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›Ich erhole mich immer noch von der Politik‹

Wie mir Matthias Strolz seinen Bandscheibenvorfall als wertvolle Neuanschaffung verkauft hat.

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Fotografie:
Gianmaria Gava
DATUM Ausgabe Juni 2020

Matthias Strolz sitzt im Café Dommayer in Wien-Hietzing – mit ihm am Tisch zwei smarte Herren, die ein wenig unglücklich darüber scheinen, dass der nächste Termin schon da ist. Ich bin gleich bei dir. Also setze ich mich an den (über)nächsten freien Tisch, warte und werde – nicht ganz – unfreiwillig Zeuge des Gesprächs. Es geht um ein Start-Up, um Mobilität – vor allem aber um Strolzʼ Rolle dabei. Es ist eine symptomatische Szene für sein Leben nach dem Ausscheiden aus der Politik. So viele wollen etwas von ihm, seiner Energie, seiner Popularität, seiner Erfahrung, seinem Netzwerk. Nein sagen zu können, das ist ein großes Thema bei mir. Da sträubt sich das alemannische Pflichtbewusstsein, genauso wie die katholische Leidensfähigkeit, die ich immer noch in mir habe. 

Und dann erzählt er von seiner jüngsten Anschaffung, einer Lebensfreude-Amplitude. Einer was? Wenn Lebensoptionen auf mich zukommen – ­beruflich oder privat – ziehe ich mich zurück, nehme einen Einkehrschwung bei mir selbst, verbinde meinen Geist, mein Herz mit diesem Angebot. Dann stecke ich quasi den Stecker in die Lebensfreude-­Amplitude, und wenn die nicht bei mindestens 80 Prozent ausschlägt, sage ich nein. Die Verbindung mit dem Körper ist für Strolz ganz zentral. Mein Bandscheibenvorfall ist auch so eine Neuanschaffung, mit der ich in Verbindung trete. Läuft er nicht Gefahr, zu sehr ins esoterische Eck abzudriften? Das sagen Menschen so lange, bis sie ihren ersten Herz­infarkt oder ihr erstes Burnout haben. Er selbst sei früher auch körperignorant gewesen, man könne das auch alles lange ausblenden, nur würde man eben irgendwann dafür die Rechnung bezahlen. Es gibt kein Burnout, das nicht zuvor mindestens zehn blaue Briefe geschrieben hat. 

Auch Strolz spürt die Coronakrise, ein wesentliches finanzielles Standbein sind Vortragshonorare, die seit März für Monate komplett weggebrochen sind. Er sieht das als Chance. Dein größter Kunde ist immer auch dein größtes Entwicklungshemmnis, weil er so viele Ressourcen bindet. Nun hat er mehr Zeit und Energie für sein Engagement bei story.one, einem Startup, das damit angetreten ist, Storytelling und soziales Netzwerk zu verbinden und damit gleich die Verlagsbranche zu revolu­tionieren. Über diese Plattform hat Strolz auch sein jüngstes Buch publiziert. Es heißt ›Kraft und Inspiration für diese Zeit‹ und ist ein reichlich assoziatives Sammelsurium an Gedanken und Erfahrungen Strolz’scher Prägung, vermittelt über seine typischen, mächtigen Sprachbilder.

Ein Begriff, den er dabei behandelt, ist jener des Verletzlichkeitskaters. Er beschreibt den körperlichen und seelischen Erschöpfungszustand, der jenen Phasen folgt, in denen man auf öffentlicher Bühne sehr viel, zu viel manchmal, von sich selbst preisgibt. Die so­zialen Netzwerke multiplizieren die dauerhafte Öffentlichkeit und den entsprechenden Kater. Ich erhole mich im­mer noch von den Jahren in der Spitzenpolitik, Monat für Monat werden neue Spannungsschichten abgebaut. Was für ein Mordstrumm-Kater das sein muss. Eine Reprivatisierung, wie er es formuliert, kam für ihn nicht wirklich in Frage. Das lag eigentlich nicht in meiner Hand. Ich bin im Gedächtnis einer Ge­neration eingespeichert und in den kommenden Jahren geht es mir um Wirksamkeit – egal ob als Vater, Unternehmer, Publizist oder Coach. Und doch gibt es die Momente, in denen er sich die bange Frage stellt: Ist das Narzissmus, oder geht es mir wirklich um die Inspiration anderer? Und dann formuliert er eine persönliche Sorge: Ich will nie jemand sein, der sich krampfhaft produziert, nur um das Scheinwerferlicht zu erhaschen. Aber die Gefahr sei da, nicht nur bei ihm. Journalisten sind da ja auch nicht sehr weit weg. Ernsthaft jetzt?

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