›Fuck die EU-Bürger‹

Was uns eine TV-Serie über den Maschinenraum der EU lehrt.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Mai 2024

Auf der Website von Politico Europe gibt es einen Countdown zur Europa-Wahl. Auf Sekunden genau. Als könnten es die 450 Millionen Europäerinnen kaum erwarten, Anfang Juni zu entscheiden, wer die nächsten fünf Jahre in der einzig demokratisch gewählten Institution der EU sitzt. Als müsste man die Bürger der 27 Mitgliedstaaten nicht beständig daran erinnern, dass es da noch ein Event gibt, kurz vor dem Sommer, das Beachtung verdient hat. Weil wieder die Angst im Raum steht, dass jene an Stimmen gewinnen, die kein Interesse an diesem Projekt Europa haben, die nur darauf warten, es von innen auszuhöhlen und nach ihrem Gutdünken zu gestalten. Oder schlimmer noch – nach dem Gutdünken Russlands (und Chinas).

Wie schon bei der EU-Wahl 2019 wird auch dieses Mal befürchtet, dass die kleinste Fraktion im Parlament, die rechtsextreme ›Identität und Demokratie‹, denen Parteien wie AfD und FPÖ angehören, an Zulauf gewinnen könnte. Und auch dieses Mal versucht die größte und mächtigste Parteienfamilie, die Europäische Volkspartei, ähnlich wie ihre konservativen Dependancen in ganz Europa, das zu verhindern, indem sie ihr politisches Angebot an die Wählerschaft der Rechtsextremen anpasst. Das reicht von einer verschärften Asylpolitik – Stichwort: Ruanda-Modell im EVP-Parteiprogramm, das die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten vorsieht – bis hin zum direkten Buhlen um Postfaschistinnen in den eigenen Reihen.

So werden die italienische Staatschefin Giorgia Meloni und ihre Fratelli d’Italia seit Monaten umgarnt. Ihre zehn Abgeordneten würde EVP-Fraktionsvorsitzender Manfred Weber allzu gern unter seinem Schirm wissen. Umso mehr, wenn sie bei der Wahl zulegen, wie die Umfragen suggerieren. Postfaschismus hin oder her. Wahlergebnisse zwingen schließlich zum Kompromiss. Wenn das Volk für Populistinnen und Rechtsextreme stimmt, muss man das doch anerkennen, oder?

›Fuck die EU-Bürger, ihr seid es nicht wert, dass wir uns Mühe geben, euer Leben besser zu machen. Wisst ihr was? Dass ihr die EU für scheiße haltet, liegt daran, dass ihr ignorante Arschlöcher seid. (…) Dann wählt halt alle fünf Jahre den unterhaltsamsten Clown.‹ Was nach dem Ausbruch eines frustrierten EU-Parlamentariers klingt, stammt aus der Serie ›Parlament‹. Darin folgt das Publikum dem jungen Franzosen Samy, der wenige Wochen nach dem Brexit-Referendum seine Stelle als Assistent eines inkompetenten Abgeordneten in Brüssel antritt. Zwei Staffeln lang lernt man, wie die EU aus dem Maschinenraum funktioniert – inklusive jedes dysfunktionalen Rädchens.

Und man lernt Ingeborg kennen, eine glühende Lobbyistin, die mit der Verfahrensordnung trickst, um den ›Populisten‹ eins reinzuwürgen. Und dabei auffliegt. In einem fantastischen ›Fuck‹-Monolog auf der Toilette bricht Ingeborg herunter, woran die EU krankt: ›Fuck die Franzosen und ihre übersteigerten Ideen von Europa. Kaum auszuhalten, diese Idioten, euer ganzes Land versinkt in Chaos und ihr wollt uns erzählen, wo es langgeht. (…) Fuck die Italiener und ihre politischen Experimente. Faschismus, Bunga Bunga, Vaffanculo-Politik, dem Rest der Welt immer zehn Jahre voraus im Scheißebauen. (…) Und fuck uns Deutsche. Mit eurem Predigerton habt ihr wieder die Macht an euch gerissen (…) ihr herablassenden Motherfucker.‹ Ingeborg rechnet mit allen ab, auch mit sich selbst, der abgehobenen Eurokratin. 

Und dann sagt sie den Satz, den sich jede Demokratin beim größten Frust über das Wahlvolk vorsagen muss: ›750 Volksvertreter für 750 Versionen, was die Menschen eigentlich wollen. Hart, was? Willkommen in der Demokratie, Bitch.‹ •