Fremdbestimmt Schwarz

Was ich im Sudan über Rassismus gelernt habe.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Februar 2021

Was ich davon halte, ­ständig danach gefragt zu werden, wo ich denn ›eigentlich‹, also ›ursprünglich‹, also ›wirklich, wirklich‹ herkäme, wissen die Leser*innen ­dieser Kolumne ja bereits. Meistens spielt die Antwort nämlich keine Rolle, die Frage beschreibt nur das Anderssein. Für diese Kolumne ist sie jedoch sehr wohl von Bedeutung, weil ich sie aus dem Sudan schreibe. 

Anfang dieses Jahres flog ich nach fast drei Jahren wieder in den Sudan, und ich bin wirklich dankbar dafür, hier zu sein. Für die Sonne, das Essen, meine Großeltern und nochmals die Sonne. Hier habe ich die Möglichkeit, über alles, was in Wien passiert, nachzudenken. Erstens, weil ich komplett aus meinem Alltag herausge­rissen wurde, und zweitens, weil mich meine Großeltern tiefgehender aus­fragen, als jede*r Therapeut*in es tun könnte. 

Was sie vor allem verwundert, ist, dass mir der Aktivismus so stark am Herzen liegt. Sie können schwer nachvollziehen, warum so viele schwarze Aktivist*innen die Notwendigkeit sehen, antirassistische Bildungsarbeit zu leisten. Sie sind verwundert darüber, dass BIPOCs, die in einer weißen Mehrheitsgesellschaft aufwachsen und leben, ständig Rassismus erfahren. ­Vieles erspare ich meinen Großeltern, denn nachdem ich ihnen von brennenden Asylheimen und dem Fall von Elias erzählt habe, steht ihnen die Angst um uns ins Gesicht geschrieben. Und immer wieder die Frage : Wie kommt es, dass es in Europa so viel Rassismus gibt – und warum ist das alles nicht mittlerweile Geschichte ? 

Diese Fragen haben mich über­rumpelt. Mir ist zwar bewusst, dass Rassismus und das Schwarzsein, nicht als Hautfarbe, sondern als soziales Konstrukt, in meiner Kindheit, Jugend und vor allem in den letzten Jahren prägend waren. Die Erkenntnis darüber, wie fremdbestimmt dieser Prozess verlief, hatte ich aber erst hier im Su­dan. Um diese Kategorisierung zu verstehen, muss nämlich ein Gegensatz bestehen, in diesem Fall jener zur ­weißen Mehrheitsgesellschaft. Schwarz in einem Land aufzuwachsen, wo alle Menschen schwarz sind, ist genauso wenig besonders, wie als autochthone*r Österreicher*in in Österreich aufzuwachsen. 

Überraschend ist jedoch, dass den Menschen hier im Sudan Rassismen sehr klar bewusst sind – allerdings viel­mehr als Gesellschaft und nicht als Individuen. Im Sudan spürt man die Ausprägungen einer von Rassismus ­geprägten Geschichte in Form der prekären Situation aufgrund von post­kolonialen Wirtschaftsstrukturen. Man merkt es daran, dass trotz des Rohstoffreichtums des Landes große Teile der Bevölkerung kaum genug zum Leben haben, und daran, dass im Zuge der Kolonialisierung durch fremde Mächte willkürlich gezogene Nationalgrenzen bis heute dazu führen, dass sich hunderte Kulturen und Ethnien, die unterschiedlicher nicht sein könnten, unter einer › suda­nesischen ‹ Identität wiederfinden müssen. 

Über diese Themen sprechen die Menschen offen, als Staat und Gesellschaft haben sie mit den Folgen der rassistisch geprägten Vergangenheit zu kämpfen, aber individuelle Diskriminierung erleben sie nur bedingt. Das wurde mir erst hier, im Gespräch mit den Großeltern, so richtig bewusst. 

Was nehme ich von hier mit ? Ich bin stolz darauf, Schwarz zu sein – nicht auf meine Hautfarbe bezieht sich dieser Stolz, sondern darauf, selbst­bewusst durch die Welt zu gehen, in einer Gesellschaft, die sich in so vielen Aspekten – von der Darstellung in ­Medien und Schulen bis zu Anfeindungen auf der Straße – immer noch gegen das eigene Schwarzsein stellt. Der Kampf dagegen hört nie auf – auch, wenn es die eigene Großmut-
ter nicht verstehen kann. •