Heimat bist du großer Töchter
In Österreich gibt es mehr Gründerinnen als im EU-Schnitt. 90 Prozent des Kapitals von Investoren geht aber nach wie vor an Männer. Was läuft falsch?
Die Wirtschaftskammer jubelt, die Förderagentur Austria Wirtschaftsservice (AWS) ist stolz: Österreichs Startup-Landschaft weist einen besonders hohen Anteil sogenannter Female Startups mit mindestens einer Frau im Gründerteam auf. Der Prozentsatz dieser Startups stieg in Österreich laut Wirtschaftskammer von 2021 auf 2022 von 36 auf 39 Prozent. Das ist ein Spitzenwert in der EU, wo mit 21 Prozent nur jedes fünfte Startup eine Frau im Gründungsteam hat.
Dass Österreich gerade in Gleichstellungsfragen endlich einmal Spitzenreiter in der EU ist, mag überraschen. Zurückzuführen ist dieses Kuriosum vor allem auf öffentliche Förderungen und starke privatwirtschaftliche Netzwerke wie die Female Founders, die gezielt weiblich oder gemischt geführte Gründerteams fördern. Seit Lisa-Marie Fassl und Nina Wöss die Initiative 2016 gestartet haben, stellen sie Gründerinnen Ressourcen, Kontakte und Unterstützungs-Programme zur Verfügung, die Frauen bei Investorensuche, Pitches und Mentoringanfragen weiterhelfen. Trotz aller Bemühungen brauche es aber vor allem ›ein diverseres Ökosystem auf Seiten der Investoren‹, sagt Nina Wöss.
Denn trotz erfreulicher Gründungszahlen kommen Frauen nicht vom Fleck, wenn es ans Eingemachte geht: Der Female Funding Index, den Female Founders gemeinsam mit der Unternehmens- und Strategieberatung Ernst & Young herausgibt, weist große Diskrepanzen zwischen Finanzierungsvolumen für rein männlich und rein weiblich beziehungsweise gemischt geführte Startups auf. So gehen rund 90 Prozent des gesamten investierten Kapitals an Männer. Im Bereich des Risikokapitals, wo in Fonds große Summen privater Geldgeber investiert werden, wird die Diskrepanz noch größer geschätzt: Auf internationaler Ebene beziffert die auf Startups spezialisierte Medienplattform Sifted das Volumen, das tatsächlich bei Frauen ankommt, mit nur rund einem Prozent des gesamten am Markt investierten Risikokapitals. Man spricht dabei vom ›Gender Funding Gap‹. Und der hat unterschiedliche Gründe.
Eine der Hauptursachen ist die männlich dominierte Investorenszene: ›Investieren hat viel mit Vertrauen zu tun‹, sagt Selma Prodanovic, eine der prominentesten Business Angels Österreichs und Mitgründerin der Austrian Angels Investments Association (AAIA). Im Gegensatz zu Risikokapitalgebern stellen Business Angels ihr Privatvermögen zur Verfügung und unterstützen die Startups darüber hinaus mit ihrem Knowhow und Netzwerk. ›Menschen investieren in Menschen, die ihnen ähnlich sind‹, sagt Prodanovic. Dadurch kommen Frauen automatisch ins Hintertreffen, denn laut einer Studie des Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2022 sind nur fünf Prozent der Business Angels hierzulande weiblich. In Österreich spielen sie eine wichtige Rolle, da hier im europäischen Vergleich verhältnismäßig wenig Risikokapital zur Verfügung steht. Ob Business Angel oder Risikokapital – die (teilweise unbewussten) Vorurteile gegenüber Frauen ziehen sich durch die Finanzwelt. Gerne wird in diesem Zusammenhang von sogenannten ›Boys Clubs‹ gesprochen, die in sich geschlossen und exklusiv sind. Männer bleiben unter sich – und das meiste Geld verlässt die Boys Clubs nie.
