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Ding Dong

Experten erwarten in den nächsten Monaten eine Welle an Delogierungen. Bis zu 17.000 Menschen könnten betroffen sein. Für den Gerichtsvollzieher Stefan Garber* sind Wohnungsräumungen Berufsalltag.

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Illustration:
Jakub Vrba
DATUM Ausgabe Juni 2021

Das Stiegenhaus ist schmal und finster, Stefan Garber* steigt schnellen Schrittes in den 3. Stock. Von Weitem wirkt der Mitte 40-Jährige mit seiner schlanken Statur, Jeans und schwarzer Jacke recht unauffällig, doch sobald er einem direkt gegenübersteht, hat er durch sein entschlossenes Auftreten starke Präsenz. Hinter ihm gehen die Rechtsanwältin mit zwei Begleitpersonen, der Schlosser und drei Mitarbeiter eines Speditionsunternehmens. Oben angekommen klopft Stefan Garber mehrmals kräftig an die Wohnungstür. Ein etwa 50-jähriger Mann öffnet. › Guten Morgen, Herr Lichter* ‹, sagt Garber mit ruhiger, fester Stimme. Der Mann erwidert den Gruß, er kennt den Gerichtsvollzieher schon. Damals war der allerdings bei ihm, um Dinge zu pfänden. Herr Lichter steht da, in Unterhosen, T-Shirt und Schlapfen. Sein Gesicht ist bleich, er wirkt gesundheitlich angeschlagen und spricht etwas undeutlich. › Herr Lichter, heute werden Sie delogiert ‹, sagt der Gerichtsvollzieher. Der Angesprochene beginnt heftig zu husten.

Als Gerichtsvollzieher ist es Stefan Garbers Aufgabe, gerichtliche Entscheidungen faktisch durchzusetzen. Zieht ein Mieter auch nach entsprechender Entscheidung in einem Räumungsverfahren nicht aus, steht nach einigen Wochen Stefan Garber samt Möbelpackern vor der Tür und sorgt dafür, am Ende des Tages dem Vermieter die Wohnungsschlüssel übergeben zu können. Auch das Pfänden verwertbarer Gegenstände von Menschen, die beispielsweise beim Fitnesscenter oder Handyanbieter verschuldet sind, gehört zu seinem Berufsalltag.
Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen, darin sieht Stefan Garber seine Aufgabe : › Es geht nicht um den, den du rauswirfst, um den geht’s nicht. Es geht um den, der wieder zu seinem Eigentum, zu seinem Recht möchte.‹ Diese Überzeugung hat den gebürtigen Wiener vor über zwei Jahrzehnten dazu bewogen, einer von zirka 330 Gerichtsvollziehern in Österreich zu werden.

Damals arbeitete er, wie auch schon sein Vater, für ein Inkassobüro und war dafür zuständig, Zahlungen einzutreiben und Rat­envereinbarungen abzuschließen. Da­bei habe er sich oft die Befugnisse eines Gerichtsvollziehers gewünscht, also vor allem, sogenannte werthafte Gegenstände pfänden und nicht einfach an der Wohnungstüre abgewimmelt werden zu können. Deshalb absolvierte er die etwa einjährige Ausbildung. Wenn Garber von Bekannten gefragt wird, ob es nicht schlimm sei, wenn er Schuldnern quasi ihr letztes Hemd nehme, sagt er : › Aber wir Gerichtsvollzieher tun was Gutes, meiner Meinung nach, weil wir helfen den Leuten, zu ihrem Recht zu kommen. ‹

› Sein Dach über dem Kopf zu verlieren, ist eines der einschneidendsten Dinge, die einem im Leben widerfahren können ‹, sagt Garber auch. Obwohl er in seinem Job viele schwierige Situationen erlebt, habe es aber nie einen Moment gegeben, in dem er ihn am liebsten hingeschmissen hätte. Auch nervös sei er schon lange nicht mehr, wenn er an die Tür klopft, obwohl man nie wisse, was passiert. Es kann sein, dass sich der von einer Delogierung Betroffene kooperativ verhält, oder aber, dass er nicht gehen will und die Situation eskaliert. › Weinende Frau, wütender Mann, plärrende Kinder, dass sie vor dir knien und betteln, das kommt alles vor. Sogar Suizide währenddessen ‹, sagt Garber ernst. › Ich habe aber auch schon gehabt, dass jemand aufmacht und sagt » Ich weiß «, ein Plastiksackerl packt und geht. Lässt alles, wie es ist. ‹

