Editorial März 2021

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe März 2021

Liebe Leserinnen und Leser  !

Als Martin Thür unsere Einladung, das vorliegende DATUM-Schwerpunktthema zu kuratieren, begeistert annahm, freute ich mich mehr als sonst – und Sie wollen jetzt sicher wissen, warum. Nun, das hat mit seinen und meinen beruflichen Anfängen zu tun. Ende der 1990er-Jahre befasste ich mich als Reporter der Medien-Fachzeitung Horizont intensiv mit den mühsamen Anfängen des Privatfernsehens in Österreich. Die Liberalisierung von Radio und Fernsehen kam hier­zulande viel zu spät – wofür die Republik bereits 1993 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde. Niemand in den großen Machtzentren des Landes wollte Privatfernsehen. Der ORF nicht, weite Teile der Politik, allen voran die SPÖ, auch nicht wirklich, und die allermeisten Zeitungsverleger sowieso nicht. Alle drei sagten : viel zu teuer, der Markt deutlich zu klein, und überhaupt …

Die Folge dieser Gemengelage des Unwillens war, dass es Ende der 90er kein wirkliches Privatfernsehen gab, vielmehr gestalteten kleinere oder größere Kabelnetzbetreiber ihr eigenes Programm für ihr jeweiliges Verbreitungsgebiet – oft nur eine Stunde in der Woche, meistens mit bescheidenem Aufwand, aber großer Leidenschaft, und trotzdem immer ignoriert von der Wiener Medienelite. Ein zentrales Argument für die Liberalisierung des Fernsehmarktes war damals, dass es dem Berufsstand der TV-Journalistinnen und -Journalisten gut täte, wenn es außer dem ORF noch weitere Arbeitgeber gäbe. Ich zählte mich zu den Befürwortern und höre mich noch heute Argumente wie dieses gebetsmühlenartig in die Debatte einbringen. Bei aller diskursiven Inbrunst war da aber immer auch dieser stille Zweifel. Ob eine Liberalisierung tatsächlich den Journalismus professioneller machen wird ? Und ob das wohl jemals sichtbar werden wird ?

Zeitgleich zu den unzähligen medienpolitischen Podiumsdiskussionen über das Für und Wider von Privatfernsehen in Österreich begann ein 18-jäh­riger Niederösterreicher beim lokalen Privatfernsehsender seiner Landeshauptstadt, P3.tv, mit seiner Fernsehkarriere. Sein Name: Martin Thür. Sein Weg führte schließlich nach Wien zu ATV, dem ersten ernstzunehmenden österreichweiten Privatsender, der durch ein Gesetzespaket 2001 möglich wurde. Dort fiel Thür mit innovativen Formaten und Sendungselementen auf. Couragierte und smarte Auftritte auf Twitter machten ihn schnell zur Fixgröße der ›Twitteria‹, bald war es nur eine Frage der Zeit, bis der ORF auf ihn aufmerksam werden musste. Und siehe da : Keine 20 Jahre nach seinen ersten Erfah­rungen bei P3.tv wird Thür Anchorman der ZiB2 am Sonntag. Er ist damit integraler Bestandteil der wichtigsten TV-Nachrichtensendung des Landes und quasi im Olymp des heimischen Fernsehjournalismus angekommen.

Ohne Thür hier symbolisch überfrachten zu wollen – für mich persönlich ist sein Werdegang ein Indiz dafür, dass wir damals nicht ganz falsch lagen. Aber noch wichtiger: ein Beispiel dafür, dass sich weitsichtige medienpolitische Entscheidungen lohnen, dass ihre Ergebnisse konkret sichtbar werden, wenn auch erst nach vielen Jahren. Und vielleicht am wichtigsten: Ein Auftrag, nicht damit aufzuhören, eine solche Medienpolitik einzufordern. Eine Medienpolitik, die zwischen Förderung und Anfütterung unterscheiden kann, die sich nicht dem Boulevard andient, der das strukturelle Verkümmern der demokratischen Öffentlichkeit nicht egal ist. Welche Richtung Österreichs Medienpolitik jetzt einschlägt, bestimmt, wie unsere Gesellschaft in 20 Jahren aussieht. Sie glauben mir nicht? Schauen Sie sich doch den Thür an ! •

Ich hoffe, Sie haben viel Freude mit den Seiten der Zeit  !

Ihr Sebastian Loudon