Land der Leugner

Dass Oberösterreich zum Hotspot der vierten Welle wurde, hat viele Ursachen. Der Lockdown wird nicht alle beseitigen. Eine Spurensuche ob der Enns.

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Fotografie:
Volker Weihbold
DATUM Ausgabe Dezember 2021

Drinnen kämpfen Ärzte und Pfleger um das Leben von Schwerkranken, draußen wird ›Friede, Freiheit, keine Diktatur‹ skandiert. Über 600 sind es, die sich an jenem Dienstag Mitte November vor dem Landesklinikum in Wels versammelt haben. Ihre Aggression richtet sich nicht gegen die Regierungsparteien oder die Opposition, nicht gegen die Polizei und auch nicht gegen die in der Szene so verhassten Journalisten. Sie richtet sich gegen jene, denen der Kampf gegen die vierte Welle alles abverlangt, psychisch und physisch. Eine Ärztin filmt die Szenen vom Fenster aus. Sie hat Angst, befürchtet, dass die Rettungswägen nicht mehr durchkommen könnten. 

Im Mühlviertel, im Klinikum Rohrbach, liegt einige Tage später eine ganze Familie von Coronaleugnern auf der Intensivstation: Vater, Mutter, Sohn und Schwiegervater. Der Vater verweigert die Behandlung, stirbt kurz darauf auf der Normalstation. Vor seinem Tod sagt er noch, der Grund, warum es ihm so schlecht gehe, sei wohl, dass er zu wenig Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin genommen habe. Damit hat sich die gesamte Familie selbst therapiert, in den Apotheken ist das gegen Corona unwirksame Mittel ausverkauft. Verschrieben hatte es der Familie ein Arzt, ein Humanmediziner, kein Tierarzt. Später stirbt auch der Schwiegervater, nur Sohn und Mutter überleben. 

In einem anderen oberösterreichischen Spital ist die Prosektur voll, die Leichen müssen kurzzeitig am Gang abgestellt werden. Die Toten der vierten Welle, fast alle waren sie nicht geimpft. Am Tag vor der großen Corona-Demo in Wien tauchen Fotos eines Busses am Linzer Hauptbahnhof auf. ›Impfen ist Mord‹ steht auf der Frontanzeige, in den Telegram-Gruppen der Coronaleugner und Verschwörungsgläubigen wird die Aktion feixend als Erfolg abgefeiert. 

Was in Oberösterreich passiert, irritiert. Die Bilder und Schlagzeilen schockieren, erzeugen Wut und Verzweiflung. Und ganz Österreich fragt sich, wie es dazu kommen konnte und was anders ist, in diesem Bundesland. Politikexperten machen schnell aus, was die Infektionszahlen explodieren ließ: Der zurückliegende Wahlkampf, die populistischen Überlegungen der övp-fpö-Landesregierung – zu Ungunsten eines rechtzeitigen und stringenten Corona-Managements. Wer in Oberösterreich aufgewachsen ist, dort jahrzehntelang gelebt hat, weiß: Das ist nur eine Seite der unrühmlichen Medaille. Die Wurzeln der Krise in Oberösterreich reichen tiefer. Die Impfablehnung, die sich hier manifestiert, der radikalisierte Egoismus – sie kommen keineswegs aus dem Nichts. Sie werden auch nach dem vierten Lockdown weiterwirken. 

Dabei hätte man bereits in der zweiten und dritten Welle sehen können, dass in Oberösterreich etwas schiefläuft. Im November 2020 stellt der Bezirk Rohrbach im Mühlviertel einen neuen Negativrekord auf: Die höchste Sieben-Tages-Inzidenz in Österreich seit Pandemiebeginn. Währenddessen feiern viele Mühlviertler Garagenpartys. Man weiß, wohin man ausgehen kann und bei welchem Wirten zwar vorne ein ›Geschlossen‹-Schild hängt, hinten aber die Türe für die Locals aufgemacht wird. Das ›Vereinswesen‹ sei da vielleicht schuld daran, mutmaßt damals der Rohrbacher Bürgermeister. 

