Hauptsache dagegen
Desinformation als Geschäftsmodell: Die erstaunlich erfolgreiche Online-Plattform TKP kombiniert russische Propaganda mit medizinischen Verschwörungserzählungen. Und vernetzt dadurch ›Querdenker‹ aus allen politischen Lagern.
Bei solchen Nachrichten scheint das Ende nah:
›NATO beginnt den Nuklear-Krieg gegen Russland‹
›25 Jahre weniger Lebenserwartung für »vollständig« Geimpfte‹
›USA verantwortlich für mehr als 20 Millionen Tote in 37 Ländern seit Ende des zweiten Weltkriegs‹
Diese Schlagzeilen stammen nicht aus den Fernsehstudios des russischen Staatsfunks oder einer Moskauer Trollfabrik. Ihre Verbreiter sitzen im 21. Wiener Gemeindebezirk, zumindest die Postanschrift der Redaktion liegt dort. Es sind überwiegend Österreicher, die ein Bezahlmodell anspornt, das auf Klicks basiert. So produzieren sie Headline um Headline für ihre Leserschaft und erzeugen dabei möglichst große Empörung.
Mit oft erlogenen oder zumindest höchst irreführenden Überschriften ist das selbsternannte ›Redaktionsnetzwerk‹ TKP so zu einem heimlichen Liebling von Verschwörungstheoretikern und Putin-Sympathisanten geworden. Linke und Rechte können sich gleichermaßen wohlfühlen. Vom kommunistischen Anti-Imperialisten bis zur katholischen Konservativen haben hier schon alle publiziert, die in der Welt der alternativen Medien Rang und Namen haben. TKP ist ein Spiegel dieser mittlerweile gut vernetzten Szene.
Das schlägt sich auch in den Besucherzahlen der Website nieder. Bis zu eine halbe Million Aufrufe pro Monat schafft TKP mit seinen Artikeln, mehr als Seiten wie das FPÖ-nahe unzensuriert. Das hat unlängst eine umfassende Datenanalyse von Journalisten des im Vereinigten Königreich ansässigen Online-Mediums Insight News gemeinsam mit ukrainischen IT-Aktivisten der Plattform Inform Napalm gezeigt. Beide haben bereits in der Vergangenheit unabhängig voneinander über russische Desinformations-Kampagnen berichtet. In ihrer neuesten Analyse findet sich TKP als Teil eines Netzwerks, das russische Propaganda und Falschnachrichten verbreitet.
Das liegt an den russlandfreundlichen Berichten, die von österreichischen Schreibtischen aus verfasst werden. Eine Handvoll Autoren liefert für TKP sogar Texte, die russischer Propaganda gleichen, direkt von den Straßen Moskaus in österreichische Wohnzimmer – und manchmal bis in Politikerbüros.
Wer also steckt hinter diesem Medium, das auch Menschen jenseits unserer Grenzen erreicht? Wie finanziert es sich? Und wie umgehen mit dort veröffentlichter Desinformation?
Peter F. Mayer war einst angesehener Journalist. Um die Jahrtausendwende leitete der studierte Physiker eine monatlich erscheinende Beilage der Tageszeitung Die Presse, die Trends in der IT- und Telekom-Landschaft beleuchtete. Etwa zur selben Zeit gründete er das
spätere Onlinemedium Telekom-Presse und bald darauf das Magazin PFM, das nicht nur seine Initialen im Titel trug, sondern seinen vollen Namen groß aufs Cover druckte.
Mitarbeiter von früher erinnern sich noch gut an diese Zeit. Mayer sei ein intelligenter Mann gewesen, aber diskutieren brauchte man mit ihm nicht. ›Er hatte immer Recht und daran gab es nichts zu rütteln‹, sagt eine Person, die auch deshalb die Telekom-Presse-Redaktion verließ. Das Medium sei ›Mayers Lebenswerk‹ gewesen, sagt sie. Im Jahr 2017 hätte Mayer dann eigentlich in Pension gehen wollen. Zumindest habe er seinen Mitarbeitern das angekündigt, sagt eine ehemalige Angestellte.
