Ins Offene
Wir stehen vor einer Klimakatastrophe? Vielleicht ist gerade das unsere größte Chance.
Im letzten Jahr ist der Klimawandel zur Klimakrise, für manche zur Klimakatastrophe geworden. Es scheint, als wären wir lange in Richtung einer Klippe geschlafwandelt, würden jetzt aufwachen und bemerken, dass wir unaufhaltsam auf den Abgrund zurasen. Millionen Menschen gehen deshalb inzwischen auf die Straße und fordern politische Handlungen, die dennoch ausbleiben. Täglich tauchen neue Meldungen auf : Der Permafrostboden taut schneller als gedacht, der Anstieg des Meeresspiegels ist unterschätzt worden, der Amazonas brennt, die Arktis könnte in wenigen Jahren eisfrei sein, weite Gebiete der Welt könnten unbewohnbar werden. Obwohl Existenz und negative Konsequenzen des anthropogenen Klimawandels mittlerweile Konsens sind, können viele Folgen der Klimakrise nur geschätzt werden. Für den Meeresspiegelanstieg etwa lässt sich nur ein Mindestmaß berechnen, keine Höchstzahl. Und doch gibt es Worst-Case-Szenarien, die das Ende unserer Zivilisation um 2050 für möglich halten, so ein Bericht des australischen Thinktanks › National Centre for Climate Restoration ‹.
Die Klimakrise macht Angst. Zu Recht. Aber könnte sie nicht auch Hoffnung machen ? Natürlich befinden wir uns in einer drastischen Lage, das möchte dieser Text nicht leugnen. Die Welt, wie wir sie kennen, wird enden. Große Umwälzungen sind notwendig, große Umwälzungen werden passieren. Die Klimakrise ist aber nicht nur eine Katastrophe, sondern auch eine Chance. Mehr noch : Sie könnte unsere Rettung sein. Wie das ?
Beginnen wir bei der Ausgangssituation : Der Klimawandel ist ein globales Problem, das nur von allen Staaten gemeinsam gelöst werden kann. Das macht die Sache so schwierig und die Chance zugleich so groß. Jahrzehnte nach Beginn der Entkolonialisierung bestehen die Machtverhältnisse aus der Zeit des Kolonialismus noch immer. Die Ambitionen, das zu ändern, beschränken sich auf Symbolpolitik : 2018 investierte Österreich laut Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT) lediglich 1,6 Milliarden Euro, weniger als 0,5 Prozent des BIPs, in Entwicklungszusammenarbeit. Damit liegt Österreich im internationalen Durchschnitt. Kein Wunder, dass sich nichts ändert : Afrika und weite Teile Asiens bleiben abhängig von Europa und Amerika, Regime der Ausbeutung bestehen nach wie vor. ›Imperiale Lebensweise ‹, nennen das die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen : Die westliche Art zu leben beruhe auf Ausbeutung. Sie war lange Norm, gilt noch immer als erstrebenswert, obwohl sie ökologisch und sozial eine Katastrophe ist. Diese Dynamik zu ändern, ist schwierig. Hilfspakete nach Nigeria zu schicken und Schulbücher nach Tansania, das ist keine Hilfe – aber wie richtig helfen ? Entwicklung, Hilfe und Macht haben eine komplexe Dynamik.
