Es schimmelt

Auch viele Medien müssen aus den Irrwegen der Ära Kurz lernen.

·
Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe November 2022

Es ist eine Zumutung. Inmitten der mannigfaltigen Krisen, denen wir uns dringend zuwenden müssen, bleibt es uns nicht erspart, uns weiterhin mit der ÖVP und ihrem Korruptionsproblem auseinanderzusetzen. Wir müssen das tun, weil sie selbst nicht bereit dazu ist. Hartnäckig weigert sich das Spitzenpersonal dieser einst so staatstragenden Partei, in sich zu gehen, die Ära von Sebastian Kurz und seinen Jüngern aufzuarbeiten und einen ernsthaften und glaubhaften Neustart anzugehen. Karl Nehammer hatte die beste Gelegenheit dazu, er hat sie sträflich vorüberziehen lassen. Bereits beim Parteitag im Mai, als er mit hundert Prozent der Delegiertenstimmen zum Parteichef gewählt wurde, war jedem klar: Mit ihm wird es keine Selbstreflexion geben. Kein Wort der Einsicht, von einer Entschuldigung ganz zu schweigen. Stattdessen lieber Kraftmeierei, Durchtauchen und das Beschwören feindlicher Kräfte, die es gar so böse meinen mit der Volkspartei. 

Nachdem Nehammer als frisch gewählter Parteivorsitzender diesen Moment für eine Katharsis in schwarz/türkis verstreichen ließ, schenkte ihm das Schicksal in Gestalt von Thomas Schmid im Oktober eine zweite Gelegenheit, die Dinge richtig anzulegen. Aber auch nach dem Bekanntwerden von Schmids Geständnis vor der WKSTA ließ die ÖVP jedwede Einsicht vermissen. Dabei geht es nicht darum, Gerichtsurteile in den unzähligen Verfahren vorwegzunehmen, sondern schlicht und ergreifend, eine offensichtliche und unbestrittene politische Unkultur zu adressieren und zu reparieren. Stattdessen wiederum: Opfermythos, Starrsinn und peinliche Wehleidigkeit.

Aber es ist nicht nur die ÖVP, der es nicht gelingt, einen selbstkritischen Blick auf die in der Ära Kurz eingeschlagenen Irrwege zu werfen, daraus zu lernen und den vom Bundespräsidenten so beschriebenen ›Wasserschaden‹ am Fundament der Demokratie zu sanieren. Auch viele Medien versagen im Nachgang und zeigen auch ein Jahr nach Kurz’ Rücktritt als Bundeskanzler immer noch nicht jene dringend notwendige Distanzierung und Läuterung. Anders ist die Wohlfühl-Berichterstattung in fast allen Zeitungen anlässlich der Veröffentlichung von Kurz’ Buch ›Reden wir über Politik‹ wohl nicht zu erklären, in dem er einmal mehr unumwunden seine Missachtung gegenüber dem Parlament beschreibt. Und als er ausgewählte Journalistinnen und Journalisten zu einer szenischen Aufführung eines von ihm selbst mitgeschnittenen Telefonats mit Thomas Schmid einlädt, das seine Unschuld beweisen soll, tanzen diese doch tatsächlich an und lassen sich auf dieses lächerliche Schauspiel der ›Litigation PR‹ ein. 

In der ORF-Sendung ›Im Zentrum‹ vom 23. Oktober darf der ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker unwidersprochen propagieren, dass die neuen Medientransparenzregeln, die bereits in Begutachtung wären, hinkünftig Umtriebe wie die Österreich-Inseratenaffäre verunmög­lichen würden. Ein himmelschreiender Blödsinn oder – wahrscheinlicher – eine perfide Nebelgranate. Denn die Novelle zum Medientransparenzgesetz hat einige sinnvolle Detailergänzungen, ist aber nicht im Geringsten dazu angetan, der breiten Medienkorruption – Inserate gegen wohlwollende Berichterstattung – ein Ende zu setzen. Ganz abgesehen davon, dass der Gesetzesentwurf auch zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe (25. Oktober) immer noch nicht zur Begutachtung vorgelegt wurde.

Mit Tricksereien dieser Art wird sich die ÖVP niemals aus dem Strudel, in den sie sich von Kurz & Co. treiben ließ, befreien können. Und auch die Beauftragung des parteiinternen Ethikrates erscheint als eine viel zu spät getroffene und zudem halbherzige Maßnahme – fast wie eine lästige Pflichtübung. 

Abseits dieses unwürdigen Spektakels sind auch jene Journalistinnen und Journalisten, die sich jahrelang von Sebastian Kurz vereinnahmen ließen, gefordert, ihre Rolle und ihr Verhältnis zur Macht zu hinterfragen. Denn auch sie tragen Verantwortung für den Wasserschaden, der längst zu schimmeln begonnen hat. •

 

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen!

Ihr Sebastian Loudon

sebastian.loudon@datum.at

Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:

Bei Austria-Kiosk kaufen