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In neuen Mustern denken

Wettbewerb, Konkurrenz, Leistung : Viele Konzepte, auf denen die moderne Welt aufbaut, sind schwer vereinbar mit ökologischer Nachhaltigkeit. Mit welchen Denkmodellen kann der Aufbruch ins postfossile Zeitalter gelingen ?

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Illustration:
Nicolas Stavik
DATUM Ausgabe September 2021

Was Erdöl über uns aussagt Er ist glänzend und träge. Ein dicker, schwarzer Saft ist der wichtigste Rohstoff unserer Zeit. Erdöl ist überall. Es speist unseren Wohlstand. Es füllt unsere Autotanks, jede Plastikpuppe, die allermeisten Zahnbürsten sind aus ihm gemacht, genauso wie das flüssige Gas im Feuerzeug, Kleidung, Verpackungen, Klebstoffe.
Doch damit – zumindest mit der unmittelbaren Verbrennung von Erdölprodukten, um daraus Energie zu gewinnen – soll bald Schluss sein. Im April haben sich Österreich und seine Bundesländer darauf geeinigt, Öl- und Kohleheizungen ab 2035 zu verbieten. Im selben Jahr, so der › Fit for 55 ‹-Plan der EU-Kommission, werden keine Verbrennungsmotoren auf Europas Straßen mehr zugelassen. Denn bei der Verbrennung entsteht Kohlendioxid, ein Gas, das den Treibhauseffekt und damit die Erderhitzung verstärkt. Das weiß mittlerweile jedes Kind. Einige Erwachsene auch.

Doch was ist dieses Erdöl ?
Dazu springen wir weit zurück : Das Leben auf unserem Planeten begann vor dreieinhalb Milliarden Jahren, seitdem leben kleinste Organismen, Plankton und Algen, im Schlamm und Wasser der Meere. Sie leben und sterben, sinken zu Boden und sammeln sich in Unmengen dort an. Jahrmillionen vergehen, und im Lauf der Erdgeschichte verdichtet sich diese › Biomasse ‹ am Meeresgrund unter hohem Druck. Es entsteht eine Materie mit extremem Energiewert, es entsteht Erdöl.

Unser rasanter Verbrauch dessen hat also auch Symbolcharakter : Er ist Symbol für einen Lebensstil und Zeitgeist, die über unfassbar lange Zeiträume angelegten Reserven als Quelle hochkonzentrierter Energie zu erschöpfen – und das innerhalb weniger Menschengenerationen. Denn, so die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter und der Geoökologe Hans-Rudolf Bork in einer › Wiener Vorlesung ‹ 2014 : › Erst die unbeherrschte und scheinbar unbegrenzte Nutzung fossiler Energieträger – der schnelle Verbrauch von über Jahrmillionen angesammelter und zersetzter Biomasse – ermöglicht das extreme Ausmaß an Eingriffen in die Systeme der Erde. ‹ Auf fossiler Energie basierende Technologien haben uns kurzfristig bisher beispiellose Erfolge ermöglicht. Anders wären wir nicht imstande gewesen, Armut zu verringern, Krankheiten einzudämmen oder das aufzubauen, was unsere moderne Gesellschaft ausmacht.

Und jetzt, da wir uns so daran gewöhnt haben, müssen wir uns fragen : Welche post-fossile Zukunft, welche Zukunft ohne Erdöl ist für uns vorstellbar ? Wie wichtig Geschichten sind Geschichten wie diese (noch nicht zu Ende erzählte) vom Erdöl helfen uns, die Welt zu begreifen, Zusammenhänge zu knüpfen, Ereignisse zu verorten. Die Weltreligionen bieten ihre Erzählungen an, die Werbung tut es, Virologen und Verschwörungstheoretiker auch. Geschichten sind Ordnungssysteme und geben uns als solche Sicherheit. Sie können uns aber auch inspirieren oder irritieren. Manchmal verändern sie uns sogar : Die Geschichte vom Erdöl lässt uns unser Dasein und Wirken auf diesem Planeten vielleicht einmal aus einer neuen Perspektive betrachten. Diese neue Perspektive ist : das Anthropozän.

Als Anthropozän bezeichnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit einigen Jahren das Erdzeitalter, in dem wir leben. Es ist das Zeitalter, in dem wir begonnen haben, den › Lebensraum Erde ‹ zu verändern, diese dünne Zone zwischen Erdboden und Atmos­phäre, in der Leben möglich ist. Menschen sind zu einer geologischen Kraft geworden. Das Anthropozän ist dabei eher eine Einsicht als eine neue Erkenntnis : die Einsicht, dass wir verantwortlich sind für all das, was wir dem Planeten schon seit Jahrzehnten an Verschmutzung, Ausrottung, Raubbau antun.