Doch wie wir heute wissen, kam es anders. Aus der Telekom-Presse wurde tkp.at, und Peter F. Mayer begann, auf dem einstigen Technik-Medium seinen eigenen Blog zu schreiben. Neben Smartphones und Elektroautos widmete er sich auch bald politischen Themen. Während der Pandemie wandelten sich seine Texte dann kontinuierlich, aber drastisch. Anfangs gab er noch Tipps zum Schutz vor der neuen Krankheit und zitierte den Virologen Christian Drosten. Doch nach und nach wurden Mayers Texte maßnahmenkritisch und dann verschwörungstheoretisch. Ein Wandel, der noch heute im Archiv von Mayers Blog öffentlich einsehbar ist. Aus dem Tech-Blogger wurde ein Alles-Kritiker, der vom ›Tiefen Staat‹, also einer geheimen Regierung im Hintergrund, schreibt.
Wenn alte Mitarbeiter heute sehen, was aus Mayer und der Telekom-Presse geworden ist, sind sie bestürzt. ›Ich hätte nicht gedacht, dass er so abdriften könnte‹, sagt eine Person, die einst bei ihm angestellt war. Mayer sei ein Sturkopf gewesen, auch ein überzeugter Linker, aber nie ein Verschwörungstheoretiker.
Mittlerweile prangen die krassesten Schlagzeilen auf der Startseite von TKP. Putin hätte keinen Grund gehabt, Nawalny zu töten, der Westen aber allen Grund zu lügen, steht da zum Beispiel zu lesen. Es ist eine Seite, deren Artikel die Völkerrechtswidrigkeit der russischen Invasion in der Ukraine in Frage stellen und behaupten, ›jeder einzelne Aspekt der Covid-Erzählung ist gefälscht‹.
Mit solchen Artikeln ist TKP gelungen, was nur wenige andere alternative Medien in Österreich bisher geschafft haben. ›TKP gehört zu den wenigen österreichischen Playern, die auch in Deutschland eine Rolle spielen‹, sagt der Desinformations-Analyst Dietmar Pichler vom Zentrum für digitale Medienkompetenz. Mit Halbwahrheiten und Verschwörungserzählungen holt die Plattform neben Österreichern vor allem auch ein deutsches Publikum ab, wie eine Websiten-Analyse mit dem Programm Similarweb zeigt.
Und TKP wächst seit seiner Gründung weiter. Um noch mehr Texte zu veröffentlichen, erscheinen Artikel, die zu einem Großteil bloß aus maschinellen Übersetzungen von anderssprachigen Blogbeiträgen oder Reden bestehen. Außerdem lässt Mayer eine Vielzahl an Gastautoren auf seinem Blog schreiben. Mit Beginn der Covid-Pandemie expandierte er und machte aus TKP eine Plattform für Menschen, die in herkömmlichen Medien keine Bühne mehr bekommen. So wurde sie zum Teil eines wachsenden Ökosystems, in dem ›alternative Experten‹ und Autoren von gegenseitigen Interviews und Gastbeiträgen profitieren.
Eine, die mehrmals bei TKP publizierte, ist Gudula Walterskirchen. Die ehemalige Presse-Kolumnistin war bis 2021 Herausgeberin der Niederösterreichischen Nachrichten. Ob ihrer Äußerungen zu Corona und Russland bekommt sie nur noch selten Platz in klassischen Medien. Einige Monate lang veröffentlichte sie ihre Texte also bei TKP, beendete die Arbeit für das Medium aber bald wieder. Für Mayer selbst hat sie nichts als Lob über, er sei ein toller Wissenschaftsjournalist, ihr sei aber das Honorarsystem zu kompliziert geworden, sagte Walterskirchen auf Nachfrage von DATUM.
Mayer bezahlt seine Autoren nämlich nach Klicks. Mehr Aufmerksamkeit bedeutet mehr Geld. Die Website finanziert sich durch Werbung, Spenden an Mayer und vermutlich durch Kooperationen, unter anderem mit einem Shop für Alternativmedizin auf dem Telegram-Kanal ›News von TKP‹, den fast 30.000 Menschen abonniert haben.
Einer, dem dieses Geschäftsmodell offenbar zusagt, ist der ehemalige ZackZack-Journalist Thomas Oysmüller. Interessanterweise nicht die einzige Person bei TKP, die aus dem alten Umfeld von Peter Pilz stammt. Auch eine weitere Redakteurin wechselte vom Medium des ehemaligen Grünen zum Blog von Mayer. Der selbst hat 2017 sogar kurze Zeit für die Liste Pilz in Niederösterreich kandidiert, verließ die Partei bald darauf aber, um sich wieder dem Schreiben zu widmen.
