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Marsch, Marsch!

Wie ein chinesischer Fotograf die Militarisierung seines Landes dokumentiert – und warum er dabei anonym bleiben will.

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Fotografie:
STRINGER / AFP / picturedesk.com
DATUM Ausgabe Oktober 2024

In Reih und Glied, mit großer Körperspannung marschieren die Schüler und Studenten im Sonnenlicht. Durch die ­Bewegungen im Gleichschritt wirkt das Bild wie ein gemusterter Stoff: In der Masse geht das Individuum unter, es wird ein­gewoben in die Fläche. 

Die Aufnahme vom 9. September zeigt neue Rekruten beim Formations­training und soll wohl das Vorhaben und die ­politische Message einer Gesetzes­änderung ­illustrieren. China verstärkt die Ausbildung im Bereich der Landes­verteidigung. Der kommunistische ­Ein-Parteien-Staat will das militärische Bewusstsein bei Oberstufenschülern und Studierenden verbessern, heißt es in einem Artikel der South China Morning Post, Hongkongs größter englisch­sprachiger Tageszeitung. Schulen und Unis müssen dafür sorgen, dass der Militärdienst als ehrenhaft ange­sehen und die Disziplin gestärkt wird, zitiert die Zeitung einen in staatlichen ­Medien veröffentlichten Entwurf. Begründet wird die Maßnahme mit inländischen und globalen Veränderungen.

Am Foto sieht man den Übungsplatz des nationalen Ausbildungszentrums für Verteidigung in Taicang in der ostchinesischen Provinz Jiangsu. Wer hat die Militärübung fotografisch festgehalten? ›Stringer/AFP‹ ist als Quelle angegeben. Im Foto­journalismus versteht man darunter lokale Freelancer, die für mehrere Agenturen und Medien arbeiten. Manchmal möchten Stringer ­anonym bleiben – etwa aus ­Sicherheitsgründen, zum Beispiel, wenn sie wie im Falle Chinas in einem autoritären Regime leben. 

China ist riesig, die AFP verfügt nicht über die Mittel, um im ganzen Land feste Fotografen einzustellen, erklärt Eric Baradat. Er ist bei der ältesten internationalen Nachrichtenagentur der Welt, der Agence France-Presse (AFP), für die Auswahl der Bilder und Grafiken zuständig. So hat AFP in Peking und Shanghai fixangestellte Korrespondenten. In den ländlichen Provinzen ist sie aber auf lokale Fotografen angewiesen. Das sei in den USA und in Russland ganz ähnlich, auch dort gebe es nur in den Großstädten fixe Partner. 

Warum er das Bild in die AFP-Datenbank aufgenommen hat? Die Stärke des Bildes liege in seiner geometrischen Komposition, sagt Baradat. ›Die Schatten auf dem Boden lassen die Fotografie wie ein Gemälde aussehen, und so erzählen die synchronen Bewegungen der Militär­rekruten die Geschichte einer marschierenden Armee und unterstreichen Gleichschaltung und Disziplin‹, meint er. ›Es ist ein wirklich gutes Bild, um den Aufbau der Volksbefreiungsarmee – so lautet die offizielle Bezeichnung – in unsicheren geopolitischen Zeiten zu beschreiben.‹ 

Dass die Soldaten hier als Teil einer perfekt geölten Maschinerie gezeigt werden, liegt bestimmt im Interesse der autoritären Regierung. Angst davor, Pekings Propaganda zu verbreiten, habe er aber nicht, sagt der Fotochef der Nachrichtenagentur. ›Wir zeigen nur reale Momente, die – obwohl von der chinesischen Regierung orchestriert – die militärische Kultur und den militärischen Aufbau in China demonstrieren.‹ Auch wenn sie Bilder von Militär­paraden – normalerweise aus Nordkorea – zeigen, sage er sich immer: War es Propaganda, die Nazi-Aufmärsche in Nürnberg zu zeigen? Oder war es eine Dokumentation der Geschichte? Baradat macht klar: Entscheidend ist für ihn die unabhängige und objektive Perspektive. Denn im Grunde erzähle auch Propaganda davon, welche ­politischen und sozialen Standpunkte ein Regime oder eine Gruppe vertritt. •

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