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Ein Tag an einer Brücke in Nairobis Kibera-Slum

DATUM Ausgabe März 2017

Ich bin spät dran. Die Jungs nicht. Es ist nach halb zehn, als ich zur Brücke komme. Später als vereinbart, aber Wochenenden sind entspannt in Kibera, einem Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi. Mutei wäscht Schaum von einem ›Boda‹, einem Kleinmotorrad. Er begrüßt mich verlegen. Mindestens fünf Menschen hat der 22-Jährige getötet, wird er mir später erzählen. Heute passt er auf mich auf.

Die Soweto-Brücke führt über den Nairobi River, einen dunkelbraunen Bach, der sich durch Müllberge zwängt. Sie verbindet die Stadtteile Langata und Kibera und ist Treffpunkt der Soweto Boys, eines Dutzends junger Männer. ›Geläutert‹ nennt Mutei sich und seine Kollegen. Die Brücke und die Straße, die darüber führt, waren Ort ihrer zahlreichen Diebstähle und Überfälle.

Ich folge Mutei, Isaiah und Moses durch Lehmgassen den Hang hinauf. Frauen waschen Kleidung und Kinder in Plastikbottichen, Wäsche hängt tropfend an Leinen. Auf dem Boden kommen uns Füße in Flipflops entgegen, über unseren Köpfen drängen sich Säcke mit Holzkohle und Maismehl vorbei. Um elf Uhr sind wir im Abacha Yard. Auf Holzbänken entlang der Wände sitzen ein paar Frauen und Männer. Joints um zwanzig Cent werden durch die Rauchschwaden weitergereicht. Zurück an der Brücke schauen Mutei und ich einem Schwein zu, wie es sich durch den Müll frisst.

In Kibera herrscht auf den ersten Blick Chaos, auf den zweiten scheint alles möglich. Am Ende geht es eben irgendwie. Kibera hat keinen guten Ruf: arm, dreckig, gefährlich. Alles davon ist zutreffend. Letzteres lässt sich eher durch Bekanntschaften als durch Umsicht steuern. Die Sorge um Wohlbefinden und Sicherheit von Besuchern ist Ehrensache.

Mutei erzählt mir von seiner kriminellen Laufbahn. Erst waren es Ladendiebstähle, ab 14 Jahren organisierte Einbrüche. Fünf Wachmänner habe er erschossen. Mutei spricht leise und frei von Stolz. Dann sei es einmal schiefgegangen. Vom Tod seiner Kollegen erfuhr er aus der Zeitung. Später lieh er einem Freund seine Waffe. ›Er hat sie verloren.‹ Mutei reibt seinen Anglerhut. ›Und sein Leben auch.‹

Es folgte die Läuterung. Aus mit den Überfällen, her mit legalen Geschäften. Die Soweto Boys arbeiten an der Brücke an einem kleinen Imperium. Erst ein Friseurladen für Herren, nicht größer als ein Klo. Nun betreibt Moses eine Autowaschanlage. Sie besteht aus einem Kärcher und einem Wellblechstand, der Kunden Schatten spendet. Ein Kiosk ist das nächste Projekt. Die Jungs investieren gemeinsam. Nebenher jobben sie am Bau oder als Zwischenhändler. Noch immer gleicht ihr Ruf dem Kiberas. Irgendwann soll das anders sein.

Es ist drei Uhr nachmittags, heiß, und wir haben Hunger. In einem Straßenlokal bekommen wir Matumbo, Ugali und Ndengu – Kutteln, Maismehlbrei und Linseneintopf. Es schmeckt ausgezeichnet und kostet 4,50 Euro für alle vier. Dann ziehen wir herum, besuchen Freunde, treffen andere an der Brücke. Einer fertigt Sandalen aus Autoreifen und verkauft nebenher Gras. Eine frittiert Fische, ein anderer erzählt vom Fußballtraining. Ein DJ will wissen, was er einpacken müsste, würde er heute nach Österreich fliegen. Wir gehen in eine der vielen Bars, in denen illegal Gebrautes verkauft wird. Menschen werden blind davon oder verlieren ein Bein, sagt man – und trinkt einen.

Als es dunkel wird, gehe ich noch einmal über die Brücke. Eine Frau kreischt in der Nähe, lang und ausdauernd. ›Sie treiben ihr Dämonen aus‹, erklärt ein Mann, der auf dem Geländer sitzt. ›Es wird langsam zu spät für den Slum‹, nickt mir ein älterer Herr im Vorbeigehen zu. Mutei, Isaiah und Moses begleiten mich zur Hauptstraße. Mit dem Motorradtaxi bin ich in 13 Minuten zu Hause. Als ich ankomme, habe ich zwei Anrufe in Abwesenheit. Ob ich gut angekommen sei, fragen die drei. Und wann ich wiederkomme.

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