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Die verdrängte Sprache

Kärnten feiert dieses Jahr das 100. Jubiläum seines Bestehens innerhalb der heutigen Landesgrenzen. Maßgeblich dafür war die Entscheidung der Kärntner Slowenen für Österreich. Dennoch haben viele von ihnen das Gefühl, dass ihre Sprache bis heute nicht gerne gehört wird.

DATUM Ausgabe November 2020

Ein leises Summen von den Stimmen des Chors schwingt noch nach. Die Blicke der Besucherinnen und Besucher in Kärntner Tracht richten sich rührselig auf den Männerchor. Dieser hebt zur nächsten Strophe an und besingt im deutschen Kärntner Dialekt, wie schön es ist, dass Kärnten › eins geblieben ist ‹, › frei ‹ ist, dass es › die schönste aller Heimaten ‹ ist. In Wernberg bei Villach am Radenig-Hügel legen Männer in Uniform Kränze vor einem Denkmal für die Abwehrkämpfer von 1918/19 nieder. In den Jahren zuvor waren es um die 300 gewesen, die mit Fackeln vom Dorf auf den Hügel zogen, heute versammeln sich hier coronabedingt nur rund 50 Personen. Der Bürgermeister der Gemeinde hält eine Rede, lobt den Veranstalter und Obmann des Kärntner Abwehrkämpferbundes (KAB), bevor dieser selbst die Geschichte Kärntens in ­seiner Version erzählt. Die Wörter › Slowenisch ‹ und › Zweisprachigkeit ‹ umgehen sie beide geschickt. Was für sie zählt, sind Einheit, Freiheit, Heimat – und Friede. 

Es ist der 10. Oktober, Kärntner Landes­feiertag, der zum 100. Mal an die Volksabstimmung erinnern soll, in der sich die (überwiegend slowenischsprachigen) Bewohner des Südostens Kärntens nach dem 1. Weltkrieg entschieden, zu Österreich und nicht zum damaligen Jugoslawien gehören zu wollen. Doch nicht alle im Land wollen diesen Jahrestag ­feiern.

Lena Kolter schüttelt vehement den Kopf. Halb lacht sie bei der Frage, ob sie an einer solchen Jubiläumsfeier teilnehmen würde, so absurd ist es für sie. Stattdessen organisiert sie mit den drei slowenischen Studierendenklubs aus Wien, Graz und Klagenfurt eine Gegendemo in Klagenfurt mit : › Wir wollen den 10. Oktober abschaffen, es ist ein Tag der einseitig deutschnational konnotierten Erinnerungskultur. ‹ Sie sagt es im Gespräch, und sie ruft es auf der Gegendemo. Lena Kolter ist 23, und in ihrem Leben sind zwei Dinge wichtig. Zum einen die Musik, ihr Geigenstudium an der Gustav-Mahler-Privatuniversität in Klagenfurt : › Ich will irgendwann Musik und Li­teratur verbinden. Literatur in Musik übersetzen und umgekehrt. ‹ Zum anderen ist es der Kampf darum, dass die slowenische Sprache in Kärnten nicht verschwindet und die Minderheitenrechte der Kärntner Slowenen eingehalten werden. 

Bei ihren Treffen mit DATUM trägt Lena ein Shirt mit der zweisprachigen Aufschrift › Kärnten/Koroška ‹. Diese Zwei­­sprachigkeit ist an diesem Sommertag beim Spaziergang am Klagenfurter Lendkanal ein politisches Statement. Und sie ist es seit über hundert Jahren. Zwei Sprachen in einem Bundesland, die beide gleichermaßen wert­­geschätzt werden, beide als Teil dieses Landes anerkannt werden – dafür möchte Lena einstehen. Denn für sie ist klar : Das Land Kärnten und Österreich haben es bis heute nicht geschafft, die beiden Sprachen, die in Kärnten gesprochen werden, gleichwertig anzuerkennen. Dafür, also für die Versäumnisse bei der Umsetzung von garantierten Rechten und › erlittenes Unrecht ‹, hat sich Bundespräsident Van der Bellen bei der Volksgruppe kürzlich entschuldigt.