Wenn sie aufgebrachte Menschen nicht verbal beruhigen können und diese handgreiflich werden, kann es für Gerichtsvollzieher auch gefährlich werden. Garber hat von einem Faustschlag einmal eine offene Lippe davongetragen, manche seiner Kollegen wurden durch Messerstiche verletzt. Das Oberlandesgericht Wien verzeichnete in seinem Sprengel im letzten Jahr 217 Polizeiassistenzen, wovon aber nur circa zehn Prozent auf Delogierungen entfallen. Auch laut Garber wird die Polizei weitaus öfter bei anderen Amtshandlungen gerufen, vor allem, wenn er in die Wohnung kommt, um wertvolle Gegenstände zu pfänden. Insgesamt 20 bis 30 Mal im Jahr muss er den Notruf der Polizei wählen, die dann binnen weniger Minuten zu seiner Unterstützung kommt. Ausgerüstet ist der Gerichtsvollzieher außerdem mit Pfefferspray.

Circa 36.000 Räumungsklagen und Kündigungen gab es im Jahr 2019 in Österreich, davon über 21.000 in Wien. Im Jahr 2020 waren es deutlich weniger, nämlich österreichweit circa 23.000 und über 11.000 davon in Wien. Das liegt daran, dass bedingt durch die Coronakrise auch gerichtliche Verfahren teilweise verzögert wurden und beispielsweise Wiener Wohnen generell weniger Räumungen anregte; sowie dass für die Monate März, April und Mai 2020 der Mietzins nicht einklagbar war. Angesichts dieses › Aufschubs ‹ und in Kombination mit der anhaltenden Kurzarbeit und hohen Arbeitslosigkeit wird von Experten noch im zweiten Halbjahr 2021 oder spätestens im Frühjahr 2022 eine regelrechte Lawine an Räumungen befürchtet, zumal die gestundeten Mieten im April 2021 fällig geworden sind.

Rechtlich gesehen kann ein Vermieter eine Räumungsklage dann einbringen, wenn der Mieter mit der Bezahlung der Miete im Rückstand ist oder es zu einem sogenannten › erheblich nachteiligen Gebrauch ‹ der Wohnung kommt. Auch dass ein Mieter beispielsweise die Nachbarn bedroht, kann zur gerichtlichen Aufkündigung des Mietverhältnisses und in der Folge zur Räumungsklage führen. Nach einer Gerichtsverhandlung wird über die Räumung entschieden, und der Vermieter kann die Durchsetzung beantragen. Der mit Abstand häufigste Grund für eine Räumung ist aber, wenig überraschend,dass die Miete nicht bezahlt wurde.

Es komme immer wieder vor, dass jemand völlig überrascht ist, wenn um sieben Uhr morgens der Gerichtsvollzieher vor der Türe steht, sagt Stefan Garber. Die zu Delogierenden werden zwar vom Termin verständigt, holen dieses Schreiben aber oft nicht vom Postamt ab. Dann gibt Garber den Betroffenen erst einmal etwa 20 Minuten Zeit, sich anzuziehen, die Kinder in die Schule zu schicken und die nötigsten Sachen für die nächsten Tage zusammenzupacken. Erst dann betritt er die Wohnung.

Der Vermieter oder dessen Vertreter, meistens der Rechtsanwalt, muss beim Räumungstermin anwesend sein. Stefan Garber nennt sie schlicht › Betreiber ‹, während diejenigen, die aus der Wohnung hinausmüssen die › Verpflichteten ‹ sind. Diese Begriffe des Berufsjargons unterstreichen den Eindruck, dass Stefan Garber eine gewisse emotionale Distanz hält. Ganz in diesem Sinne betont er, dass der Gerichtsvollzieher zwar Leiter der Amtshandlung ist, aber keinen Entscheidungsspielraum habe. Die Delogierung abwenden könne nach Bewilligung der Räumung nur mehr der Vermieter. Der muss auch alles organi­sieren, also einen Schlosser und ein Spe­ditionsunternehmen bestellen, sowie zwei unbeteiligte Zeugen auftreiben. Es klingt, als ob Garber die mangelnde Entscheidungsfreiheit den Umgang mit den konkreten Situationen auch ein wenig erleichtert.

