›Ich setze alles auf eine Karte‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit der Direktorin des Burgtheaters, Karin Bergmann.

DATUM Ausgabe Juni 2017

Saskia Jungnikl: Als ich um das Interview angefragt habe, sagten Sie, ›Auf Leben und Tod‹ sei ganz Ihr Thema. Wie das?

Karin Bergmann: Ich riskiere viel. Ich bin in meinen Entscheidungen und dem, was ich tue, jemand, der auf eine Karte setzt. Ich denke, man muss immer auch mit totalen Abstürzen rechnen. ›Auf Leben und Tod‹ ist mir also eine Maxime, die ich richtiger für mein Leben finde als sanfte, ausgetretene Pfade.

Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, das es den Tod gibt?

Ich kann mich an keine konkrete Begebenheit in jungen Jahren erinnern. Ich hatte damals das Glück, nicht mit dem Tod konfrontiert zu werden. Als ich erwachsen war, habe ich in relativ kurzer Zeit hintereinander meine Eltern verloren, aber noch einschneidender war für mich der Tod meines jüngsten Bruders vor einigen Jahren. Er ist aus heiterem Himmel in der Nacht an Herzversagen gestorben. Da hat mich zum ersten Mal etwas, mit dem ich mich bisher nur auf intellektueller Ebene beschäftigt hatte, persönlich konfrontiert. Denn hier, auf der Bühne, ist der Tod allgegenwärtig. Wenn ich an King Lear, an das größte Memento mori auf der Bühne, an den Totenkopf von Hamlet, denke – in der Theorie war mir der Tod immer nahe. Mein Bruder war alleinstehend und letztlich habe ich mich für ihn verantwortlich gefühlt, auch als ältere Schwester. Da hadert man. Mit wem auch immer. Dieses Wissen darum, dass der Tod unserer ständiger Begleiter ist, ist mir immer präsent. Und dann glaube ich auch wieder, dass, wenn wir den Tod nicht hätten, die sowieso schon vorhandene Hybris des Menschen nicht auszuhalten wäre.

Der Tod, der den Menschen zurückstutzt?

Auf seine eigentliche Größe, ja. (lacht) Natürlich ist der Tod für mich ein reizvolles Thema, weil er für unser Metier so viel hergibt. Als ich vor drei Jahren hier angetreten bin, wusste ich schon, ich werde einen Jedermann für die Burg realisieren. Das Thema bewegt die Menschen.

Im Theater haben Themen Platz, die in der Öffentlichkeit oft gescheut werden, wie eben der Tod. Wie stark hat Sie die künstlerische Auseinandersetzung damit geprägt?

Vielleicht, dass er über diese Auseinandersetzung stärker im Bewusstsein ist, weniger gut verdrängt werden kann. Auch der eigene Tod. Wenn ich mich damit beschäftige, dann wünsche ich mir ohne Schmerzen zu sterben, nicht lange leiden zu müssen. Ich würde mich gerne in einer Gefasstheit verabschieden, im Sinne davon, das es mir bewusst ist. Ich möchte noch gestalten können. Das ist ein Wort, das mich durch mein ganzes Leben durchzieht. Auf allen Ebenen. Ich überrasche Menschen manchmal damit, dass ich über Emotionen sehr offen rede. Ich spreche Dinge immer sehr offen an.

Hängt das mit dem Theater zusammen?

Zu sehen, wie Dinge auf der Bühne öffentlich verhandelt werden – intimste und existenzialistische Dinge – das hat mir dabei geholfen, mich das zu trauen, ja.

Sie haben einmal gesagt, wenn Ihnen im Alltag langweilig wird, fragen Sie sich, wie kann ich das Leben interessanter machen. Wie gelingt das?

Mit der Annahme schwieriger Angebote? Als man mir damals angeboten hat, dieses Haus zu übernehmen, war ich aber nicht leichtfertig in meiner Entscheidung. Ich habe es gemacht, weil es mit Leidenschaft zu tun hat. Mein Leben war an einem Punkt, wo ich mich auch gut anders hätte einrichten können. Aber diese Herausforderung war für mich das Richtige. Ich kann unglaublich gut Dankbarkeit empfinden, für Kleinigkeiten des Alltags, für die Natur. Ich bin zwar auch Skeptiker, aber ich nutze jede Chance mich über Dinge zu freuen. Ich nehme alles wahr.

Sie werden das Burgtheater 2019 verlassen, wie kommen Sie mit solchen Brüchen zurecht?

Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Ich muss an mein Leben denken, an denjenigen, mit dem ich mein Leben teile. Wenn ich hier aufhöre, bin ich 66 und mein Partner 74 Jahre alt. Das sollte man berücksichtigen. Grundsätzlich gehe ich lieber zu einem Zeitpunkt, wenn alle sagen, es ist schade, als ›jetzt wird es aber Zeit‹. Vielleicht weiß ich gar nicht wohin mit meiner Energie – aber da wird mir schon etwas einfallen.

Haben Sie Angst vor der Zukunft?

Ich fürchte mich nicht vor bestimmten Dingen, aber ich male mir Dinge manchmal aktiv schwarz aus, um mich hinterher zu freuen, dass es anders kommt. Da bringe ich eine eigene Dramaturgie ins Leben.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Weniger vor dem Tod. Ich habe Angst vor dem Kampf damit. Nicht vor dem Totsein. Solange man hier ist und die Chance dazu hat, sollte man es genießen. Es erscheint mir sinnvoll, dass wir alle gehen müssen.

Sinnvoll?

Ich glaube, wir würden verrückt werden. Alleine wenn wir uns die biologische Entwicklung ansehen – da sind da nur noch Schatten, papierene Gestalten. Agonie.

Sie glauben nicht an ein Leben nach dem Tod?

Das kann ich leider nicht. Aber ich lasse mich gerne überraschen. (lacht)

Worüber sind Sie froh, dass Sie es in diesem Leben gemacht haben?

Dass ich mich nicht mit dem beschieden habe, was man mir zugedacht hatte. Dass ich Sehnsüchten nachgegeben habe, um sie zu sehen, spüren, zu fühlen. Auch wenn es genau diese Kraft ist, mit der ich jetzt manchmal hadere – nämlich, dass ich mich überfordere, Herausforderungen immer annehme, und zwar seit jungen Jahren.

Was wollen Sie in diesem Leben noch tun?

Ganz prosaische Dinge: viel lesen, die Chance haben, viel mit Freunden zu machen. Und ich möchte reisen.

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