Der Klimawandel ist eine Chance, das zu ändern : Denn die Lösungen der Mächtigen werden nicht funktionieren. Wir brauchen das Wissen afrikanischer Bauern, wie man Dürreperioden übersteht. Wir müssen indigene Völker fragen, wie sie im Einklang mit dem Wald leben. Wir brauchen auch die Menschen am Rand der Gesellschaft. Sie sind es gewohnt, jeden Tag Dinge zu schaffen, zu denen ihnen die Fähigkeiten abgesprochen werden. Sie sind es, die einen anderen Blick haben, neue Lösungen finden, verändern, was wir für wahr und wichtig halten. Wir brauchen sie, denn wir brauchen eine neue Idee von Wohlstand, von einem guten Leben. › Die Anerkennung und Repräsentation der Vielfalt von Wissen und Lebenswelt ist zentral ‹, sagt Ulrich Brand, Professor und Institutsleiter am Institut für Internationale Politik der Universität Wien. › Es geht darum, die Umstrittenheit von Wissen global und im eigenen Land anzuerkennen. Das ist nicht Alleinmaßnahme, aber Bedingung, um die globalen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu verändern. ‹
Greta Thunberg ist dafür ein gutes Beispiel. Die Initiatorin der Fridays for Future-Bewegung hat eine Behinderung, das Asperger-Syndrom. Natürlich ist sie nicht deshalb eine fantastische Rednerin und Aktivistin, aber der Autismus ist Teil davon, Teil von ihr. Was als Defizit angesehen wird, seit das Syndrom entdeckt wurde, ist bei Thunberg Ressource. Thunberg ist jung, einflussreich, anders. Und was oft übersehen wird : Sie ist eine von vielen . 1992 sprach eine 13-Jährige, Severn Suzuki, auf der damals ersten UN-Klimakonferenz in Rio de Janeiro. Schon damals forderte sie die Politiker auf, ihr nicht ihre Zukunft zu stehlen, sondern dringend zu handeln. Ihr Ruf fand damals wenig Resonanz, aber das hat sich geändert. Und das ist kein Grund, sich über einen Hype aufzuregen, das ist Grund zur Begeisterung.
Es gibt inzwischen hunderte junge Menschen wie Severn Suzuki : Bella Lack, eine 13-jährige Australierin, ist Jugendbotschafterin der Tierschutzorganisation Born Free und schneidet unerhört kluge YouTube-Videos. In einem betrachtet sie die Menschheit als bedrohte Art : › Ob die Menschheit es wert ist, gerettet zu werden ? ‹, fragt sie. › Seht, wie weit wir gekommen sind. Ich finde, wir müssen es versuchen. ‹ Über den Bildschirm laufen Gesichter von Menschen aus aller Welt. Es ist ein leises Video, eines, das Gänsehaut macht. Felix Finkbeiner, damals neun, heute 21, hat mit seinem Vater 2007 eine Organisation namens › Plant for the Planet ‹ ins Leben gerufen, die gemeinsam mit Kindern auf der ganzen Welt eine Billion Bäume setzen möchte. 13,6 Milliarden wurden bereits gepflanzt, alle von Kindern, alle ehrenamtlich. Keiner dieser Namen ist so berühmt wie jener Thunbergs, aber sie zeigen, dass die Umwälzung, von der nun alle sprechen, nicht auf Fridays for Future beschränkt ist. Unsere Welt hat schon vor längerer Zeit begonnen, sich zu verändern. › Change is coming whether you like it or not ‹, sagte Thunberg 2018 zu den Politikern auf der Klimakonferenz. Mit Blick auf diese Beispiele könnte man sagen : Sie hat Recht.
So euphorisch das klingt, die politische Realität ist eine andere : Auf der letzten Weltklimakonferenz in Polen wurden die ersten Klimaziele innerhalb des Pariser Abkommens beschlossen. Das heißt, dass es nun konkrete Klimaschutzmaßnahmen für die Periode nach 2020 gibt. Fast jeder weiß mittlerweile : Ziel ist es, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu halten. Doch weitaus weniger Menschen sind sich der Realität bewusst : Die jetzigen Klimaziele laufen auf eine Erderwärmung von 3,5 bis 4 Grad im Jahr 2100 hinaus. Vier Grad bedeuten laut Wissenschaftlern, dass London, Shanghai und New York 2100 unter Wasser stehen werden. Es bedeutet, dass bis zu 50 Prozent der Tier- und Pflanzenarten sterben, die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen schwindet, so der Report des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) von 2018. Es gibt also sehr wohl Grund zur Angst.