In den Weihnachtsfeiertagen 2020 ist es kalt in Oberösterreich, und Linzer wie Bewohner der angrenzenden Mühlviertler Gemeinden kommen mit ihren Kindern auf die Giselawarte, einen der Linzer Hausberge. Dort können die Kleinen prima Rodeln, und die Eltern warten derweil im Stadel des – wegen Lockdowns geschlossenen – ›Gis-Wirts‹, wo drei gut bestückte Bier-Automaten und ein paar Stehtische zum gemütlichen Verweilen einladen. ›Bitte Maske aufsetzen‹, steht auf einem Zettel beim Eingang, und ›Für Kleingeld bitte Glocke läuten‹. Die Aschenbecher sind prall gefüllt. Es gäbe keine ›zweite Welle‹, nur einen ›technischen Labor-Tsunami‹, hatten Ärzte aus Oberösterreich und Salzburg, etwa Petra Apfalter oder der Ex-ages-Chef Franz Allerberger, zusammen mit anderen schon Mitte September in den Lokalmedien verkündet. Ihre krassen Fehleinschätzungen halten sich teilweise bis heute. Im Herbst 2020 flattern, auch in Wien, Flugblätter in die Postkästen: ›Nein zum Impfzwang!‹ und ›corona-aufklaerung.tv‹ ist darauf zu lesen. Die Initiatorin: Edith Brötzner, Betreiberin einer Linzer Marketing-Firma und bald Testimonial der fpö und von Herbert Kickl. 

Oberösterreich ist nun in der fatalen Situation, nicht nur Hochburg der verschwörungsideologisch geprägten und strukturell klar rechtsradikalen Coronaleugner-Bewegung zu sein – sondern als erstes Land im gesamten deutschsprachigen Raum einen parteipolitischen Arm dieser Szene in einem Regional­parlament sitzen zu haben. Rund sechs Prozent der Stimmen bekam die Partei ›mfg – Menschen Freiheit Grundrechte‹ bei der Landtagswahl im September, nun verfügt sie über drei Mandate und über jede Menge Geld für den Aufbau bundesweiter Strukturen. 

Dass die Corona-Verharmloser vor allem im Inn- und Hausruckviertel viele Stimmen holen konnten, ist auffällig, aber für gelernte Oberösterreicher wenig verwunderlich. Wels, Grieskirchen, Ried im Innkreis, Schärding und Braunau – die Klein- und Mittelstädte sind Machtzentren der extremen Rechten. Auch die fpö hat hier eine starke, historisch gewachsene Basis. Schon lange vor 1938 grassierte besonders in diesem Teil Oberösterreichs ein radikaler Deutschnationalismus, von Linz bis Braunau entstanden zahlreiche völkische Mittelschulverbindungen, Beamte und Gewerbetreibende fühlten sich dem deutschen Reich Bismarcks und nicht den katholischen Habsburgern nahe. Man war ebenso rabiat antisemitisch wie anti-slawisch eingestellt. 

Wien, das ist nicht nur weit weg, sondern auch die Wurzel allen Übels für den Landstrich. Auch das hat in Oberösterreich Tradition: Kaum sonst wo wütete die katholische Gegenreformation so rücksichtslos wie hier, gab es so viel Repression gegen die stark vertretenen Protestanten. Die zahlreichen Bauernaufstände, das ›Frankenburger Würfelspiel‹ und Stefan Fadinger, das grausame Gericht der Habsburger über protestantische Aufrührer im 17. Jahrhundert, sind bis heute fester Bestandteil eines lokalen Gedächtnisses. Den Zusammenhang von Protestantismus, Gegenreformation, Deutschnationalismus und früher, wie ausgeprägter Affinität zum Nationalsozialismus hat der aus Schärding stammende Zeithistoriker Gerhard Botz in jahrzehntelanger Arbeit sozialwissenschaftlich nachweisen können. Es ist eine tiefsitzende, den Autoritäten und politischen Eliten in Wien misstrauende Grundhaltung, die viele besonders in diesem Teil Oberösterreichs prägt. Wir wollen unsere ›Freiheit‹, sind ›freiheitlich‹. Erzählen lassen wir uns nichts. Schon gar nicht von den ›Großkopferten‹ aus Wien. 

