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Ja, mach nur einen Plan

Fast ein Jahrzehnt lang beehrte der Philosoph und Schriftsteller Franz Schuh dieses Magazin mit einem monatlichen Essay – bis sich sein Gesundheitszustand Mitte 2020 dramatisch verschlechterte. In seinem neuen Buch › Lachen und Sterben ‹ setzt er sich nun auch mit Fragen des (eigenen) Ablebens auseinander. Ein Auszug.

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Porträtzeichnung:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe April 2021

› Lebenshilfe Wien ‹
(Für Do)

Was soll ich sagen ? Eines muss ich sagen, und ob es wahr ist, den Beweis für die Wahrheit, hat zum Bei­spiel der Verleger des Zsolnay-Verlags, Herbert Ohrlinger. Jetzt steht der Verleger nicht nur hinter meinem Buch, sondern sogar in meinem Buch. Man wird sehen, wie der Buchhandel sich auf die Dauer macht und wer dann noch irgendwo steht. Wo steht aber der Autor ?

Es ist jedenfalls wahr, dass der Titel dieses Buches › Lachen und Sterben ‹ mit dem Coronavirus gar nichts zu tun hat, und es ist sogar wahr, dass mir das Virus gar nicht ins Konzept passt. Es ist ja ­Corona nicht bloß ein Virus, sondern auch eine eigene Textgattung geworden – ein ganzes Theaterstück über eine Pandemie konnte nicht aufgeführt werden wegen der Pandemie. Kultur ist, wenn sich die Katze in den Schwanz beißt. Einmal wollte ich sogar ein Gedicht veröffentlichen – der Redakteur lehnte freundlich ab, das Gedicht › Der Tod im Haus ‹ – in diesem Buch glücklich abgedruckt – spiele unvermittelt, also ohne die künstlerisch gebotene In­direktheit, auf das Coronavirus an.

Das Virus gab es aber gar nicht, als ich das Gedicht schrieb, man kann die Baugesellschaft fragen, die das Haus ­neben dem meinen abriss, sodass eine Wand meiner Wohnung nackt in der Häuserzeile stand. 75 Prozent meiner Besucher erkannten mein einseitig alleinstehendes Heim nicht wieder. Sie hatten mitten in ihrer Heimatstadt belastende, verstörende Fremdheitsgefühle und fuhren gleich weiter in Gegenden, die sie besser zu kennen glaubten. Ich machte im informierten Kreis, in der gehobenen Bildungsschicht, den pädagogischen Vorschlag, Corona als Textsorte in die Maturaprüfung aufzunehmen, zumal ja für die Matura heute weniger Literatur im alten Sinn gefragt ist als zum Beispiel die Sorte Leserbrief an die Krone, die ja als Kronen-Zeitung mit ihrem Eigennamen schon wieder­um von Corona erzählt.

Es gibt kein Entkommen (oder – sollte es schon vorbei sein – damals, ­damals gab es kein Entkommen), es sei denn durch die absurde Ästhetisierung, die mir, einem Angehörigen der extremen › Risikogruppe ‹, am Herzen liegt. › Wir ‹ stellen eben die meisten Toten, › wir ‹ mit unseren › Vorerkrankungen ‹. Dafür waren wir schon in den fünfziger Jahren auf der Welt, standen mit beiden Beinen im jungen Leben und wissen heute : › Corona, Corona, Corona ‹ – das muss man singen im Stile von Vico Torriani, einem Schweizer, der auf Italianità machte und dessen Italienisch, obwohl es perfekt war, stets nach deutschem Touristen in Caorle klang. Auch Caterina Valente hätte ohne weiteres mitsingen können : ›Corona, Corona, Corona.‹

Ob ich deppert bin, ein depperter Snob, fragt mich jemand im informierten Kreis, aus der gehobenen Bildungsschicht. Es sei doch klar, wenn Leben und Sterben an Corona hängt, dass da mindestens eine Textsorte herausschaut. Ecce homo, c’est la vie – ich gebe alles zu, und wenn die Thematisierung einer Menschheitsplage businesslike erfolgt, bin ich auch dabei. Schließlich arbeite ich auf demselben Feld. Ich habe keine Ahnung, ob die Allmacht, die das Virus nicht zuletzt durch die Dauerrede da­rüber genießt, angemessen ist oder ob sich die Menschen zu einem Tunnelblick verdammt haben, mit dem sie um sich blicken und angstlüstern immer nur ES sehen. Aber auf einmal scheinen immer mehr davon genug zu haben, und sie sehen ES überhaupt nicht mehr, weil sie ES einfach nicht mehr sehen wollen. Wohin wird das führen ?