Im Rahmen der United Nations Framework Climate Change Convention (UNFCCC), ein Abkommen der UNO, wird versucht, den Klimawandel zu stoppen. Sie erscheint oft dysfunktional, langsam, ineffizient. Und doch ist ihr wesentliches Instrument, die Klimakonferenz, Zeichen einer neuen Art, Politik zu machen, Zeichen einer Demokratisierung. Indigene Völker, Wissenschaftler, Frauen, NGOs aus aller Welt, aber auch die Industrie-Lobby haben auf der Klimakonferenz als Interessensvertretungen ein Rederecht. › Das Mitspracherecht der Zivilgesellschaft ist demokratisierend ‹, sagt dazu Ulrich Brand von der Universität Wien. Dadurch werde zumindest ansatzweise eine breitere Bevölkerung in internationale Politik eingebunden. › Das eigentlich Demokratische sind noch immer die Regierungen, denn sie sind es, die abstimmen. ‹ Auf inoffizieller Ebene bestünde so aber dennoch die Möglichkeit, Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen, so Brand. Natürlich gibt es eine offizielle Linie, der Handlungsspielraum der Verhandler ist gering, doch wie sie ihn nutzen, kann entscheidend sein.
Neu ist auch, dass alle Staaten in das Pariser Abkommen eingebunden sind und selbst beschließen, welche Beiträge sie zum Klimaschutz leisten. Darin liegt für Brand Stärke und Schwäche zugleich : Die UNFCCC werde oft überschätzt, denn sie sei ein zahnloses Abkommen mit abstraktem Ziel, so der Politikwissenschaftler. Doch auch das habe seine Berechtigung, schließlich handelt es sich um Völkerrecht : › Die Kämpfe müssen von unten kommen. Die UNFCCC ist Terrain, nicht Akteur ‹, sagt Brand. Er findet, die Veränderung oder der Wunsch danach sollten von den Nationalstaaten kommen. Von dort aus sollten Veränderungen angestoßen werden. › Es gilt, die abstrakten Ziele des Pariser Abkommens in konkrete Maßnahmen zu übersetzen ‹, sagt Brand.
Gelingt das, bedeutet das auch, dass viele andere, große Probleme gelöst werden. Wer zum Beispiel Frauenrechte fördert, fördert auch den Klimaschutz : In Entwicklungsländern geht es vor allem darum, Menschen dafür zu wappnen, mit den Folgen der Klimakrise umzugehen. Studien zeigen, dass rurale Gemeinden in Indien, in denen Frauen das Land, das sie bewirtschaften, auch besitzen, wesentlich resistenter gegen Hunger sind. Oft sind die Männer in der Stadt, um zu arbeiten, Frauen und Kinder bestellen das Land – ohne Entscheidungsmacht. Wenn aber den Frauen das Land gehört, können sie auf Klimaveränderungen reagieren, früher ernten, auf andere Getreidesorten umsteigen. So werden Hungersnöte vermieden. In Europa wiederum besteht ein Zusammenhang zwischen Klimaschutz und dem klassisch männlichen Rollenbild. Das belegen zahlreiche Studien, so zeigt ein Bericht des deutschen Umweltbundesamtes : Wenn die Geschlechterungleichheit abnimmt, gehen die Emissionen zurück. Frauen stimmen öfter für den Klimaschutz – als Wählerinnen und als Politkerinnen. Laut einer Studie der ETH Zürich verbrauchen Frauen ein Viertel weniger Strom als Männer, ähnliche Zahlen sind für Österreich anzunehmen. Warum ? Wir hängen in Rollenbildern fest. Der › klassische Mann ‹ isst blutige Steaks, fährt ein großes Auto, und eigentlich ist ihm alles egal, solange das Bier kühl und die Frau am Herd ist. Nicht unbedingt klimaschonend.
Die Klimakrise hat also Konsequenzen für die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, sie bedeutet nicht zuletzt eine Umwälzung der Wissenschaft. Aktuell zwingt sie uns, die Trennung von Natur- und Kulturwissenschaften zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang stößt man auf das Konzept des Anthropozäns : Es meint ein neues geologisches Zeitalter, in dem der Mensch zur prägendsten Naturgewalt geworden ist. Während Geologen noch darüber streiten, ob man sich nun im Holozän oder Anthropozän befindet, ist die Auseinandersetzung mit letzterem für viele Wissenschaftler bereits Realität. Sie fragen nach den Konsequenzen für ihre Disziplin.