Monatlich führt Stefan Garber bis zu zehn Räumungen durch. Am einfachsten sei es, wenn der Mieter nicht da ist. Nachdem der Schlosser die Wohnungstür geöffnet hat, überprüft Garber dann die Wohnung auf persönliche Wertgegenstände und Papiere, die er gerichtlich verwahren muss. Er entscheidet, welche Möbel und Gegenstände eingelagert werden. Die Zeugen sind zur Kontrolle dabei und können später gegenüber dem Mieter bestätigen, was sich in der Wohnung befand und was nicht. In ein Lager geliefert wird nur, was in gutem Zustand ist, um unnötige Kosten zu vermeiden. Die Kosten der Räumung und der Lagermiete trägt zunächst der Vermieter, letztlich treffen sie aber den Mieter, der sie dem Vermieter begleichen muss.

› Wenn die Betroffenen anwesend sind, entscheiden sie natürlich selbst über ihre Sachen. Die meisten wollen alles mithaben. Manchmal muss man die Leute dann auf die Einlagerungskosten hinweisen, ob sich das auszahlt. ‹ Wenn die Delogierten bereits über eine neue Bleibe verfügen, werden die Sachen in der Regel dorthin gebracht. Was sie nicht mitnehmen oder einlagern wollen, bleibt in der Wohnung und damit dem Vermieter überlassen. Es dauert meist nur wenige Stunden, bis die Wohnung leer ist.

An der Wohnungstür im 3. Stock bittet Herr Lichter den Gerichtsvollzieher nach seinem Hustenanfall, ob er nicht in der Wohnung bleiben könnte, wenn er noch schnell zur Bank geht und die offene Summe bezahlt. Die anwesende Anwältin fragt Herrn Lichter : › Wenn Sie die Miete bezahlen können, wieso haben Sie sich dann nicht gemeldet ? Sie haben ja auch keinen gültigen Mietvertrag mehr, darum hätten Sie sich auch kümmern sollen. ‹ Der Mann verweist auf seine Krankheit sowie den Tod seiner Frau im vergangenen Jahr. Nach einigem Hin und Her zeigt die Rechtsanwältin Verständnis : › Wenn Sie heute zur Bank gehen und sich dann bei mir melden, können Sie nochmal in der Wohnung bleiben. ‹

Dass Räumungen im letzten Moment abgebrochen werden, weil es doch noch eine Einigung gibt, kommt immer wieder vor. Tatsächlich vollzogen wurden in Österreich im Jahr 2019 über 5.000 Räumungsexekutionen, im Jahr 2020 waren es 3.706, also ebenfalls deutlich weniger. In den ersten drei Monaten des Jahres 2021 wurden über 930 Räumungsexekutionen österreichweit vollzogen, genau 520 davon im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien.

Doch was geschieht mit jemandem, der sich nicht im letzten Moment mit dem Vermieter einigt und plötzlich auf der Straße steht ? Einige Menschen können auf Freunde und Verwandte zurückgreifen und kommen vorerst bei ihnen unter. Manche landen auch in sozialen Einrichtungen und Notschlafquartieren. Die Wohnungslosenhilfe in Wien ist breit gefächert : › Es ist immer im Einzelfall und abhängig von den tagesaktuellen Kapazitäten zu schauen, wo jemand unterkommen kann und wie lange ‹, sagt Daniela Fidler vom P7 der Caritas.

Derzeit stehen in Wien neben den insgesamt 6.800 Regelplätzen circa 800 zusätzliche Schlafplätze zur Verfügung, die aus der pandemiebedingten Verlängerung der Winterpakete resultieren. In der Regel kann jedem Betroffenen, der sich an die Wohnungslosenhilfe wendet, ein Schlafplatz angeboten werden. › Zentrales Element in der Wohnungslosenhilfe ist auch die Betreuung und Begleitung, um aus vielfältigen Problemlagen heraus wieder Perspektiven zu entwickeln ‹, sagt ein Sprecher des Fonds Soziales Wien, der die Leistungen der Wiener Wohnungslosenhilfe in Kooperation mit rund 30 Partnerorganisationen gestaltet.

Viele Räumungen können aber auch durch die Arbeit in der Delogierungsprävention, wie sie beispielsweise die Fachstelle für Wohnungslosenhilfe der Volkshilfe Wien (FAWOS) betreibt, noch abgewendet werden. Einerseits kann dies durch eine Einigung mit dem Vermieter gelingen. Eine wesentliche Option ist aber auch, dass die MA 40 der Stadt Wien den Mietzinsrückstand nach entsprechendem Ansuchen übernimmt. Laut FAWOS macht die Bezahlung der Rückstände aus Steuermitteln als Maßnahme zur Wohnungssicherung jedoch nur Sinn, wenn die Wohnung in der Folge dauerhaft erhalten werden kann. Dazu muss mit den Betroffenen eine langfristige Perspektive zur Finanzierung erarbeitet werden. › Genau das wird nun aber aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und anhaltenden Kurz­arbeit immer schwieriger ‹, sagt Robert Blum, Geschäftsführer von FAWOS. › Gleichzeitig nimmt die Zahl der Menschen, bei denen sich die Miete nicht mehr ausgeht, zu. Wenn man all das ­bedenkt, weiß man, da wird eine Katastrophe auf uns zukommen. ‹

