Ein Tag am Tiger-Trail in Laos
Wir gehen los. Fünf westliche Städter, zwei laotische Profis. Auf den Tiger-Trail-Touren gibt es keine Tiger, dafür einen Trail. Der Pfad ist steil und schlammig, Rutschgefahr. ›Wir nennen das laotisches Skifahren‹, sagt Tourführer Tony und lacht.
Wir stapfen durch leuchtendgrünes Dickicht. Eine Französin, eine Italienerin, die Amerikanerin Katie und ihr Freund Greg, der schon nach einer halben Stunde sein weißes Leiberl durchgeschwitzt hat. Die beiden wollen demnächst von New York nach Seattle ziehen, weil es dort grüner sei. First World Problems in Laos. Das Land liegt zwischen Thailand und Vietnam. Bei knapp sieben Millionen Einwohnern ist es in der Fläche dreimal so groß wie Österreich und, nimmt man das BIP pro Kopf, etwa 14-mal ärmer.
Unser Führer Tony ist ein drahtiger Mann Mitte zwanzig, die Kappe trägt er verkehrt, er lacht viel. Tonys Tiger-Trail-Kollege Thong lacht heute seltener. Ein paar der Hühner, die er vor seinem Haus hält, sind gestern verschwunden. Thong, ein Familienvater mit Bäuchlein, wird heute noch sehr oft sagen, wie glücklich er über seinen Job als Reiseführer ist.
In der Früh haben wir für einen Tagestrip im Minivan Luang Prabang verlassen, die mit 50.000 Einwohnern viertgrößte Stadt von Laos. Vorbei an Restaurants, die mit Burgern, Milchshakes und ›Original Napoli Pizza‹ werben. Die Globalisierung hat sich tief in den laotischen Dschungel gefressen. Luang Prabang, die alte Königsstadt, ist für das Land in Südostasien so etwas wie Hallstatt für Österreich. Alles ein bisschen schöner, reicher und glatter. Hier kann es einem passieren, dass man mit einem jungen Mönch in safrangelber Robe zu plaudern beginnt. Man wird ganz besoffen von seiner buddhistischen Aura, und dann erzählt der Mönch, er möchte gern Wirtschaft studieren, am liebsten in Vancouver.
Wir erreichen ein Dorf namens Lao Theung, in dem die Volksgruppe der Khmu lebt. In Holzhütten auf Stelzen kauern Frauen und Kinder, die Männer arbeiten tagsüber auf dem Feld. Thong bittet uns, den Kindern kein Geld und keine Süßigkeiten zu geben. Die Kleinen würden sonst zu betteln beginnen.
Die Sonne knallt auf die Hütten, Greg ist ein einziger rotbärtiger Schweißtropfen. Katie fragt sich, ob es in Ordnung ist, wenn westliche Touristen wie wir jeden Tag in das Dorf kommen mit unserer Neugierde und unseren Smartphones. ›Es ist gut, dass wir da sind‹, sagt Thong. ›An Tony und mir sehen die Kinder, dass man mit Bildung viel erreichen kann.‹
Als Laos noch ein Teil von Indochina war, hatten die französischen Kolonialherren wenig Freude mit diesem Flecken Erde. Das Land am Mekong ließ sich nicht effektiv ausbeuten. Trotz Zinn, Holz, Kaffee und Opium. Über die laotische Arbeitsmoral spotteten die Franzosen: ›Die Vietnamesen pflanzen den Reis, die Kambodschaner schauen ihm beim Wachsen zu, und die Laoten hören ihn wachsen.‹
Thong und Tony gehören zu den Laoten, die sich nach Westen orientieren. Einige wandern aus, manche kehren zurück. Tony hat Business English in der Hauptstadt Vientiane studiert, in der Collegeliga Fußball gespielt.
Wir wandern tiefer in den Dschungel. Die Gespräche werden kürzer und flacher. Alle schwitzen, Greg trieft. Wir besuchen ein zweites, noch kleineres Dorf, wo Hmong wohnen. Schweine und Hühner laufen umher, Kinder schießen mit selbstgebastelten Bambuspistolen. Während der Trinkpause sagt Thong: ›Ihr könnt den Kindern die leeren Wasserflaschen hierlassen.‹ Die Kinder sehen die Flaschen ratlos an. Es fühlt sich seltsam an. Irgendwie bedrückend, Plastikflaschen als Geschenk. Thong bemerkt diese Stimmung. ›Sie freuen sich‹, sagt er. Wir gehen weiter.