Die slowenische Sprache ist neben dem Burgendlandkroatisch, Roma­ni, Slowakisch, Tschechisch und Ungarisch die sechste autochthone Minderheitensprache in Österreich. Rund 13.000 Personen, die in Österreich geboren sind, sprechen Slowenisch, das sind knapp acht Prozent all jener Menschen in Österreich, die nicht nur Deutsch als Umgangssprache angeben, so die Zahlen aus der letzten Volkszählung von 2001. Dabei wurde aber nicht nach der Muttersprache gefragt. Die Kärntner Slowenen sprechen zudem einen Dialekt, der sich von der slowenischen Hochsprache unterscheidet. Die Aus­sagekraft der Zahlen darüber, wie viele Kärntner Slowenen es gibt, ist also begrenzt. › Minderheiten zu zählen, erfordert immer auch ein Bekenntnis zur Sprache, die oft auch mit Identität zusammenhängt ‹, sagt Katharina Prochaz­ka, Sprachwissenschaftlerin und auch Physikerin an der Universität Wien. Sie hat sich auf Minderheitensprachen spezialisiert und wäh­­rend ihrer Forschung selbst Slowenisch gelernt, um der Sprache näherzukommen. Sich in Kärnten zur slowenischen Sprache und zur Volksgruppe zu bekennen, bedeutete in der Vergangenheit vor allem politischen Druck, in der Nazi-Zeit Verfolgung und Tod. Was bedeutet das Bekenntnis heute – und künftig ?  

In Ludmannsdorf/Bilčovs wächst Lena auf, geht in den zweisprachigen Kindergarten und danach in die zweisprachige Volks­schule. Zu Hau­se spricht sie mit der Familie Slowenisch. Deutsch lernt sie von ihren Mitschülern, Lehrern und Bekannten außerhalb der Familie. Mit elf Jahren, als sie das erste Mal in den Bus zum zweisprachigen Gymnasium nach Klagenfurt/Celovec fährt, ­ändert sich viel. Der Busfahrer behandelt sie anders, ist abweisend, als er hört, dass sie Slowenisch spricht. Sie erkennt, dass ihre Muttersprache in Klagenfurt/Celovec und vielen anderen Orten in Kärnten nicht erwünscht ist. Was für sie bisher die Alltagssprache war, gilt in der Hauptstadt des zweisprachigen Bundeslandes als › fremd ‹. Geht man durch die Gassen der Altstadt, hört und sieht man Lenas Sprache nicht. Erst im Juli 2020 ließ die SPÖ-Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz eine Tafel auf einer Sandkiste am Sommermarkt mit der Auf­schrift › Klagenfurt/Celovec ‹ abmontieren und kommentierte : › Klagenfurt ist nicht zweisprachig. ‹ Später erklärte sie in der Kleinen Zeitung, die Aussage sei › ironisch ‹ gemeint gewesen. 

› Sprache ist Politik ‹, sagt Manfred Glauninger, Sprachwissenschaftler an der ­Universität Wien, › die Entpolitisierung von Sprache ist unmöglich. ‹ Besonders in Kärnten, das als Grenzge­­­­­biet ein Spezialfall sei. Kurz vor der Volksabstimmung, 1918, endet der erste Weltkrieg. Der Vielvölkerstaat teilt sich in einzelne Nationalstaaten. › Sprachen wurden zum wichtigsten Zugehörigkeitsmerkmal im aufstrebenden ­Na­­­tio­­nalismus ‹, erklärt Glauninger. 1918 wur­de die Erste Republik ausgerufen und Deutsch-Österreich benannt. Österreich wurde zu einem eigenen Staat, aber bekannte sich zur deutschen Sprache und ­damit zu einer monolingualen Ideologie, so Glauninger. Die Menschen, die nicht Deutsch als Muttersprache hatten, wurden von einer unter vielen Gruppen innerhalb des Vielvölkerstaats zu einer sprachlichen Minderheit. › Um zu einer Minderheit zu werden, braucht es ein Staatsgefüge, und das wurde mit dieser Grenzziehung geschaffen ‹, erklärt Glauninger, der sich auf die deutsche Sprache in der Zweiten Republik spezialisiert hat. 

