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›Die Vermenschlichung einer Nation‹

Wie die Linguistin Ruth Wodak die Sprache der Coronakrise analysiert.

DATUM Ausgabe Mai 2020

Ruth Wodak betritt › Google Hang­out ‹, pünktlich auf die Minute. Die Verbindung ist perfekt, sie ist längst versiert im Umgang mit allen gängigen Videokonferenzsystemen. Es ist Samstagvormittag, wir stehen am Beginn der sechsten Woche des › Shutdowns ‹ und haben uns kein kleines Thema vorgenommen: Diskurs und Sprache in Zeiten von Corona. Ganz Wissenschaftlerin dekliniert sie ihre Beo­bachtungen auf mehreren Ebenen durch. Ein zweifellos erfreulicher allgemeiner Aspekt ist die Rückkehr der Wissenschaft im öffentlichen Diskurs, nach einer Zeit der tendenziellen Wissenschaftsfeindlichkeit, in der Fakten zu ­Meinungen degradiert wurden. Doch würde sich Wodak wünschen, dass ­vermehrt auch die Sozialwissenschaften zurate gezogen würde. Es geht hier schließlich um eine riesige Intervention in unsere Gesellschaft und ihre ­Kohäsion, das gehört breiter diskutiert.

Wo es große Unterschiede gebe, sei die Inszenierung. In Deutschland zum Bespiel sind die Wissenschaftler deutlich sichtbarer als in Österreich, wodie Kommunikation ganz auf den Bun­des­­kanzler und seine Regierungsspitze ­zugeschnitten ist. Die Expertinnen und Experten, die Sozialpartner, alle würden in den Hintergrund geschoben. Der Retter heißt Kurz. Was der Diskursforscherin unangenehm auffällt, ist die ausgrenzende Rhetorik, etwa die Anrede mit › liebe Österreicher­innen und Österreicher ‹. Ein ehema­liger Student von mir aus ­England, der hier lebt und Steuern zahlt, obendrein perfekt Deutsch spricht, hat mich darauf aufmerksam gemacht, wie sehr er sich davon ausgegrenzt fühlt. Was der Sprachwissenschaftlerin regelrecht die Sprache geraubt hat, war der von Kurz mehrfach gebrauchte Begriff von einer › Wiederauferstehung nach Ostern ‹. Diese christliche Metaphorik, die Vermenschlichung der Nation, dient der Erhöhung von Kurz als Retter eben­dieses ­sogenannten Volkskörpers. Sie wird über das ganze Lang gestülpt und dabei der kulturellen und religiösen Diversität des Landes und seiner Bevöl­kerung überhaupt nicht gerecht.

Dieses Muster – der strenge Vater der Nation passt auf uns auf, sagt uns, wie wir uns verhalten müssen und dass alles gut werde, wenn wir uns nur brav an die Regeln halten und nicht zu viel hinterfragen – sieht Wodak als zentrales Element im österreichischen Corona-Narrativ. Anders als etwa in Deutschland, wo sich Angela Merkel, die zwar schon lange als Mutter der Nation beschrieben wird, nicht so ­all­­wissend gibt und auch der Wissenschaft in der Öffentlichkeit mehr Raum lässt. Noch deutlicher sei der Unterschied zu Schweden. Dort ist das Verhältnis zwischen Politik und Bevöl­kerung viel dialogischer, die Gesellschaft wird emanzipierter und mündiger gesehen. Es gibt auch Regeln und Empfehlungen, aber letztlich müssen die Menschen selbst entscheiden, was sie tun und was sie nicht tun. Ob sich das schwedische Modell aus gesundheitspolitischer Sicht als klug herausstellt, werde man wohl erst im Nachhinein beurteilen können, aber der Unterschied in diskursanalytischer Sicht sei evident.

Ein Schwerpunkt in Wodaks Forschung ist die Entstehung von Vor­ur­teilen und Ressentiments im ge­sell­schaftspolitischen Diskurs. Und natürlich ist die sich abzeichnende Wirtschaftskrise ein fruchtbarer Boden für Schuldzuweisungen und Feind­bilder. Es wird wohl gegen › die Alten ‹ gehen, gegen › die Reichen ‹. Leute, die sich dem nationalen Schulterschluss – auch so ein Begriff – entziehen, könnten wieder als › Nestbeschmutzer ‹ denunziert werden. Für populistische Politiker ist es ver­lockend, das zu instrumentalisieren. Aber wie kann man dieser absehbaren Entwicklung vorbeugen? Wodak seufzt. Wir müssen versuchen, differenziert und nicht generalisierend zu kommunizieren, nur leider läuft das der Entwicklung in den meisten Medien zuwider, wo die Dinge immer verkürzt und zugespitzt dargestellt werden. Jetzt ist guter Journalismus gefragt, der sich dieser Entwicklung entgegenstellt.