Prodanovic frustriert die ›Bauchgefühl-Semantik‹, die dem Gender Funding Gap zugrunde liegt, sie will ›zu mehr datengetriebenen Ergebnissen kommen‹. Denn Daten, die belegen, dass gemischt geführte Startups ihren Investorinnen und Investoren höhere Renditen bescheren, gibt es. Das mache sich auch in Zahlen bemerkbar, sagt Prodanovic: ›Es zahlt sich unterm Strich einfach finanziell mehr aus, in weiblich oder divers geführte Startups zu investieren – sie sind wirtschaftlich erfolgreicher.‹
Doch diese Zahlen scheinen noch nicht bei Investoren angekommen zu sein. Laut einer Studie der Plattform ›European Women in VC‹ werden in Zentral- und Osteuropa rund 90 Prozent des verfügbaren privaten Risikokapitals von Männern vergeben. Die Partner- also Geschäftsführerebene der europäischen Risikokapital-Firmen besteht zu 93 Prozent aus Männern. Eine Möglichkeit, den Gender Funding Gap aufzulösen oder zumindest abzuschwächen, bestünde im gezielten Aufbau von weiblichen Entscheidungsträgerinnen bei Risikokapital-Gebern. Dafür bräuchte es aber wohl verbindliche Quoten. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss weist in einem Report aus dem Jahr 2022 jedenfalls darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, als weibliches Startup eine Finanzierung zu erhalten, doppelt so hoch ist, wenn die Kapitalgeberseite weiblich besetzt ist.
Durch den Gender Bias geht Kapitalgebern nicht nur die Chance auf gute Renditen verloren – vor allem Frauen entgehen sinnvolle Innovationen. Daran stört sich auch die deutsche Investorin Svenja Lassen, die deshalb beim Risikokapitalverwalter ›Gateway Ventures‹ mit der Female Investors Academy gezielt Finanzbildung für Frauen vorantreibt, um das Netzwerk weiblicher zu machen. Als Beispiel für diese Innovationslücke nennt Lassen Produkte und Services, die für Frauen in der Menopause entwickelt werden: ›Ein rein männlich besetzter Investorenkreis tut so etwas eher als Nischenthema ab, weil es sie selbst nicht betrifft und ihnen die Tragweite nicht bewusst ist.‹ Die Marktgröße werde dabei systematisch unterschätzt: ›Wenn etwas potenziell für die Hälfte der Weltbevölkerung relevant ist oder wird, dann ist das kein Nischenthema‹, ärgert sich Lassen.
Mit dem ›Fund F‹ wollen die Female Founders Lisa-Marie Fassl und Nina Wöss verhindern, dass so etwas passiert. Für den 2022 gegründete Fonds haben die beiden Frauen zwölf Millionen Euro aufgestellt, um weibliche Gründerinnen und divers besetzte Gründungsteams zu unterstützen. Investiert wird in technologische Lösungen, die ›von allen für alle entwickelt werden, um die zahlreichen globalen Krisen zu bewältigen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind‹, sagt Nina Wöss.
Eine Gründerin, die von diesem Fonds profitiert und ihren Fokus auf Produkte legt, die vor allem Frauen zugutekommen, ist Kosima Kovar. Ihre App Ada Growth soll Frauen mit kurzen, regelmäßigen Lerneinheiten dabei unterstützen, Herausforderungen im Berufsalltag besser zu meistern. Es geht um Selbstbewusstsein und darum zu lernen, Platz einzufordern und Grenzen zu setzen. Die App ist Kovars zweite Gründung. Das machte es aber nicht leichter. Anfangs versuchte die heute 27-Jährige, die Finanzierung über Eigenmittel aufzustellen. Bei Förderungen blitzte sie ab und probierte sich danach an Crowdfunding. Erst als das nicht klappte, ging sie aktiv auf Investorensuche. Und weil die Gründerin die Datenlage kannte, holte sie sich einen Mann an Bord. ›Es hilft einfach, dass ich einen männlichen Co-Founder aus dem Silicon Valley habe, der über 30 ist. Ich bin der Diversity-Bonus‹, sagt Kovar. Männer seien dort gut vernetzt, wo es Geld gibt, erklärt Kovar. Dass sie mit dem bewussten Schritt, als Frau nicht allein zu gründen, indirekt jenes System weiterträgt, das Geschlechtergerechtigkeit im Weg steht, obwohl sie etwas anbietet, das genau diesen Missstand bekämpfen will, sieht sie pragmatisch: ›Wenn ich mich damit aufhalte, das System zu ändern, komme ich nicht dazu, mein Produkt zu bauen. Und mein Produkt hilft Frauen. Ich stelle mich nicht hin und führe Grundsatzdiskussionen mit zukünftigen Investoren, wenn ich weiß: Wenn mein Co-Founder hingeht, haben wir mehr Chancen auf eine Finanzierung.‹
Dass sie Produkte für Frauen entwickeln, ist jedoch nicht der einzige Grund, warum Gründerinnen weniger Geld von Investoren bekommen als Gründer. Wenn Frauen sich in traditionell männliche Berufsfelder vorwagen, haben sie ebenso das Nachsehen. Zwar verweist man beim AWS auf einen Zuwachs weiblicher Startup-Gründungen um 20 Prozent im Geschäftsjahr 2022 im Bereich Deep Tech, der bahnbrechende neue technologische Lösungen umfasst. Dennoch seien Frauen in technologieaffinen Branchen unterrepräsentiert. ›Hier sind bereits strukturelle Unterschiede in der Studienwahl und akademischen Laufbahn zu erkennen, auf die wir als AWS kaum Einfluss nehmen können‹, sagt Prokurist Matthias Bischof. Eine aktuelle Studie des Department of Strategy and Innovation der Wirtschaftsuniversität Wien über den Gender Bias im IT-Unternehmertum zeigt aber: Selbst wenn Frauen Ausbildungen in Tech-Bereichen machen, bekommen sie deswegen nicht genau so viel Funding wie Männer. Das liege, so die Studie, nicht an Bildung oder Erfahrung der Frauen, sondern am selbstreferenziellen Prozess der Investoren: Alleine durch ihr Frau-Sein weichen Gründerinnen in der IT-Branche so weit vom ›prototypischen Gründertyp‹ ab (also ›jung, technikaffin, weiß und männlich‹), dass sie von Investoren gar nicht erst in Betracht gezogen werden.
