Herr Heribert und die Eintropfsuppe
Warum ich bald wieder ins Café Heumarkt gehe.
Ich möchte Ihnen von meinem Lieblingscafé erzählen. Das Café Heumarkt heißt eigentlich ›Café am Heumarkt‹, aber niemand, der es regelmäßig besucht, nennt es so. Das macht insofern nichts, als das Café Heumarkt lange – und damit meine ich: viele, viele Jahre lang – nicht einmal ein Türschild hatte. Inzwischen gibt es eines, und das dürfte schon das Wesentlichste sein, was sich hier in den letzten 20 Jahren geändert hat.
Zu meinem Stammlokal wurde das Café Heumarkt, als ich begann, an der Filmakademie zu studieren. Ich hatte wenig Geld, und im Heumarkt, so fand ich bald heraus, regierte noch eine alte Tugend, die in kaum einem anderen Wiener Kaffeehaus überlebt hat: Für den Preis einer Schale Kaffee kann man hier tatsächlich einen ganzen Tag verbringen. Verglichen mit der beachtlichen Größe des Hauptraumes gibt es nur wenige Tische, und auch das ist ein Vorzug: Nirgendwo anders in Wiens Gastronomie lässt es sich so ungestört schreiben oder den eigenen Gedanken nachhängen, ohne von Quatschköpfen am Nebentisch belästigt zu werden. Gut, manchmal gab Joachim Meyerhoff in der entfernten Ecke des Raumes ein Interview, oder Ernst Molden posierte mit Hut und Gitarre auf einem der zwei außer Dienst gestellten Karamboltische für sein neues CD-Cover.
Aber all das geschah so weit von mir entfernt, dass es meine Konzentration nicht störte. Natürlich ließ ich mir von Herrn Alexander und Herrn Heribert – Letzterer meist im weißen Küchenmantel servierend – auch auftragen, am liebsten Eintropfsuppe gefolgt von Rösti mit Cremespinat und Spiegelei oder, wenn ich ein Stipendium ergattert hatte, ein Champignonschnitzel mit Reis. Empfehlen kann ich außerdem die Mohntorte mit Schlag, die wie der saisonal gebackene Marillenfleck einer freistehenden, anfallsweise wie ein Rasenmäher ratternden Kühlvitrine entnommen wird.
Natürlich kam mir irgendwann das Leben dazwischen, und heute liegt mein letzter Besuch bestimmt schon Monate zurück. Aber bald gehe ich wieder hin. Und wenn inzwischen kein Unglück passiert ist, dann wird im Café Heumarkt noch alles beim Alten sein. •
Café am Heumarkt · Am Heumarkt 15 · 1030 Wien
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