Es gibt auch Delogierungen, die selbst dem erfahrenen Gerichtsvollzieher Stefan Garber nahe gehen, meistens dann, wenn Kinder betroffen sind. Garber ist selbst Vater einer Tochter. › Das Kinderzimmer muss leer sein ‹, sagt er. › Das ist für mich oberste Priorität, wenn ich eine Wohnung räume. Jedes Stofftier muss mit, jedes Bild. Die Kinder sollen so wenig wie möglich leiden. Ob sich das die Eltern dann abholen von der Spedition, weiß ich nicht. Die Kinder gehen in die Schule und kommen nie wieder in ihr Zuhause zurück, nie wieder. Das Kind weiß nicht, was passiert und was auf es zukommt, dass sie nie wieder zurückkommen in ihr Bettchen. ‹

Was aus all seinen Erfahrungen die bisher schwierigste Delogierung war, kann Stefan Garber nach 25 Dienstjahren nicht beantworten. Aber es passiert beispielsweise auch, dass er Tote in der Wohnung findet. Zum Delogierungstermin kommt es dann schlicht deshalb, weil die Person aufgrund ihres Ablebens die Miete nicht mehr bezahlt hat. Stefan Garber ist das in seiner Laufbahn bereits vier Mal widerfahren. › Da trifft es einen natürlich auch menschlich. Wenn einer niemandem abgeht. ‹ In einem solchen Fall wird die Delogierung abgebrochen und die Wohnung der Polizei übergeben. Immer wieder, berichtet Garber, trifft er auch auf einsame Haustiere, die mit etwas Wasser und Futter von ihren Besitzern in der Wohnung zurückgelassen wurden.

Stefan Garber hat aber in seinem Job auch Schönes erlebt. Ein Fall fällt ihm sofort ein : Die Familie, die delogiert werden sollte, war laut einer Nachbarin vor drei Tagen auf Urlaub geflogen. Der Schlosser musste also die Wohnungstür öffnen, und Stefan Garber betrat eine äußerst schöne Wohnung, auch zwei gepflegte Katzen kamen ihm entgegen. › Mir kam alles irgendwie eigenartig vor. Es gab da glücklicherweise noch Festnetztelefone und handgeschriebene Telefonbücher, also habe ich da eine Nummer, es war die von der Mutter der Frau, gefunden und angerufen. Die ist aus allen Wolken gefallen. ‹ Die Mutter kam zur Wohnung und beglich die Mietschulden, sodass der Vermieter von der Delogierung absah. Es stellte sich heraus, dass der Ehemann alkohol- und spielsüchtig war, dies vor der Familie geheim hielt und auch den Delogierungstermin vertuschte. Die Familie wäre nach dem Urlaub vor dem Nichts gestanden. › Da war ich froh, dass ich derjenige war, der das verhindert hat, indem ich versucht habe, die Mutter zu erreichen ‹, sagt Stefan Garber. Auch wenn es wie sonst vom Vermieter abhing, dem Mieter noch eine Chance zu geben, sei es schön gewesen, dazu beizutragen.

Garber freut sich aber vor allem auch für jeden Vermieter, der seine Wohnung wieder zurückbekommt. Auch für diese sei die Situation nämlich oft belastend. › Wenn Privatwohnungen vermietet werden, geräumt werden müssen und die Vermieter dann teilweise auch noch sehen, dass ihre Wohnung völlig verdreckt ist, ist es einfach ganz schlimm und schon nochmal was anderes als zum Beispiel für Wiener Wohnen, die das quasi jeden Tag machen, wie ich ‹, meint er. Ein Delogierungsverfahren kann langwierig sein, von der Einbringung einer Räumungsklage bis zur tatsächlichen Räumung vergehen in der Regel mehrere Monate. Die Vermieter haben nicht nur den Entfall der Miete, sondern auch die Kosten für einen Anwalt und die Delogierung finanziell zu tragen. Stefan Garber ist es wichtig, dass auch diese Seite verstanden wird, er erzählt von einem älteren Ehepaar, das nach einem jahrelangen Räumungsverfahren schockiert feststellen musste, dass seine Wohnung von den Mietern komplett verwüstet worden war.