Nach der Ausrufung der Republik verschärfen der 1918 gegründete Staat der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat) wie auch Österreich nationale Spannungen. Slawische Truppen marschieren in Kärnten ein, erheben Anspruch auf das ­Gebiet, in dem Slowenisch gesprochen wird, paramilitärische Abwehrkämpfe ­finden statt, und beide Seiten beschallen die slowenisch sprechende Bevölkerung mit Propaganda. 1920 stimmen schließlich 59,01 Prozent für den Verbleib bei Österreich. › In der Abstimmung ging es um die Zugehö­rigkeit zu einem Staat, nicht zu einer Sprache ‹, sagt Lena. Später sei das Abstimmungsergebnis oft als › Sieg des Deutschtums ‹ über den slowenischen Bevölkerungsanteil bezeichnet worden. Dabei könne man davon ausgehen, dass fast jede zweite Stimme für den Verbleib von einer Slowenisch sprechenden Person kam, erklärt Hellwig Valentin, Historiker am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Graz. Das Institut für höhere Studien fand zuletzt heraus, dass fast ein Viertel der Deutsch sprechenden Bevölkerung für den SHS-Staat stimmte. 

Dass es 2020 der Kärntner Abwehrkämpferbund (KAB) ist, der in zahlreichen Gemeinden und Bezirken wie Völkermarkt, Spittal an der Drau oder Wernberg zusammen mit den Bürgermeistern einlädt, hundert Jahre › Freiheit Kärntens ‹ zu feiern, ist für Lena ein weiterer Beweis, dass dieser Tag besetzt von deutsch-nationaler Ideo­logie ist – und sie als Person, die auch Slowenisch spricht, ausgrenzt. Der KAB gründet sich 1955, um die Männer, die sich vor der Volksabstimmung zu einer Gruppe formierten, zu ehren. Sie hatten das Ziel, Soldaten aus dem SHS-Staat abzuwehren. › Kärnten zuerst ‹ ist seit jeher ihr Leitspruch. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) führt den Verein als rechts-extreme Vorfeldorga­nisation. 

Auf der KAB-Website heißt es, die Volksabstimmung sei › die Absage an den Na­tionalismus und ein Votum für die Einheit einer Region mit Angehörigen der deutschen und windischen Kärntner ‹. Als › Windische ‹ bezeichneten in der Monarchie die Deutschsprachigen all jene, die nicht Deutsch sprachen. › Später griffen meist deutsch-nationale Wissenschaftler den Begriff auf und etablierten so eine Gruppe, die sich vom Slowenischen abgrenzen konnte ‹, so Glau­nin­ger. Rein lin­guis­tisch gesehen sei Windisch aber keine eigene Sprache, › es ist Slowenisch, aber wie in zweisprachigen Gebieten üblich, ist es vom Kontakt mit der anderen Sprache, hier der deutschen, geprägt ‹, so Glau­ninger. › Die Win­­dischen, das wa­­­ren die »besseren Slowenen«, die »deutscheren« ‹ in den Erzählungen ihrer Großmutter, sagt Lena. Andere sprachen weiterhin Slowenisch, wehrten sich gegen die deutsche Dominanz, später gegen das faschistische Na­­zi-Re­gime. Lenas Großmutter, Ana Zablatnik, war eine davon und unterstützte die Par­tisanenkämpfe im süd­­­lichen und südöst­lichen Kärnten.

› Als sie so alt war wie ich heute, hat sie ihr Leben riskiert ‹, weiß Lena aus den Tagebüchern der Großmutter. Während des Partisanenkampfs, dem einzigen organisierten Widerstand gegen das Nazi-Regime in Österreich, wurde aus Ana Dragica. Ein Deckname für ihre Funktion als Kurier, als Schnittstelle für die Partisanen in Ludmannsdorf/Bilčovs. 1944 nahm die Gestapo sie gefangen, zum Prozess kam es nicht, 1945 wurde sie freigelassen. Für Lena ist ihre Großmutter ein Vorbild und Antifaschismus ein Lebensgrundsatz. Wie viele Kärntner Slowenen hat sie sich früh politisiert. Auch weil ihre Eltern ihr viel aus den Jahren vor Lenas Geburt erzählten. Sie haben den › Ortstafelsturm ‹ miterlebt. 

