In der Gnadenrepublik

Über die lebensgefährliche Dominanz der Parteipolitik.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Dezember 2021

Was kann das Virus denn dafür, dass es politisiert ist? Nichts, außer dass es sich in einem Land verbreitet, in dem alles von A wie Arbeitsstelle bis Z wie Zuwanderung, von V wie Vereine bis V wie Virus, ausschließlich unter politischen, mehr noch, parteipolitischen Gesichtspunkten abgehandelt, entschieden, beurteilt wird. 

Auch dieses System wurde nicht erst jetzt erfunden. Es hat sich aber in der Geschichte der Zweiten Republik noch nie jemand ernsthaft bemüht, es zu ändern. Das rächt sich jetzt in dieser schweren und langen Krise. Österreich hätte in den letzten Wochen nicht in diese katastrophale Situation geraten müssen, wäre die Reaktion auf Corona nicht so sehr parteipolitisch getrieben gewesen. 

Wenn es nicht im Imageinteresse von Sebastian Kurz gewesen wäre, im Sommer die Pandemie für gemeistert zu erklären.

Wenn die Koalition aus övp und Grünen im Sommer die Alarmzeichen nicht übersehen, die Warnrufe nicht überhört hätte.

Wenn die övp in Bund und im Land Oberösterreich keine Rücksicht auf die Landtagswahl genommen hätte. Ein paar Kranke mehr, ein paar Tote mehr für ein paar Wählerstimmen mehr.

Wenn nicht Mitte November die Situation vollends eskaliert wäre und nach dem unfreiwilligen side step von Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht alles nur mehr mit der parteipolitischen Brille gesehen worden wäre. 

Nur wie kommt es, dass in einem Land, dessen Bevölkerung sich wahrscheinlich als unpolitisch (selbst) einschätzen würde, Politik eine so dominante und wie im ­aktuellen Fall fast lebensgefährliche Rolle spielt? Es ging und geht in Österreich nahe­zu bei allen Sachfragen meist nie um das eigentliche Thema, sondern immer um parteipolitischen Verlust oder Gewinn.­  

Die Antwort ist einfach. Die Fundamente der Zweiten Republik wurden von den zwei verfeindeten Parteien der 30er-Jahre, den Sozialisten und den Christlichsozialen, angeblich in den Lagerstraßen der Konzentrationslager des NS-Regimes gelegt. Danach wurden die Mauern mit Parteibüchern hochgezogen. Am Anfang also stand der gute Wille, Österreich nie wieder durch internen Kampf zu schwächen. Die Erzählung vom guten Willen nahm ihren Anfang.  

Sie brachte dem Land Ruhe, Friede, Wohlstand – um den Preis der Aufteilung des Staates in Einflusssphären der beiden Großparteien und der totalen Parteipolitisierung aller Lebensbereiche. Solange im wirtschaftlichen Aufschwung Arbeitsplätze vergeben und Karrieren abgesichert werden konnten, regte sich kaum Widerstand. In dieser Gnadenrepublik trafen sich die Interessen der Parteien und ihrer Klientel. 

Auf diese Art hat sich die Bevölkerung an das Primat der Parteipolitik gewöhnt. Es geht immer um die Agenda der Parteien, verborgen oder nicht. Die Zeiten hätten sich schon längst ändern sollen. Einstellungen dieser Art sind jedoch langwierig wie ein Virus.

Wer innerhalb der Mauern aus Parteibüchern sozialisiert worden ist, dessen Sehnsucht nach Sachpolitik ist unterentwickelt. Dem fällt die Ich-Bezogenheit der Parteien nicht weiter auf. Im Gegenteil: Er/Sie erkennt sich darin wieder.

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