Was einen guten Gerichtsvollzieher ausmacht, ist aus seiner Sicht nicht leicht zu sagen. Es gehe jedenfalls nicht darum, möglichst nett zu allen zu sein, sondern ob man für die Gläubiger die offenen Forderungen hereinbringen kann. › Das heißt aber auch nicht, dass man schon dann gut ist, wenn man mit schlichter Zwangsgewalt alles eintreibt. ‹ Michael Lackenberger von der Schuldnerberatung Niederösterreich beschreibt das Anforderungsprofil so : ›Ein Gerichtsvollzieher muss schlichtweg ein Mensch sein, der selbst fest im Leben steht, und er soll immer die gesamte Situation des Verschuldeten, des Menschen, sehen. Da Gerichtsvollzieher ja in die Wohnung und somit in die Intimsphäre des Betroffenen eindringen, ist es wichtig, dass sie einen Blick für die Probleme des Gegenübers haben. Bis auf wenige Ausnahmen erleben wir in der Regel einen respektvollen Umgang der Gerichtsvollzieher mit Klienten. Auch einige Betroffene sagen, mit dem würden sie eigentlich privat einen Kaffee oder ein Bier trinken. ‹ Die Gerichtsvollzieher würden die Menschen oft auch erst an die Schuldnerberatungsstellen vermitteln, wodurch ihnen schon einmal geholfen sei.

Wenn es nicht um Delogierungen, sondern um die Eintreibung von offenen Forderungen geht, haben Gerichtsvollzieher insbesondere durch die Möglichkeit, Ratenzahlungen zu vereinbaren, recht viel Spielraum. › Manche Menschen tun sich nun mal schwerer damit, auf eigenen Beinen zu stehen oder mit Rechtsanwälten und Banken zu kommunizieren ‹, so Stefan Garber. Dazu könne er dann etwas beitragen. › Wenn ich dann nach oft jahrelanger Ratenzahlung den Verpflichteten anrufe und sagen kann : »Ich krieg noch so und so viel Euro von Ihnen, dann haben Sie es«, freu ich mich natürlich mit ihm, dass er das geschafft hat. ‹

Wenn er helfen kann, tut Stefan Garber das jedenfalls gern, › egal ob dem Betreiber oder dem Verpflichteten ‹. Auch im Fall von Herrn Lichter berät er mit der Rechtsanwältin, ob er – ohne dazu dienstlich verpflichtet zu sein – nach Herrn Lichter sehen soll, damit der die Zahlung nun wirklich organisiert und die Wohnung behalten kann. Er wisse von den Pfändungen bei Herrn Lichter, dass man bei ihm dranbleiben muss.

Doch was braucht es generell, um Menschen, die von einer Delogierung bedroht oder betroffen sind, zu unterstützen ? Laut FAWOS der Volkshilfe Wien sind nachhaltige Lösungen entscheidend. Seitens der Politik oder auch der Öffentlichkeit sei es zynisch, die Betroffenen darauf zu verweisen, sich um eine kleinere Wohnung oder ein höheres Einkommen zu bemühen. › Leistbarer Wohnraum ist in Wien generell knapp, ebenso Arbeitsplätze. ‹ Wichtig wäre eine Erhöhung des Arbeitslosengelds, der Notstandshilfe und der Mindestsicherung. Abgesehen von der Katastrophe auf menschlicher Ebene würde auch volkswirtschaftlich gesehen jede Delogierung und die dadurch herbeigeführte Obdachlosigkeit die ­Gesellschaft viel mehr kosten, als die Wohnung zu sichern und beispielsweise einen entsprechenden Fonds mit ausreichend öffentlichen Geldern auszustatten : › Es ist wirklich in Niemandes ­In­teresse, dass Menschen obdachlos werden. ‹

Stefan Garber holt sich nach dem Termin mit Herrn Lichter erst einmal ein Frühstück, bevor er zurück ins Büro geht. Wenn der Tag so unkompliziert weiterläuft, wird er heute nicht einmal seine Lauf-Runde brauchen, um den Kopf freizubekommen. Nach schwie­rigeren Fällen jedoch sei vor allem der Austausch mit Kollegen hilfreich, sagt der Gerichtsvollzieher, › wie wohl in jedem anderen Beruf auch. ‹ •

*Name von der Redaktion geändert.

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