1972 lässt die Re­­gierung Kreisky zweisprachige Ortstafeln in Kärnten aufstellen, die daraufhin beschmiert und teils von Menschengruppen demontiert werden. Der 73-jährige Hellwig Valentin, damals Leiter des Kärntner Landespressedienstes, war dabei : In St. Kanzian am Klopeinersee/Škocjan v Podjuni beobachtete er, › wie dutzende Menschen die zweisprachige Ortstafel beschädigten. Die Gendarmerie hat zugesehen. ‹ Vor dem Haus des dama­ligen SPÖ-Landeshauptmanns Hans Sima, selbst Kärntner Slowene, kam es zu Protesten; wenig später trat er zurück. In den Jahren
danach blieb die Stimmung in Kärnten hitzig, der Verfassungsgerichtshof schaltete sich ein. Der Staatsvertrag von 1955 sichert zwar zweisprachige Aufschriften in den zweisprachigen Gebieten zu, definiert aber nicht genau in welchem Ausmaß. 

Ab 1989 bedient Jörg Haider sich des Themas, montiert eigenhändig Tafeln ab, versucht später die Aufstellung zu umgehen und will stattdessen kleine slowenische Zusatztafeln an den Schildern befestigen, denn : › Kärnten ist einsprachig ‹. Nach Haiders Tod einigt man sich 2011 schließlich darauf, dass in ­Ge­­meinden mit mindestens 17,5 Pro­zent Slowenisch sprechendem Bevölker­ungsanteil zweisprachige Ortstafeln vor­handen sein müssen. Mittlerweile be­schließen weitere Gemeinden – etwa St. Jakob im Rosental/Šent­jakob v Rožu – sogar freiwillig, weitere zweisprachige Ortstafeln aufzustellen und zum Beispiel auch eine slowenische Aufschrift vor der Volksschule anzubringen. 

› Sobald etwas in der Öffentlichkeit sichtbar wird, ist es von oben herab legi­timiert ‹, sagt die Linguistin Katharina Prochazka. Je präsenter, sichtbarer Mehrsprachigkeit sei, desto eher würde sie sich über Generationen hinweg normalisieren. › Zweisprachige Aufschriften im öffentlichen Raum unterstützen die Mehrheitsgesellschaft dabei, ein Bewusstsein dafür zu bekommen, dass die Region, in der sie lebt, zweisprachig ist ‹, meint auch Vesna Crnić-Grotić, Vorsitzende des Komitees der europäischen Charta für Minderheiten- und Regionalsprachen. 

Österreich ist Teil dieser Charta, die Mitgliedsstaaten stecken sich selbst Zie­le, um Regional- und Minderheitensprachen zu schützen. Wichtiger Grundsatz sei, so Crnić-Grotić, dass Staaten proaktiv Minderheitensprachen schützen und nicht erst handeln, wenn die Minderheit Medien in ihrer Sprache, Verbesserung im Schulsystem oder der Präsenz ihrer Sprache im öffentlichen Raum fordert. Anhand der Berichte der Staaten bewertet die Charta, ob diese Ziele auch erreicht wurden. Im Bericht des Landes Kärnten zum Jahr 2019 ist etwa festgehalten, dass zweisprachige Kindergärten gefördert wurden und dass Landesbedienstete Zugang zu kostenlosen Slowenisch-Sprachkursen erhalten, um Amtshandlungen bei Bedarf in dieser Sprache abzuwickeln. 

› Als einzige Landesverfassung nennt Kärnten seit 2017 die slowenische Volksgruppe namentlich ‹, setzt Landeshauptmann Peter Kaiser im Gespräch mit DATUM stolz nach. Er gilt als den Kärntner Slowenen wohlgesonnen, spricht oft von der › gemeinsamen Zukunft ‹, baut slowenische Passagen in seine Reden ein. Auch Crnić-Grotić bewertet den Umgang mit der slowenischen Sprache in Österreich als › grundsätzlich gut, vor allem in Anbetracht der Tatsache, wie komplex und geschichtsträchtig die Situation ist ‹. Empfehlungen zur Verbesserung sprach das Ministerkomitee der Charta 2018 an Österreich dennoch aus, darunter eine strukturiertere Politik zur Förderung der Minderheitensprachen im öffentlichen Raum – vor allem in Wien –, den Gebrauch der Sprache in Ämtern praktischer zu gestalten und Medien in den Minderheitensprachen zu finanzieren. 

