Kurzsichtig

Die Regierung rüttelt am Rechtsstaat, die Opposition implodiert. Ab wann wird es ernst?

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Ilustration:
M. Ali Ziaei
DATUM Ausgabe Oktober 2018

Wie stehe ich heute da?‹, soll Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz seine Mitarbeiter fragen – mit Blick auf die letzte Umfrage. Sicher nur ein Gerücht. Sicher aber auch, dass es kaum jemand für Fake hält. Die Frage ist jedoch nicht, wie Kurz dasteht, sondern: Wie steht Österreich da? Ein Jahr nach der letzten Nationalratswahl.

Jedenfalls kamen die Medien und all jene, die unaufhörlich und wortreich Stillstand, Eintönigkeit und die Wiederholung des Immergleichen beklagten, auf ihre Rechnung: 18 Jahre nach der ersten schwarz-blauen kleinen Koalition aus ÖVP und FPÖ nun die zweite, diesmal türkisschwarz-blau; nach 30 Jahren keine Parlamentsfraktion der Grünen mehr. Sie flogen im hohen Bogen aus dem Hohen Haus. Nach fünf Jahren eine kleine Oppositionspartei namens Neos, im Stich gelassen von ihrem Gründer Matthias Strolz; eine schmierenkomödiantische Ego-Liste Pilz und seit Kurzem die große Oppositionspartei SPÖ im Führungstaumel: Noch-Vorsitzender Christian Kern taumelt orientierungslos in Richtung Brüssel, die Bald-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner hat eine kolossale Aufgabe vor sich, derengleichen sich am ehesten in griechischen Mythologien finden lässt. Einer der Mächtigen in der SPÖ, Wiens Bürgermeister Michael Häupl, hat sich verabschiedet. Der Rest ist ein Scherbenhaufen.

Vor einem Jahr wird es kaum jemanden mit genügend Fantasie gegeben haben, der sich eine solche ›Kabale ohne Liebe‹ auf Sozialdemokratisch vorzustellen vermochte. Dieser einmalige Selbstzerstörungsprozess einer Partei übertrifft alles, was die ÖVP in verschiedenen Phasen ihrer Parteigeschichte seit 1945 in dieser Hinsicht zu bieten hatte. Christian Kern hat ihn bei Übernahme der Partei vor zwei Jahren erahnt. Dass er ihn nun selbst als Getriebener innerparteilicher Intrigen eingeleitet hat, gehört wohl in die Rubrik ›Ironie der Geschichte‹.
Einmalig ist in der jetzigen Situation aber auch etwas anderes: Die Amerikaner würden ›bromance‹ dazu sagen. Die ostentativ zur Schau gestellte Männerfreundschaft zwischen Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Man rufe sich nur die ersten Bilder während der Koalitionsverhandlungen, der Regierungsbildung und der letzten Monate in Erinnerung: zwei, die bei jedem gemeinsamen Auftritt vor den TV-Kameras halb wohlwollend, halb bewundernd die Augen nicht voneinander lassen konnten. Das sollte als Unterhaltungsfaktor für einige Zeit reichen.

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