Das Anthropozän könnte uns deshalb einiges abverlangen : Die bisher bewährten Erzählungen in Politik und Wissenschaft, in Wirtschaft und Schule wären kritisch – im Bewusstsein dieser Verantwortung – zu hinterfragen. Von welchen Erzählungen des Aufschwungs und des Wohlstandes sind wir bisher, seit dem Ende des letzten Weltkrieges, ausgegangen ? Was haben wir als gegeben an- oder hingenommen ?

Und weiter : Was davon lässt sich in eine post-fossile Zukunft nicht mitnehmen, in einer solchen nicht vertreten ? Manche praktizieren dieses kritische Hinterfragen bereits. Ihre Geschichten erzählen von der Möglichkeit, die gegebenen Umstände neu zu interpretieren. Sie fordern unser Verständnis und unsere Vorstellungskraft heraus. Das ist ihr eigentlicher Zweck.

Was Bakterien uns voraus haben Bloßfüßig und mit aufgekrempelter Hose steht die US-amerikanische Mikrobiologin Lynn Margulis in einem Video aus dem Jahr 1993 an einem spanischen Strand. Sie bückt sich und löst mit einem Taschenmesser ein Stück aus einer Mikrobenmatte, einer geleeartigen Masse aus Algen und Bakterien, die den Boden überzieht. Und sie erklärt daran mit inspirierender Überzeugung : Diese Kleinstlebewesen sind der Ursprung allen Lebens und gleichzeitig dessen höchste Entwicklungsstufe.

Erst durch ihre Aktivität gab es ausreichend Sauerstoff, um die Erde auch für uns bewohnbar zu machen. Sie sind ein Beispiel für die Wirkmacht symbiotischen Zusammenlebens und haben außerdem etwas gelöst, was wir Menschen › überhaupt noch nicht im Griff ‹ haben, wie Margulis meint : Die Bakterien haben ihre Ausscheidungen, ihren ›Abfall ‹, in nachhaltigen Kreisläufen wiederverwertbar gemacht.

Diese Feststellung fällt aus dem Rahmen der gängigen Lehre, wie die Evolution verläuft, wie das Leben sich entwickelte. Im klassischen Modell wächst vor unserem geistigen Auge ein evolutionärer Stammbaum, an dessen Spitze unumstritten der Mensch und die Säugetiere stehen, weit entfernt von Algen und Bakterien.

Denn unsere Vorstellung von Evolution ist in erster Linie vom Prinzip der natürlichen Selektion geprägt. Das heißt : ›Fitte ‹ Individuen, die die gegebenen Bedingungen besonders gut für sich selbst nutzen können, haben einen höheren Fortpflanzungserfolg; Eigeninteresse oder Eigennutz treiben den Auswahlprozess der Evolution an.

Basierend auf dieser Interpretation der Evolutionstheorie wurden das Konkurrenzprinzip und die Wettbewerbsfähigkeit zum (vermeintlichen) › Gesetz ‹ vieler unserer Systeme in Wirtschaft, Politik oder Bildung. Margulis widersprach. 1967 veröffentlicht sie, erst knapp 30-jährig, einen wissenschaftlichen Artikel, mit dem sie den Grundstein für ihre Version der Evolutionsgeschichte legt : Sie sagt, alles Leben auf Erden – abgesehen von Bakterien, deren Zellen im Unterschied zu tierischen oder pflanzlichen der Zellkern fehlt – sei aus Symbiogenese entstanden. Symbiogenese bedeutet, dass Organismen unterschiedlicher Arten zusammenkommen, um neue Lebensformen zu bilden. Ein Beispiel dafür ist die Flechte, die aus dem speziesübergreifenden Zusammenleben von Pilzen mit Algen oder Cyanobakterien entsteht.