Mit diesen Prototypen hat auch Anna Pölzl ihre Erfahrungen gemacht. Gemeinsam mit zwei männlichen Co-Gründern ermittelt und senkt ihr Startup Nista den Energiebedarf von Unternehmen. Das Produkt ist technisch, die Lösung IT-basiert. Pölzl hat Ressourcenmanagement und Umwelttechnologie an der BOKU und der TU in Wien studiert. Nista hat von der Science-to-Product-Förderung des Wiener Wirtschaftsservice profitiert. In den folgenden Finanzierungsrunden mit Investoren hat Pölzl aber auch unangenehme Erfahrungen gemacht. Bei Frauen werde eher auf die Defizite geachtet, bei Männern auf deren Potenziale: ›Bei einer 27-Jährigen mit zwei abgeschlossenen Studien hört man »du bist aber schon noch unerfahren«, bei gleichaltrigen Männern mit derselben Ausbildung heißt es »wow, der wird mal viel erreichen«‹, sagt Pölzl. Es fehle mancherorts an Augenhöhe, und auch die thematische Zuschreibung der Unternehmensbereiche sei noch von Vorurteilen geprägt: ›Wenn es um Marketing und Kommunikation ging, haben Investoren in den Gesprächen gerne mich angeschaut. Wenn es ums Geld ging, eher meine männlichen Mitgründer. Dabei bin ich für die Finanzen zuständig.‹
Was hier zutage tritt, sind also die viel beschworenen über Jahrhunderte etablierten Strukturen, die sich ändern müssten, damit Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen entstehen kann. Sie sind nur über jahrelange Bewusstseinsarbeit und Aufklärung sowie Sichtbarmachung der Frauen in allen Branchen veränderbar. Mit vermehrter Sichtbarkeit stellt sich auch ein Gefühl von mehr ›Normalität‹ ein: Die starre Einstellung zu Prototypen weicht sich auf.
Um diese strukturellen Nachteile zu beseitigen, ist auch der Staat gefragt. In Österreich kommt das meiste Geld für Startups ohnehin von dort. Den Großteil der rund einen Milliarde Euro, der in Österreich jährlich in Startups investiert wird, stellen die Förderbank Austria Wirtschaftsservice (AWS), die Wirtschaftsagentur oder die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) zur Verfügung. Diese umfassenden Unterstützungen ermöglichen es Startups, mit relativ wenig Risiko in die Gänge zu kommen.
Das lockt auch Gründungsteams aus dem Ausland. Nachhaltig ist das jedoch nicht immer. Laura Raggl ist Gründerin von ROI Ventures, einer Angel-Investorengruppe, und berät das Wirtschaftsministerium in Startup-Angelegenheiten. Sie wünscht sich mehr Wettbewerb unter den Startups in Österreich, um die Qualität der entwickelten Produkte und Services zu verbessern. Denn die relativ hohe Anzahl an Förderungen sorgt zwar dafür, dass Startups in Österreich die initialen Schritte relativ risikofrei machen können. Die Notwendigkeit, frühzeitig private Investoren zu überzeugen, bleibe dabei jedoch vielerorts auf der Strecke, sagt Raggl. Die Gründerin verweist außerdem auf klassische Standortfaktoren: Überbordende Bürokratie, fehlende Investitionsanreize für Kapitalgeber und wenig Fokus auf Internationalisierungsbestrebungen schwächen Österreich als Startup-Standort. Probleme, die alle Startups betreffen, nicht nur jene, die von Frauen gegründet werden. Für weiblich geführte Startups sieht Raggl auch Förderprogramme mit Quotenregelungen als sinnvoll an. So bietet etwa der AWS mit dem 2022 eingeführten Female Entrepreneurship Bonus höhere Förderungssummen für Projekte mit Frauen im Gründungs- und Gesellschafterinnen-Team an. Bis zu 50.000 Euro können so zusätzlich beantragt werden.