› Lachen und Sterben ‹ hat ursprünglich gar nichts mit meiner über Nacht ge­kommenen Erkrankung zu tun. Meine Zugehörigkeit zur großen Menge der hospitalisierten Personen kam viel später. Wer krank ist, hat aber etwas zu erzählen, ich diese Anekdote : Nachdem ich ins Spital eingeliefert worden war, ersuchte meine Freundin Dorit den an mir diensthabenden Arzt um eine Auskunft, wie es denn um mich stünde. Zufällig kannte mich der Arzt aus dem sogenannten normalen Leben. Der Freundin teilte er mit, dass mein Tod wahrscheinlich wäre, und er fügte hinzu : › Er hat sich ja immer für den Tod interessiert. ‹ Ja, das stimmt, und auch der Tod hat sich für mich interessiert.

Ich habe ihn mir am Beginn des Buches › Sämtliche Leidenschaften ‹ schon einmal vorgenommen, persönlich hat er mich ja noch nicht eingeholt, aber es ist nicht zu leugnen, dass seine Vorwegnahme in Gedanken der Vorbereitung auf ihn dient : Minimierung der Über­raschungsmomente bei gleichzeitiger Resignation angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass es erstens anders kommt, als man zweitens denkt. Aber man kann sicher sein, dass es kommt. Das ist doch komisch, wenn auch nicht lustig. In der ›Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens‹ lässt Bertolt Brecht singen :

› Ja, mach nur einen Plan !
Sei nur ein großes Licht !
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht. ‹

Theologisch heißt das, und die Sentenz wird Pascal zugeschrieben : › Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm deine Pläne. ‹ Sicher, das ist das Konzept von Gott : Wer zuletzt lacht, lacht am besten, und das kann nur ER sein. Ein guter, ein braver Theologe muss darauf aufpassen, dass sein Herrgott am Ende nicht als der große Zyniker dasteht, der über die Idioten lacht, die er geschaffen hat. Da gibt es aber nichts zu lachen, und Gott lacht freundlich über unsere Pläne, über die liebenswürdige, kindliche Naivität, mit der wir glauben, die gewünschte Zukunft zu haben. Der Mensch ist ein Kind Gottes, und daher ist er, wie es in Brechts Ballade heißt, nicht schlecht genug für dieses Leben :

› Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höh’res Streben
Ist ein schöner Zug. ‹

Mehr als ein schöner Zug ist die menschliche Hingabe an das Höhere nicht (also an das, was die eigene Schlechtigkeit überhöht), immerhin kann man versuchen, an den schönen Zug anzuknüpfen. Falls nur ein Schöngeist dabei herauskommt, hat man halt Pech gehabt. Zuhause bei sich ist der Mensch (wer immer › der Mensch ‹ ist) weder in seinem schönen Zug noch in seiner Schlechtigkeit, aber in beidem kann er höchste Präsenz erringen, furchtbare oder befreiende Gegenwart. Nein, Lachen und Sterben ist kein The­ma, das äußerer Anlässe bedarf, auch wenn solche Äußerlichkeiten sich manchmal in das Innere der Seelen hineinfressen können und dann keine Äußerlichkeiten mehr sind. Lachen und Sterben spielt auch nicht auf das Sich-Totlachen an. Diese Floskel kommt vom Neid darauf, dass in der Tragödie alle, die auf sich halten, spektakulär sterben dürfen. So eine Wirkung will die Komik auch haben.

Vorsichtig gesagt, enthält die Zusammenstellung von › Lachen und Sterben ‹ eine Utopie, die das › amor fati ‹ unterläuft. Amor fati ermöglicht einen Zustand, durch den man sein Schicksal liebt (auch weil es das höchsteigene ist), selbst wenn es grauenhaft oder zerstörerisch daherkommt. Im Lachen sehe ich eine Chance, dasselbe Schicksal auszulachen und entsprechend dramatisch lachend unterzugehen. Das Theorem von amor fati, von der Liebe zum (ei­ge­nen) Schicksal unterschlägt die Unterwerfung, die Akzeptanz eines Leidensweges, den man heroisch in­s­zeniert. Das Lachen weist solche Zu­mutungen von sich und spielt sich im letzten Moment noch für ein wenig Souveränität auf. Beide Konzepte sind Utopien und als solche Orientierungen, die realiter nur in Bruchstücken vorkommen. Von Brüchen soll man angeblich lernen können, nämlich vor allem, wie man sich ein integrales Ganzes vorstellen möchte. Mit Utopien dieser Art versucht man, mit einer Essenz die Existenz zu programmieren. Aber, wie gesagt, mach nur einen Plan … •

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