Viele  Slowenischsprechende erzählen von dem Gefühl, dass die Sprache von immer weniger Menschen gesprochen wird, dass sie verschwindet und damit auch die Volksgruppe : 1910 bekannten sich noch über 66.000 zur slowenischen Sprache, 1923 nach der Volksabstimmung um rund die Hälfte weniger. Bei der letzten Volkszählung 2001 waren es knapp 13.000 Menschen,  30 Jahre zuvor noch rund 8.000 mehr. Wird der Sprecherkreis der Minderheitensprache also langsam, aber stetig kleiner, bis er sich unbemerkt auflöst ? Auch Experten und Volksgruppenvertreter nennen keine aktuelle Anzahl an Sprechern, denn sie sei wenig aussagekräftig. › Das Zählen von Sprechern der Minderheitensprache führt zu einer Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft. Oft wird das Wenigerwerden politisch benutzt, um die Forderung nach Rechten zu entkräften, weil sie »sowieso weniger« werden ‹, so Prochazka. Ein Grund, warum konkrete Zählungen mit der Frage nach der Sprache nicht mehr durchgeführt werden, sondern Registerzählungen erfassen, wo die Sprache genutzt wird. Außerdem verlagere sich die Funktion der slowenischen Sprache, sie verschiebe sich in die symbolische Ebene, so Glauninger. Das heißt, viele fühlen sich zwar mit der Volksgruppe verbunden, aber sprechen die Sprache wenig bis gar nicht mehr. 

Auch Lena sieht bei Bekannten, dass sie oft im ­privaten Bereich Deutsch statt Slowenisch sprechen. Die Gründe dafür sind vielfältig : Viele zieht es nach Wien oder Graz, wo der Zugang zur Sprache schwieriger, Deutsch einfach praktischer ist. Andere haben Lebenspartner, die kein Slowenisch sprechen. Für Lena gilt : › Mich zu Hause zu fühlen bedeutet, Slowenisch zu sprechen. ‹ Doch genau das war oft das Problem. Es hatte zur Folge, dass sie Kommentare wie › Geh zurück, wo du herkommst, wennʼs dir da nicht passt. In Kärnten redet man Deutsch ‹, liest oder hört, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzt. Mit den slowenischen Studentenklubs hat sie rassistische Erlebnisse in einer Broschüre gesammelt, die über hundert Seiten zählt. Während Politik und Medien sich in den letzten Jahren darauf konzentrierten, die › gemeinsame Zukunft Kärntens ‹ in den Fokus zu stellen, während Lan­deshauptmann Kaiser sagt, Kärnten ­erkenne die Zweisprachigkeit immer mehr als Bereicherung an, liest man in › 100 Jahre nichts zu feiern. Aspekte antislowenischer Kontinuität in Kärnten/Koroška ‹ von feindseligen Aussagen gegenüber der Minderheit. 

Die Menschen, die darin erzählen, berichten nicht von der › wilden Zeit ‹ während des › Ortstafelsturms ‹, son­dern aus den späten 90ern, von den Nuller-Jahren, aus der Gegenwart. Es sind Menschen in ihren 20ern, die von nächtlichen Begegnungen sprechen, die mit Schlägereien enden, weil es stört, dass die Gruppe Slowenisch spricht. Lena erzählt von ihrem Erlebnis beim › Schappen ‹, einer Tradition, bei der Kinder von Tür zu Tür gehen, Glückwünsche für das neue Jahr überbringen und dafür Kleingeld oder Süßigkeiten bekommen. Lenas Cousine konnte ein deutsches und ein slowenisches Gedicht, sie selbst zwei slowenische. An der Tür einer deutsch-sprechenden Nachbarin ist Lena aufgeregt. Sie bricht ihr Gedicht ab, weil sie sich unwohl fühlt. Nachdem die Nachbarin der Cousine Süßigkeiten gibt, sagt sie zu Lena : › Jo dir gib i nix, wal di versteh i nit ‹.

Für viele sind solche Erlebnisse Grund dafür, die Sprache seltener zu sprechen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Die Anmeldungen an Kärntens Schulen zum zweisprachigen oder zum Slowenisch-Unterricht steigen ­jedoch kontinuierlich an, so der jähr­liche Volksgruppenbericht des Landes Kärnten. In den offiziell zweisprachigen ­Gemeinden, also dort, wo das Min­der­heitenschulwesen greift, besuchen 44 Prozent der Volksschüler den zweisprachigen Unterricht oder Slowenischunterricht. Grund für die steigenden Anmeldungen sind auch Schüler, die zu Hause nicht slowenisch sprechen, aber trotzdem die zweite Sprache lernen wollen.

