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Gutachten: ungenügend

Vor einem Jahr wurde Österreichs Maßnahmenvollzug reformiert. Trotzdem reißt die Kritik von Experten und Betroffenen nicht ab – vor allem an der Arbeit der Sachverständigen.

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Illustration:
Ūla Šveikauskaitė
DATUM Ausgabe Dezember 2023/Jänner 2024

 

Im Juli 2022 betritt der Psychiater Univ.-Prof. Dr. Peter Hofmann die Justizanstalt Josefstadt. Hofmann trifft an diesem Tag Michelle Wirth, 34 Jahre alt, und befragt sie zu den ihr vorgeworfenen Taten: gefährliche Drohung und Stalking. Sie schildert ihre Sicht, Gutachter Hofmann erkundigt sich nach ihrer Vorgeschichte. Anschließend stellt er fest, dass Wirth bis auf eine Migräneerkrankung ›in körperlicher Hinsicht gesund‹ sei. 

Das 47-seitige Gutachten, das Hofmann in der Folge erstellt und das im August 2022 die Staatsanwaltschaft Wien erreicht, besteht zu großen Teilen aus Aktenauszügen der Verhandlung, gefolgt von einem Befundbogen, welcher den ›psychopathologischen und neurologischen Status‹ von Wirth abbilden soll. Darunter aufgelistet sind verschiedene Felder von psychischen Störungen, wie ›Wahn‹ , ›Zwänge‹ oder ›Bewusstseinsstörungen‹. Pro Störung gibt es vier mögliche Schweregrade. 

Von den 130 möglichen Störungen hat Hofmann bei 18 Kreuze in die Kästchen gesetzt, davon fünf beim höchsten Schweregrad: Wirth habe ›eine anhaltende wahnhafte Störung‹, leide unter ›Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn‹ und dazu einem ›schweren Mangel an Krankheitsgefühl und -einsicht‹ sowie einer ›Ablehnung der Behandlung‹. Hofmanns Diagnose ist eindeutig – so scheint es zunächst. Wirth droht damit die Unterbringung für psychisch kranke Rechtsbrecher, der Maßnahmenvollzug. 

Dieser ist schon lange als Achillesferse der österreichischen Justiz bekannt. Vor einem Jahr stellte Justizministerin Alma Zadić eine Gesetzesänderung vor, um den ›Reformstillstand im Maßnahmenvollzug nach 50 Jahren zu beenden. Wir machen ihn gerechter, menschenrechtskonform und treffsicherer‹, so die Ministerin damals. Schon 2015 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Kuttner vs. Österreich Defizite am Vollzug bemängelt. Einer der Kritikpunkte des Richters Paulo Pinto de Albuquerque damals: eine ›willkürliche psychiatrische Praxis und ein Mangel an ordnungsgemäßer gerichtlicher Aufsicht‹; durch das ›Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage‹ wären ›viele abnorme Straftäter in einem perversen Kreis gefangen‹. 

Zadićs Reform wurde schließlich im Dezember 2022 mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossen, im März 2023 trat sie in Kraft. Neben stilistischen Änderungen – statt ›Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher‹ heißt es nun ›Forensisch-therapeutische Zentren‹ – wurden die Regeln für Jugendliche spezifiziert und für Terroristen verschärft. Neu ist auch, dass nun klinische Psychologen als Gutachter bestellt werden können, wenn nicht, wie eigentlich vorgeschrieben, Gutachter aus der psychiatrischen Kriminalprognostik zur Verfügung stehen. Doch sonst gab es im Bereich der Gutachten keine Änderungen. 

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