Anderswo, beispielsweise in Steyr, finden sich Hochburgen der Esoterik-Szene. Der Boom der völkisch-rechtsesoterischen Lais-›Schulen‹ in Oberösterreich nahm unter anderem in Steyr seinen Ausgangspunkt, die ›Alternativszene‹, Waldorf und Anthroposophie bieten eine hervorragende Grundlage zur Ausbreitung von verschwörungsideologischem wie von rechtsesoterischem Gedankengut. Und wer im Mühlviertel zu den allgegenwärtigen riesigen Granit-Findlingen wandert, der findet dort schon seit Langem nicht nur kleine Marterl und Kreuze, sondern esoterische Schautafeln, die über ›Kraftorte‹ und ›kosmische Energien‹, die man hier antreffen könne, informieren. Schleichend, aber stetig und über viele Jahre hat sich der Eso-Boom seinen Weg in den oberösterreichischen Mainstream gebahnt. 

Daraus entstand der harte Kern der in Oberösterreich so starken Szene, wie auch ihrer Partei, der mfg. Deren rascher Aufstieg mit anschließendem Wahlerfolg überraschte, verwunderte die österreichische Öffentlichkeit – und wäre dennoch frühzeitig zu erkennen gewesen. Dass es zahlreiche Oberösterreicher sind, die sich in den Schulabmeldungs- und ›Unschooling‹- wie auch in den Coronaleugner-Gruppen auf Telegram organisieren, wurde von der Öffentlichkeit ebenso ignoriert wie die ersten Treffen der entstehenden mfg-Partei. Und wer hinsah, wollte oder konnte das offensichtliche Radikalisierungspotenzial der Szene nicht erkennen. 

Dabei versuchten die mfg-Protagonisten und ihre Anhänger weder auf ihren Wahlveranstaltungen noch in den Telegram-Gruppen – dem Hauptinstrument der Mobilisierung – ihre rechtsradikale, verschwörungsideologische und wissenschaftsfeindliche Ideologie zu verstecken. Vor hunderten begeisterten Anhängern sprachen die Köpfe von mfg, wie etwa der schon mit Aidsleugner-Ideologie aufgefallene Gynäkologe Christian Fiala, von einer ›programmierten Autoimmunzerstörung der Zellen‹ durch die Corona-Schutzimpfung. Diese wird in mfg-Kreisen durch die Bank als ›Gentherapie‹ bezeichnet. Die Pandemie – von der Regierung benutzt, um das Volk in Angst und Schrecken zu versetzen, ein ›politischer Umbruch, Umsturz‹. Es sei leider so, es sterben Menschen, das sei halt das Problem, sagt Fiala – Zynismus und Menschenverachtung, gespeist aus einem radikalisierten Egoismus und Privilegienverliebtheit, wie sie die Szene dominieren, für jedermann zu sehen in offen zugänglichen Youtube-Videos, die noch heute online sind. Auf Telegram: Ein nicht enden wollender Strom aus Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Wissenschaftsfeindlichkeit – und massenhaft Links auf Beiträge rechtsextremer Medien. Wochenblick, Auf1 oder report24 – hinter vielen von ihnen steht Stefan Magnet oder seine Agentur ›Medienlogistik‹. Der Oberösterreicher war organisiert im rechtsex­tremen ›Bund Freier Jugend‹, ebenso wie Michael Scharfmüller, der Geschäftsführer von InfoDirekt, einer weiteren rechtsextremen Medienplattform aus Linz. In der Steingasse 6a hat sowohl die InfoDirekt-Redaktion Scharfmüllers als auch der ›Verein für basisgetragene, selbstbestimmte, pluralistische und unabhängige Medienvielfalt‹ von Obmann Magnet seinen Sitz. Von dort aus bearbeiten Scharfmüller und Magnet die oberösterreichische Öffentlichkeit, seit Beginn der Pandemie überschwemmen sie das Netz mit ihrer Anti-Impf-Propaganda und Verschwörungserzählungen. 

