes auszumachen, braucht es eine gewaltige Portion Optimismus. Oder mehr. ›Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.‹ Dieses Zitat von David Ben-Gurion, Staatsgründer und der erste Premierminister Israels, mag just im Jubiläumsjahr des Staates ein letzter Anker sein. 75 Jahre ist es her, als Israel entstand, statt Feiern prägt das Jubiläumsjahr wie bereits zur Stunde Null brachiale Gewalt.
Der von den Vereinten Nationen damals entworfene Teilungsplan in zwei Staaten wurde von den anderen arabischen Staaten nicht akzeptiert: zu wenig Land für die Palästinenser, zu viel für die jüdische Bevölkerung, lautete der Vorwurf. Sie erklärten Israel den Krieg. Schon vor, aber vor allem während der Kämpfe kam es zu Flucht und Vertreibung von 700.000 Palästinensern aus vielen Siedlungsgebieten. ›Nakba‹, die Katastrophe, nennen es ihre Nachkommen. Ihr Jahrestag fällt zusammen mit Israels Gründungsgedenken. So liegt in den zwei Geschichten der Keim für einen nicht enden wollenden Konflikt.
Israel gewann die erste militärische Auseinandersetzung und auch die Kriege gegen die arabischen Staaten 1967 und 1973. Eine Lösung für die Vertriebenen, die in die Nachbarländer und Gebiete des geplanten Palästinenserstaates flüchteten, blieb aus. Diese sind seit Jahrzehnten von Israel faktisch besetzt. Die Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern zur graduellen Selbstverwaltung sehen zwar partielle Selbstverwaltung vor, aber einen eigenen Palästinenser-Staat, der unabhängig ist, gibt es auch Generationen später nicht. Im Gazastreifen, in etwa so groß wie das Wiener Stadtgebiet, leben 2,3 Millionen Menschen. 97 Prozent sind die Nachfahren der Vertriebenen. Die Zeltplanen der Flüchtlingslager wurden mit eilig hochgezogenen Betonwänden einzementiert. Die jetzt zerbombten Camps waren eine Endstation jeder Lebensperspektive, wo Armut grassierte, eine Ausreise nur mit Sondergenehmigungen möglich war und ist.
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