Vor allem Oysmüller ist neben Mayer heute ein fixer Bestandteil von TKP. Alte Weggefährten beschreiben ihn als manchmal schrulligen, netten Typen, der aber spätestens seit dem Ausbruch von Covid-19 immer kruderen Erzählungen anhing. Wie Herbert Kickl sei der eigentlich Linke anfangs für strenge Maßnahmen gewesen. Nachdem er ein Buch des Mediziners und Verschwörungstheoretikers Sucharit Bhakdi gelesen habe, soll Oysmüller aber eine radikale Kehrtwende gemacht haben und immer öfter mit anderen Redaktionsmitgliedern aneinandergeraten sein, erinnern sich alte Kollegen. Bald darauf verließ er ZackZack. In seiner neuen publizistischen Heimat kann Oysmüller nun unwidersprochen über Chemtrails und gegen die WHO schreiben, oft sogar in mehreren Texten pro Tag.
Und obwohl Oysmüller wie auch Mayer ursprünglich vor allem die Pandemie in den Fokus nahmen, schreiben sie auf TKP neben Texten über Covid auch immer öfter über den Ukrainekrieg und seine geopolitischen Auswirkungen. ›Vom Krieg gegen Corona zum Krieg gegen Russland‹ oder ›Russland: Covid-19 eine US-Biowaffe‹ heißen zwei Artikel auf der Website. In einem anderen Beitrag nennt man die Invasion in der Ukraine einen ›Stellvertreterkrieg der USA‹, ein klassisches Narrativ des Kremls.
Seit einigen Monaten berichtet ein Politologe namens Andrew Korybko direkt aus Moskau. Der polnisch-US-amerikanische Staatsbürger lebt seit über einem Jahrzehnt in Russland, machte am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen, einer russischen Kaderschmiede, seinen Doktor und arbeitete fünf Jahre für das seit dem Ukrainekrieg von der EU verbotene Auslandsradio Sputnik. Für TKP untersuchte er unlängst zum Beispiel, warum die Ukraine oder ihre ›westlichen Gönner‹ mit dem IS in Verbindung stehen könnten und schob den Anschlag auf die Crocus City Hall im März Washington und Kiew in die Schuhe. Die Erzählung des Kremls übernahm er dabei eins zu eins.
Andrea Drescher, die auch regelmäßig für TKP schreibt, fuhr eigenen Angaben zufolge bereits selbst nach Moskau, um von dort zu berichten. Sie führte zum Beispiel ein Interview mit der dorthin ausgewanderten Deutschen Dagmar Henn, einer ehemaligen Stadträtin der Partei Die Linke in München, die heute einen russischnationalen Propaganda-Blog führt, in dem Kiew konsequent als ›Nazigrad‹ bezeichnet wird.
Das war nicht die einzige Überschneidung von Henn und TKP. Sie arbeitet mittlerweile auch für Russia Today, kurz RT, ein Auslandsmedium des russischen Staates, das nach dem Überfall auf die Ukraine von der EU ebenfalls verboten wurde. TKP veröffentlichte trotzdem einen Text von Henn, der zuvor in RT Deutsch erschienen war, auf der eigenen Website. Sanktionen zum Trotz bieten Kanäle wie TKP dem Kreml einen Weg, seine Propaganda in Österreich zu verbreiten.
Manchmal schafft es das Medium sogar, bis zu österreichischen Politikern vorzudringen, auch ins Parlament. Die FPÖ-Nationalratsabgeordneten Peter Wurm und Dagmar Belakowitsch stellten im Jahr 2020 eine Anfrage wegen angeblicher Unzuverlässigkeit von PCR-Tests. Darin verwiesen sie auf Peter F. Mayer und seinen Blog TKP. Aber auch Alexander Koppensteiner, Vorsitzender der SPÖ-Sektion 33 in Wien-Landstraße, teilte vor einem Jahr einen Text der Seite in den Sozialen Medien. Der Leiter der ukrainischen Delegation bei der OSZE habe zu Besuch im österreichischen Nationalrat den Hitlergruß gezeigt, wurde dort behauptet.