Nach demselben Prinzip entwickelten sich die sogenannten eukaryotischen Zellen von uns Tieren und Pflanzen, die im Unterschied zu jenen der Bakterien einen Zellkern haben, aus Symbiogenese. Das war Margulis’ revolutionäre Erkenntnis, die heute als › Endosymbiontentheorie ‹ in unseren Schulbüchern steht. Unsere Zellen verfügen sogar über › Organe ‹, über deren Ursprung lange gerätselt wurde. Auf Basis eines Auswahlprozesses – der natürlichen Selektion entsprechend – war ihre Entwicklung nicht erklärbar. Margulis hatte eine andere Theorie parat : Die winzigen Organe entstanden aus anderen Einzellern, die zuerst mit der Wirtszelle in Symbiose lebten. Irgendwann wurde die Symbiose so innig, dass die beiden Zellen ineinander verschmolzen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen : Das Konzept, das wir traditionell unter › Symbiose ‹ verstehen, ist für die Mannigfaltigkeit der Beziehungsmuster und Tauschprozesse zwischen zwei oder mehreren Arten zu eng gefasst – sie müssen auch nicht immer zu beiderseitigem Vorteil stattfinden. So leben etwa auch wir in ständiger Symbiose mit unseren Darmbakterien, von denen einzelne auch Durchfall auslösen können.

Dass solche Symbiosen jedoch keine Ausnahmen der Regel sind, sondern ebenfalls einen Normalfall darstellen, gilt heute als wissenschaftlich anerkannt. Welch relevante Rolle die Symbiose somit im Laufe der Entwicklung unseres Planeten gespielt haben muss, ist aber nicht in unsere Auffassung der Geschichte der Evolution eingeflossen. Lynn Margulis hat sich ihr Leben lang für diese Anerkennung eingesetzt. Sie starb 2011.

Wie Käfer Landwirtschaft betreiben Wir Menschen betreiben Landwirtschaft, und die Ambrosiakäfer, eine bestimmte Gruppe unter den Borkenkäfern, tun das auch. So beschreibt es Peter Biedermann, Biologe an der Universität Freiburg in Deutschland. Seit eineinhalb Jahrzehnten erforscht er unter anderem das Sozialverhalten des nur zwei Millimeter großen Kleinen Holzbohrers – und dessen Symbiosen mit noch kleineren Lebewesen.

Ambrosiakäfer züchten nämlich Pilze. Sie sind die einzigen Borkenkäfer, die eben nicht nur in Rinde und Borke der Bäume eindringen, um dort ihre Brutkammern anzulegen, sondern ihre Gänge bis in den Holzkörper hineinfressen. Da Holz aber sehr nährstoffarm ist, mussten sie sich etwas einfallen lassen : Seit vielen Millionen Jahren betreiben sie Pilzgärten in ihren Nestern, die so zu eigenen kleinen Ökosystemen werden.

Sie tun das auf bemerkenswerte Art und Weise, erzählt Peter Biedermann : Die Käfer züchten die Pilze in überschaubaren Monokulturen. Immer wieder kommen Unkrautpilze auf, aber die Ambrosiakäfer dürften dagegen im Lauf der Evolution Abwehrmechanismen entwickelt haben. Welche, fragte sich Biedermann. Wir Menschen müssen schließlich alle paar Jahre neue Schädlingsbekämpfungsmittel erfinden, weil Parasiten dagegen resistent geworden sind. Was ist der Trick der Käfer ?

Derzeit geht Biedermann davon aus, dass die Käfer mit bestimmten Bakterienarten zusammenleben, die antibiotische Stoffe produzieren, um die Schadpilze in Schach zu halten. Die Insekten verfolgen aber auch andere Strategien, damit Resistenzen gar nicht erst auftreten. Sie betreiben etwa mehrere Gänge mit je einer Pilzart. Tritt dann in einem davon ein Schädling auf, verschließen sie den Gang oder verlassen gar das Nest. › Bei uns Menschen war die Landwirtschaft bis vor Kurzem auch viel kleinteiliger ‹, sagt Biedermann. Im Unterschied zu heute, da Saatgut von globalen Konzernen verwaltet und verkauft wird, hatte früher jeder Bauer sein eigenes Korn. › Da können Resistenzen schwerer auftreten. ‹

Ambrosiakäfer verfügen auch über ein Sozialsystem. Was zu tun ist, wird arbeitsteilig erledigt, sagt Biedermann. ›Einer kümmert sich um den Pilzgarten, der nächste um den Nachwuchs, ein weiterer räumt das Sägemehl aus dem Gang. ‹ Individuen unterstützen einander – innerhalb der Familie sogar altruistisch, also ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Landwirtschaft, Arbeitsteilung, Selbstlosigkeit : Ist das alles also › natürlich ‹ oder haben Ambrosiakäfer etwa Kultur ?
Diese Frage bringt uns zu einem zentralen Irrtum in unserem Naturverständnis und -verhältnis : dass nämlich das, was als › natürlicher ‹ Zustand gilt, häufig zugleich als positiv oder erstrebenswert gewertet wird. Denken Sie an die › Paleo-Diät ‹ : Die Menschen in der Steinzeit, vor Beginn der Landwirtschaft, verfügten (vermutlich) noch nicht über Getreide oder Milch, deshalb sollten auch wir uns derart › ursprünglich ‹ ernähren. Sollten wir ?