Für Eva Horn ist das auch eine Chance. › Unterschiedliche Wissenschaftskulturen tauschen sich aus ‹, sagt die Germanistin. Aus dem Konzept des Anthropozäns ergibt sich für Horn eine neue und andere Art, geisteswissenschaftliche Fragen zu stellen. Zum Beispiel, indem man fragt, was die Geschichte unserer Industriekulturen ist. › Eine Anthropozänperspektive fragt, wie eine bestimmte Energieform das Gesicht der Welt geprägt hat, wie im Fall von Kohle und Erdöl ‹, sagt Horn. Das bringt Erkenntnisgewinn. Die Naturwissenschaften müssen politischer werden, die Geisteswissenschaften müssen sich mehr mit den materiellen Grundlagen von Kultur beschäftigen. Die Wissenschaften vom Menschen, seiner Kultur sind untrennbar verknüpft mit jener der Natur, weil Natur als grundlegend vom Menschen verändert verstanden werden muss. Auf der ganzen Welt, in den entlegensten Regionen findet man mittlerweile Mikroplastik. › Wir sind das Anthropozän ‹, sagt Horn. › Wir wären nicht, wer wir sind, ohne das Anthropozän, ohne die industrielle Revolution und alle damit gekoppelten Prozesse. Unsere Aufgabe als Bürger, Wissenschaftler, Konsumenten ist es zu fragen : Wie können wir Verantwortung übernehmen ? ‹
Diese Frage provoziert neue Antworten. Wenn wir die Klimakrise lösen wollen, gilt es, uns ein anderes Morgen vorzustellen. Klimaschutz ist gut für die Mehrheit, aber das Individuum leidet darunter, muss verzichten. Oder ? Ja und nein. Denn Klimaschutz könnte das persönliche Leben auch bereichern. Engagement macht nachweislich glücklich, es ist ein gutes Gefühl, sich auf einer Demo als einer oder eine von vielen zu fühlen. Und der Klimawandel lädt auch ein, mit offenen Augen um sich zu blicken. Die Natur ist nicht mehr bloß Kulisse für eine Wanderung, unsere Hobbys, das Frühstück im Freien. Wir können Wildnis als neues Privileg entdecken. Auf Klimaveränderungen zu achten, fordert uns heraus, genau hinzusehen, zu erforschen, welche Blätter da fallen, wie viel es im letzten Herbst geregnet hat, welche Geräusche wir hören, wie sich der Wind auf der Haut anfühlt. So können wir eine neue Größe in den kleinen Dingen entdecken.
Oft wird davon gesprochen, dass Verzicht notwendig sei, um das Klima zu retten. Das stimmt. Aber, so wird dann argumentiert, niemand geht für Verzicht auf die Straße. Auch das stimmt. Was oft vergessen wird : Wir verzichten aktuell auch auf sehr viel – mitunter ohne es zu bemerken. Wir verzichten auf saubere Luft, auf unregulierte Natur in unserer Umgebung, auf Entspannung, auf Zeit mit unseren Familien, auf genug Schlaf, auf ein gutes Gewissen. Wir nehmen den Ist-Zustand als Maßstab statt der Utopie. Dabei könnten wir weniger besitzen und dabei mehr haben. Wir könnten unseren jetzigen Luxus, der auf Öl aufbaut, gegen anderen Luxus eintauschen, der vielleicht auf Stille basiert, vielleicht auf Leichtigkeit, auf Freude.
Das klingt kitschig und weltfremd ? Wenn wir die Klimakrise lösen wollen, müssen wir träumen. Träumen wird so zum revolutionären Akt, denn wir brauchen das Naive und das Weiche. Wir brauchen mehr Mut, größere Träume, furchtlose Liebe für unsere Erde und ihre Menschen. Das ist kitschig, ja, aber es ist auch schön. Und mehr noch : Es ist vielleicht unsere einzige Option. Es gilt, uns selbst und alles um uns neu zu erfinden. Dafür werden immer mehr Menschen auf die Straße gehen. Nicht aus Angst, sondern aus Freude. Wir haben viel zu verlieren, aber noch mehr zu gewinnen. Die Utopie kann Realität werden. Und wenn sie es dann ist, dann wird die Klimakrise das Beste gewesen sein, was uns je passiert ist.
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