Nach der Volksschule sinkt die Anzahl an Schülern, im zweisprachigen Unterricht oder Slowenischunterricht im zweisprachigen Gebiet , dann aber rasant : im Schuljahr 2019/20 waren es von der ersten bis zur vierten Klasse Volksschule pro Schulstufe über 500, ab der fünften Schulstufe um die Hälfte weniger. › Damit bleibt das Sprachniveau niedrig und viele verlieren nach der Volksschule den Bezug zur Sprache ‹, kritisiert Lena. Sie ist überzeugt, dass man das System umkehren müsste : Zweisprachiger Unterricht sollte im zweisprachigen Gebiet zur Norm werden, eine Abmeldung ­natürlich möglich. Das fordert die Ini­tiative ›Slovenski konsenz za ustavna vprašanja/Slowenischer Konsens für Verfassungsrechte ‹ (SKUP), die Lena mitgegründet hat. Rund 500 Unterstützer kommen aus dem juristischen Umfeld, aus der Kultur und der Zivilgesellschaft. › Wenn ich einen utopischen Schritt ­wagen könnte, würde ich sagen, ganz Kärnten/Koroška soll das Recht auf zweisprachigen Un­terricht haben ‹, sagt Lena.

Das ist für Landeshauptmann Kaiser aber zu viel verlangt : › Ich glaube, dass wir damit manche überfordern würden. Bis vor neun Jahren wurde immerhin noch Politik mit der Volksgruppenfrage gemacht. ‹ Es mache aus seiner Sicht keinen Sinn, › Din­ge mit politischer Mehrheit durchzudrücken, ohne dass ich die Menschen, die das erleben, die das mittragen sollen, mitnehme ‹. Kärnten habe einen prozesshaften Weg gewählt, der nachhaltiger sei – mittels ­Förderungen, die etwa slowenischsprachige Kulturveranstaltungen, Dialogforen und den Ausbau von zweisprachigen Kindergärten unterstützen sollen. Auch auf Bundesebene gab es rund um das Kärntner Jubiläum ein Bekennt­nis zur Volksgruppenförderung : Diese wurde für alle sechs Minderheiten zum ersten Mal seit 25 Jahren von vier auf 7,9 Millionen Euro erhöht. Davon sollen auch die slowenischsprachige Wochenzeitung Novice und die Kirchenzeitung Nedelja profitieren. Kärnten erhält zusätzlich eine › Jubiläumsspende ‹ von vier Millionen, um Projekte zu unterstützen, die › dem Zusammenleben in Vielfalt die­nen ‹, wie es in einer Aussendung hieß.

› Ob eine Sprache gleichwertig behandelt wird, erkennt man auch daran, ob sie im offiziellen Kontext verwendet wird, ob man als Land zweisprachig auftritt ‹, meint Prochazka. Für das Jubiläumsjahr 2020 hat das Land Kärnten ein Kulturprogramm aufgestellt : nicht als › Koroška ‹, nicht als › Kärnten ‹, sondern als › Carinthija2020 ‹. Mehr als die Hälfte der über 80 Kulturprojekte kommen von slowenischen Vereinen oder Organisationen. Das Logo wurde allerdings erst zweisprachig, nachdem die Slowenisch sprechenden Projektträger darauf drängten. Die großen Plakate auf den Straßen Kärntens und die Anzeige-Sujets in den Medien sind ausschließlich auf Deutsch. Den Katalog, der alle Projekte versammelt, gibt es in zwei Versionen : in einer deutschen und einer slowenischen. › So lesen die Slowenischsprechenden die slowenische Version und die Deutschsprechenden die deutsche ‹, sagt einer der Projektgestalter von › Carinthija2020 ‹, › das separiert die Sprachgruppen ‹. Dabei würde sich die Minderheit, auch Lena, gerade etwas Gemeinsames wünschen : das Bekenntnis, dass in ganz Kärnten endlich genug Platz für mehr als eine Sprache ist. •