Nein. Genau das nennen Philosophinnen und Philosophen einen › Naturalistischen Fehlschluss ‹. Denn das, was uns › natürlich ‹, › rein ‹ oder › unberührt ‹ vorkommt, muss nicht gleich eine Norm oder ein Ideal darstellen, sondern ist häufig nur die vereinfachte, vorläufige oder halbe Wahrheit. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – wurden in Vergangenheit und Gegenwart solche Erkenntnisse gerne ideologisiert und instrumentalisiert; die Paleo-Diät ist eines der harmlosen Beispiele.

Stattdessen könnten wir den Käfern (und es gibt zahlreiche andere Beispiele, etwa Krähen, die ihre Beute mit anderen Tierarten teilen) einfach genau zuschauen und ihr kooperatives Verhalten als ebenfalls gültig anerkennen. Wir könnten dabei lernen, wie sehr wir Menschen auch Tiere sind und wie sehr Tiere auch vermeintlich exklusiv menschliches Verhalten an den Tag legen. Von ihren Geschichten könnten wir uns inspirieren lassen, wenn wir über die Zukunft nachdenken.

Wie Volksschulkinder das Anthropozän begreifen lernen Wohl noch stärker als uns Erwachsene prägen Geschichten Kinder. Zum Beispiel jene von Aquarius. Aquarius ist ein kleiner Superheld und Beschützer des Süßwassers : blauer Anzug, blaue Haare, blaues Cape. Er kommt in ein Internat – doch dort lachen ihn die anderen Superhelden-Kinder aus : Süßwasser ? Das könne ihn wohl kaum auslasten, Süßwasser mache doch nur drei Prozent der weltweiten Wasservorkommen aus !

So beginnt eine Geschichte für Volksschulkinder, die zwei Studentinnen der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich sich im vergangenen Semester ausgedacht und anschließend in ein Video verpackt haben. Ihre Aufgabenstellung : Wie bringen wir Kindern den Kreislauf des Wassers näher, wie erklären wir ihnen, was Süßwasser und Grundwasser ist, warum es für uns alle wichtig und manchmal knapp ist ? Oder, auf einer abstrakteren Ebene : Wie machen wir Kindern begreiflich, was das Anthropozän bedeutet, wie Menschen und Natur miteinander verbunden sind ?

Zum Beispiel mit dem von den angehenden Lehrerinnen gestalteten Aquarius-Video. › Auf so einem Weg der Visualisierung können Kinder mit Wissen in Beziehung treten ‹, sagt Carmen Sippl, Lehrende für Kultursemiotik und Mehrsprachigkeit an der Pädagogischen Hochschule und der Universität Wien. Für ihre Arbeit hat Sippl mit Kolleginnen und Kollegen seit 2019 das Anthropozän als Vermittlungsschwerpunkt ins Auge gefasst.

Sippl, auch eine erfahrene Wissenschaftsvermittlerin, sagt, ökologisches Bewusstsein benötige zweierlei : Einerseits braucht es das naturwissenschaftliche Wissen um natürliche Vorgänge, darum, was Klima- oder Biodiversitätskrise überhaupt sind. Was bewirken Treibhausgase in der Atmosphäre oder Mikroplastik im Boden ?

Andererseits braucht es eine › Werteerziehung ‹, wie ein traditioneller Begriff dafür wohl lauten würde, es braucht Empathiefähigkeit – und die ist nicht angeboren : › Die Perspektive des anderen einnehmen, das ist etwas, das wir erlernen müssen ‹, sagt Sippl. › Einen Wert haben die Dinge für uns, mit denen wir in Beziehung treten können. ‹ Dass dazu auch Natur, Pflanzen, Erde, Luft zählen, kann geübt werden. › In Lernszenarien, die wir an der Pädagogischen Hochschule entwickeln, überlegen wir : Wie können wir unsere Umwelt als »Mitwelt«, als »Unswelt« – nach dem Anthropozänforscher Reinhold Leinfelder – vermitteln ? ‹

Die vorgestellte Veränderung dürfe den Menschen dabei nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. › Wir wollen nicht Zukunft als Katastrophe vermitteln, sondern positive Gegenbilder, ein Hin zu mehr Selbstwirksamkeit ‹, sagt Sippl. › Jeder noch so kleine Schritt, der zeigt, dass ich auch etwas tun kann, ist ein Beitrag ‹ – und sei es nur, während des Zähneputzens das Wasser abzu­drehen.