Für die linksliberale Bubble in Wien sind Wochenblick, InfoDirekt und all die anderen extrem rechten Medien ein rotes Tuch, aber etwas, das man aus der bequemen Distanz heraus analysiert und betrachtet. In Linz, in Wels und in anderen oberösterreichischen Städten liegt etwa der Wochenblick in Trafiken aus, hängt in Zeitungsständern auf der Straße neben der Krone – die sieht im direkten Vergleich zu den Zeitungen der Rechtsextremen schon fast wie ein Qualitätsblatt aus. Das Logo von Auf1, dem Internet-tv-Sender von Magnet, ist in Design und Farbe perfekt jenem der deutschen öffentlich-rechtlichen ard nachempfunden – wohl nicht ohne Hintergedanken. Das Medienangebot der Rechtsextremen wird von den meisten Oberösterreichern nicht als das erkannt, was es ist. Magnets Videobotschaften in der vierten Corona-Welle, in denen er über den Impfzwang hetzt und vom Aufstand redet, erreichen längst nicht mehr nur fpö- oder mfg-Kernklientel. Sie landen auf den Handys von Pensionisten und von Verunsicherten, die schon lange nicht mehr zwischen seriöser Information und der geschickt aufbereiteten Propaganda unterscheiden können – oder nicht mehr wollen. 

Dass Magnets ›Medienlogistik‹ von der oberösterreichischen Landesregierung für Aufträge gebucht wurde, fand jüngst das Profil heraus. Dass die rechtsextremen Medien seit Jahren Inseraten-Geld von fpö-Politikern, teils in hohen Ämtern und Funktionen der Stadt Linz oder des Landes, erhalten haben, ist seit Langem bekannt. Nirgendwo sonst in Österreich ist die extrem rechte ›Gegenöffentlichkeit‹ so eng mit der politischen Macht, mit der Landesregierung und dem fpö-Juniorpartner von övp-Landeshauptmann Thomas Stelzer verflochten wie in Oberösterreich. Ohne diese unheilige Allianz der vergangenen Jahre wäre der Erfolg der Verschwörungsideologen und Coronaleugner nicht möglich gewesen. 

Man wollte als stärkste Partei das Impfgegner-Milieu nicht der fpö und der noch extremeren mfg überlassen, das war das Kalkül von Thomas Stelzer und der oberösterreichischen övp. Aus populistischen Überlegungen heraus zögerte der Landeshauptmann, verzichtete auf das Corona-Thema wie auf entsprechende Maßnahmen, als die Infektionszahlen im Wahlkampf zu steigen begonnen hatten. In der Koalition im Linzer Landtag bröselt es trotzdem, der Spalt zwischen dem Kurs der Bundesregierung und den Positionen der fpö von Vize Manfred Haimbuchner – der nach seiner Corona-Erkrankung und dem Aufenthalt auf der Intensivstation ankündigte, sich impfen lassen zu wollen – wird immer größer. Das aber ist nichts, verglichen mit dem mfg-Problem, dem sich Stelzer – und bald wohl ganz Österreich – nun stellen wird müssen. Antworten scheint es keine zu geben. 

Es fehlen Institutionen, die als Ansprechpartner für Schulen, Kirchen, Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft dienen könnten. Selbst wenn das akute Infektionsgeschehen durch den Lockdown bald eingedämmt wird – die Impfpflicht, so nötig sie gerade in Oberösterreich ist, wird die Radikalisierung des verschwörungsideologischen Coronaleugner-Milieus noch vorantreiben. Die Konsequenzen werden erst die kommenden Jahre zeigen. 

Für die, die in den Krankenhäusern um Leben kämpfen, ist die Bedrohung akut. In den mfg-nahen Telegram-Gruppen werden Pläne gewälzt: Man müsse zeitgleich jeweils mit ein paar hundert Anhängern die Eingänge zu den Krankenhäusern blockieren. Mit Presseausweisen ausgestattet bis zu den Intensivstationen vordringen und dort filmen, die Wahrheit ans Licht bringen, über die große Lüge von den angeblich vielen Todkranken. Die Öffentlichkeit endlich aufrütteln. ›Impfpflicht-Gegner wollten ›sich ein Bild machen, berichtet darüber meinbezirk.at. Der Verfassungsschutz rückte aus, um die Krankenhäuser zu warnen, seitdem kontrolliert die Polizei vor Ort. 

Und während die Spitäler Polizeischutz brauchen, marschieren Tausende durch die Linzer Innenstadt, tragen Galgen mit Henkersschlingen und Plakate mit sich, auf denen steht: Wieso nicht gleich Mauthausen für Ungeimpfte?‹ 

Es ist, wie überall, eine kleine, aber laute Minderheit, die zunehmend aggressiver wird. Sie wird in den Krisen der Zukunft zu einer stetig wachsenden Herausforderung werden, der sich die gesamte Gesellschaft stellen wird müssen •