Desinformations-Experte Dietmar Pichler sagt dazu nur so viel: ›Die Seite ist ein exzellent organisiertes Querfront-Projekt, das sowohl einen Sozialdemokraten wie auch einen FPÖler abholen kann.‹ Mit dem Begriff spricht er die zunehmende Vermischung von linken und rechten Positionen an, die mit Beginn der Covid-Pandemie noch stärker wurde. TKP bildet ihren gemeinsamen Nenner. Anders als bei Medien wie unzensuriert, die laut Pichler klar rechtspopulistische Texte veröffentlichen, würden sich bei TKP Systemgegner jeder Couleur wiederfinden.
Diese Kombination verschiedener Ideologien machte vergangenen April auch die bereits erwähnte Netzwerk-Recherche des Online-Mediums Insight News gemeinsam mit ukrainischen IT-Aktivisten deutlich. Deren Redakteure untersuchten die Berichterstattung von etwa hundert europäischen Alternativmedien und fanden reichlich Querverbindungen. Demnach publizieren diese nicht nur dieselben Themen, sondern spinnen auch prorussische Erzählungen weiter. Dabei zitieren sie ähnliche Quellen, oft auch einander gegenseitig und bringen so Menschen von Desinformationskanal zu Desinformationskanal. Mittendrin als österreichische Vertreter sind TKP und unzensuriert.
Ein genauer Blick auf die Daten zeigt aber: Fake-News-Schleudern verweisen gern auf TKP, das Medium selbst verlinkt aber vor allem auf seriöse Seiten, nicht auf seine deutschen Pendants. Der jahrelange Tech-Journalist Mayer hat seine Website nämlich für Suchmaschinen optimiert. Er verlinkt zum Beispiel Medizin-Journale und – ironischerweise – europäische Institutionen zur Bekämpfung von Desinformation. Diese Links stehen oft nicht in direktem Zusammenhang mit den Hauptaussagen der TKP-Texte, führen manchmal nur zu Startseiten angesehener Einrichtungen und sind vermutlich da, um bei Google den Eindruck zu erwecken, TKP sei eine seriöse Seite. Deshalb und wohl wegen geschickter Keywordsetzung reiht die Suchmaschine TKP besser als andere Alternativmedien ein.
Was also tun gegen die Verbreitung solcher Medien? Seiten, die Verschwörungserzählungen und russische Narrative transportieren, zu verbieten, sei rechtlich schwer möglich, ohne die Meinungsfreiheit zu gefährden, sagt Jakob-Moritz Eberl, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Wien. Ein Verbot würde die Erzählung von einer immer stärker durchgreifenden Zensur, die solche Medien verbreiten, auch eher befeuern als stoppen.
Der aktuell sinnvollste Weg sei das sogenannte Pre-Bunking. Eberl nennt es auch ›eine Impfung gegen Desinformation‹. Menschen sollten schon früh, zum Beispiel in der Schule, lernen, wie manche Verbreiter von Nachrichten absichtlich übertreiben, verdrehen, weglassen, also bewusst desinformieren. Das bedeutet: Impressum lesen, Artikel mit anderen, etablierten Medien vergleichen und allgemein verstehen, dass hinter sehr emotionalisierenden Texten oft die Absicht zu manipulieren steht. Das könne die Ausbreitung schon im Keim ersticken. Und sollten Falschnachrichten doch einem größeren Kreis bekannt werden, sagt Eberl, müssten Journalisten sie einfangen und mit Fakten widerlegen.
Manchmal ist das schwer, oft aber ganz einfach. Als TKP dem Leiter der ukrainischen Delegation bei der OSZE, Mykyta Poturajew, vorwarf, im Nationalrat den Hitlergruß gezeigt zu haben, veröffentlichte die Seite auch ein Foto des Vorfalls. Es handelte sich dabei um einen Screenshot des TV-Senders oe24, der im ›richtigen‹ Moment aufgenommen wurde. Schaut man sich das gesamte Video an, machte Poturajew nämlich keinen Hitlergruß, sondern streckte die Hand in einer winkenden Geste Richtung Plenum und formte eine Sekunde später das Victory-Zeichen. So machte Mayers Blog aus dem grüßenden Parlamentarier einen ukrainischen Nazi. Wasser auf die Mühlen Russlands und Geld in die Taschen von TKP. •