›Kulturpolitik muss man sofort spüren‹

Wer mich am Balkon von Veronica Kaup-Hasler überraschte.

Veronica Kaup-Hasler führt mich auf den Balkon ihres Büros im Wiener Rathaus, und irgendwie ist damit schon ein ganz wichtiger Teil dieser Geschichte erzählt. Das Rathaus hat nämlich sehr viele Balkone. Natürlich auch jenen umstrittenen, der für Adolf Hitler errichtet wurde – aber um den geht es hier nicht. Nachdem Kaup-Hasler im Mai dieses Jahres zur Stadträtin für Kultur und Wissenschaft angelobt worden war, besorgte sie sich zwei Sessel, einen kleinen Tisch und bezog den Balkon als Freiluftbesprechungsraum. Hier sitzt sie nun und zündet sich eine dieser dünnen Zigaretten an. Jenseits der Blumenkistln dröhnt der Verkehr der Zweierlinie, die Sonne scheint, Kaffee und Tee werden serviert. Fast wie ein Picknick – ist doch herrlich, oder? Ja, ist es.

Rund 150 Tage ist es her, dass Kaup-Hasler die Seiten gewechselt hat – von der Kulturmanagerin und Intendantin des ›steirischen herbst‹ in die Stadtregierung des neuen Bürgermeisters Michael Ludwig. Geplant sei das nicht gewesen, aber wenn sie so über ihr Leben spricht, ergibt retro­spektiv alles einen Sinn. In ihrem Umfeld erkannte sie zunehmend eine regelrechte Depression darüber, wie Strategien der Polarisierung und des undifferenzierten Denkens Platz griffen. Das hat meine innere Einstellung zum politischen Tun verändert. Die Frage, wie Künstlerinnen und Künstler die Gesellschaft aktiv mitgestalten können, beschäftigt Kaup-Hasler schon lange. Sie ist ein politischer Mensch, dass und wie sie politisch tätig wird, war vermutlich nur eine Frage des Zeitpunkts. Wir sprechen lange über Kairos, jenen griechischen Begriff für den richtigen Zeitpunkt einer Entscheidung, und über das Serendipitätsprinzip, wonach man oft erst auf Umwegen das eigentlich Wesentliche entdeckt. Das ist mein Lebensprinzip. Doch dann verstummen wir beide jäh. Vor unserer Nase, in den roten Geranien im Blumenkistl, schwebt ein Kolibri. Ein Kolibri! Mitten in Wien? Wir staunen, lachen, machen Fotos, können es nicht glauben. Das muss der Klima­wandel sein. Wir scherzen, ob als nächstes vielleicht ein schmatzender Giraffenkopf hinter der Balustrade auftaucht.

Zurück zum Thema – was kann, was soll Kulturpolitik leisten? Wann ist sie erfolgreich und wie merkt man, dass sie es ist? Wenn Kulturpolitik Erfolg hat, muss man das sofort spüren. Was sie nicht ausspricht, was aber eindeutig rüberkommt: Sie sieht ihre Rolle weniger als mächtige Fördergeberin denn als Vermittlerin mit Sachverstand und offenem Visier – zwischen den Künstlerinnen und Künstlern, ihren Institutionen auf der einen Seite und der Stadt und den Menschen, die darin leben, auf der anderen. Kultur muss Zeichen gegen Exklusion setzen. Egal, ob zeitgenössische Musik oder die Tschaunerbühne. Und in der Vermittlung von Kunst, in der Öffnung von Kulturangeboten sieht sie großen Handlungs- und Gestaltungsbedarf. Die Perforation der Kunstblase muss von beiden ­Seiten passieren. Sie sagt das mit Blick auf die rasant wachsende Stadt mit ihren neuen Wohngebieten. Dort sollte Kunst und Kultur von Anfang an eine Rolle spielen – und zwar nicht nur niederschwellige Angebote, sondern auch herausfordernde Inhalte.

Und der Kolibri? Diese unwirkliche Er­scheinung? Tatsächlich unwirklich. Was vor uns schwebte, war ein Taubenschwänzchen, ein Falter, der gern mit dem Kolibri verwechselt wird.  Und der an milden Herbsttagen städtische Balkonpflanzen bevorzugt.

 

Veronica Kaup-Hasler ist Dramaturgin und Kulturmanagerin. Die 50-jährige gebürtige Ostdeutsche war von 2006 bis 2017 als Intendantin des Festivals ›steirischer herbst‹ tätig. Seit Mai arbeitet Kaup-Hasler, die kein Parteibuch besitzt, als Wiener Stadträtin für Kultur und Wissenschaft.