Über altersgerecht erzählte Geschichten, über Bilder und Videos nehmen Kinder die Perspektive dargestellter Figuren wie die des Aquarius ein, identifizieren sich mit ihm. Dazwischen werden im Unterricht dann Fragen oder Aufgaben gestellt. › Dieses Wechselspiel von Aktion und Reflexion, das schafft transformatives Wissen ‹, sagt Sippl. Das heißt : So erschließen sich Kinder neue Zusammenhänge, so verstehen sie und lernen, sich selbst Gedanken zu machen, Argumente zu sammeln, Fragen zu stellen.

Und kreativ über das Vorgegebene hinaus zu denken. Denn Wissen ist etwas Dynamisches und immer nur vorläufig. › Das Ethos der Wissenschaft ist ja, dass sie neugierig ist, dass sie wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält ‹, sagt Sippl. Auch unsere kulturellen Praktiken und medialen Gewohnheiten sind vielleicht festgeschrieben, aber dennoch veränderbar.

Wachsen Kinder in diesem Bewusstsein auf, erlangen sie auch eine Kompetenz, deren Wichtigkeit sich gerade in unserer populistisch aufgeladenen Pandemiezeit zeigt. Die Kompetenz, komplexe Inhalte nicht einfach – mit einem › Versteh ich sowieso nicht ! ‹ – von sich wegzuschieben, sondern sich bewusst zu sein : Jede und jeder von uns ist Teil der Komplexität. › Diese Komplexität verstehen zu wollen, ist eine Form der Neugier auf die Welt ‹, sagt Sippl. Eine › futures literacy ‹, eine Zukunftskompetenz in die Bildung zu bringen, sieht sie deshalb auch als ihre wesentliche Aufgabe.

Und nun ?
Derzeit malen wir uns die Zukunft noch immer in Szenarien des Verzichts und/oder des technologischen Fortschrittes aus. Damit folgen wir bewahrenden und vermeintlich bewährten Denkmustern. Natürlich, sie geben uns Sicherheit in unsicheren Zeiten. Geschichten sind Ordnungssysteme. Wir halten uns daran fest. In neuen Denkmustern – die sich, wie in den Geschichten oben, nicht damit abfinden, dass etwas › immer schon so war ‹ – fließen Gegensätze ineinander : Seit Kurzem entsteht zum Beispiel in den Wissenschaften die Strömung der ›Environmental Humanities ‹, Forschungsfelder, die Umwelt und Menschen gemeinsam betrachten, die sich der strikten Trennung von › Kultur ‹ und › Natur ‹ verweigern.

Die eingangs zitierte Umwelthistorikerin Verena Winiwarter ist überzeugt : Solange uns Menschen dank Erdöl derart viel konzentrierte Energie zur Verfügung steht, ist Konkurrenz das Prinzip unseres Zusammenlebens. Pflanzen verlassen ihre (wachstumsfördernden) symbiotischen Beziehungen mit Bakterien oder Pilzen, wenn Menschen ihnen sofort verwertbaren Dünger zuführen.

Einem post-fossilen Zeitalter müsste ein anderes, ein kooperativeres Prinzip zu Grunde liegen. Wie würde sich unser Weltbild verändern, wenn wir Zusammenleben als Symbiosen, als ein laufendes Verhandeln und Gestalten des Spielraumes von Entfaltungsmöglichkeiten sähen ? Wenn ich mein eigenes Gelingen auch von dessen Nutzen für meine – menschliche und nicht-menschliche – Umwelt abhängig machte ?

Zur Lösung könnte ein Leben in ökologischen Kreisläufen, auch › Nachhaltigkeit ‹ genannt, beitragen : indem wir nur die Ressourcen verbrauchen, die wir unendlich so weiternutzen könnten. Denken wir die Erde als die Summe der Kreisläufe alles Lebendigen, würden wir ihr dann nicht den Erdöl-Saft aussaugen. Sondern tatsächlich erneuerbare Energien gewinnen, aus der Wärme der Sonne, aus der Kraft von Wasser und Wind.

Vielleicht wird Erdöl dann im Rückspiegel einmal nur das Startkapital gewesen sein, das uns half, diese unendlich nutzbaren Ressourcen überhaupt nutzbar zu machen. •