Mit diesen Förderungen ist es für Startups jedoch lange nicht getan. Denn das Geld fehlt oft in der Wachstumsphase der Jungunternehmen. Finanzierungen müssen bei Risikokapitalgebern eingetrieben werden. Und die sind eben hauptsächlich männlich. Wer also nicht auf strukturelle Systemänderungen warten will, findet in der (Be-)Förderung von Frauen in Entscheidungspositionen von Risikokapitalgebern einen starken kurzfristigen Hebel. Dabei geht es nicht allein um Bares: Der Weg zur finanziellen Gleichstellung verläuft auch und insbesondere über informelle Kanäle. ›Bei einer Frau im Investorenteam, fällt es mir viel leichter, einfach anzurufen und mal vorzuschlagen, auf einen Kaffee zu gehen, um sich auszutauschen‹, sagt Gründerin Anna Pölzl. ›Bei einem Mann merke ich, wie die natürliche Hemmschwelle oft höher ist.‹
Dabei ist der informelle Austausch oft wichtiger als das, was schwarz auf weiß in Verträgen steht. Denn beim informellen Kaffee wird Vertrauen aufgebaut – der Grundstein, auf dem Investments getätigt und die Rutschen zu wichtigen Neukontakten gelegt werden.
Frauen stehen aber auch aufgrund ihrer Interessen vor einer weiteren Hürde: Sie engagieren sich überproportional für nachhaltige und soziale Themen und bringen sich daher eher in Startups ein, die einen gesellschaftlichen Nutzen stiften. Der Trend setzt sich auch im Investmentbereich fort. Sowohl bei privaten als auch bei unternehmerischen Investments haben Frauen ›eher den Blick auf nachhaltige Lösungen als auf das schnelle Geld‹, sagt Svenja Lassen, die Frauen zu Business Angels ausbildet. Mit über 50 Prozent weiblichen Führungskräften sind Frauen im Sozialbereich ›wesentlich stärker repräsentiert als in kommerziellen Startups oder börsennotierten und staatsnahen Unternehmen‹, zeigt der Austrian Social Enterprise Monitor des Kompetenzzentrums für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship der Wirtschaftsuniversität Wien. Das ist gut für die Umwelt und eine nachhaltigere Wirtschaft sowie den Female Founding Index, aber schlecht fürs Börserl. Denn diese Bereiche sind notorisch schlecht finanziert und überdurchschnittlich stark von Förderungen abhängig, was die finanzielle Gleichstellung von gründenden Frauen erschwert.
Um diese Gleichstellung zu erreichen, bräuchte es auch dringend Verbündete unter Männern, sogenannte ›male allys‹, wie es im Business-Sprech heißt. Allein – dazu ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig. ›Momentan sind diese Mitstreiter nur jene Männer, die sich schon viel mit dem Thema beschäftigt haben‹, sagt Gründerin Anna Pölzl und macht damit auf die Begrenzungen des Konzepts aufmerksam. ›Es sind diejenigen, die begriffen haben, dass es für uns alle besser ist, wenn Frauen gleichgestellt sind. Weil wir gemeinsam viel mehr erreichen können als in unseren homogenen Bubbles.‹
Es muss sich also noch viel bewegen, damit sich die männerdominierte Startup- und Investorenszene zugunsten der Frauen dreht. Auch wenn alle Interviewpartnerinnen und -partner angeben, dass sich Erfolge abzeichnen, wenn auch in kleinen Schritten. Derzeit hängt viel an den Frauen selbst, um ihre Situation zu verbessern. Ob sie nun selbst als Business Angel aktiv werden, sich um männliche Verbündete bemühen oder sich Nischen suchen, in denen sich der männliche Prototyp noch nicht in den Köpfen der Entscheidungsträger verfestigt hat. Selbst ist die Frau. In a man’s world. •
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