Mein Datum : 11. März 2011
Der Radioökologe Georg Steinhauser über den Atomunfall in Fukushima.
Als ich von der Nuklearkatastrophe im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi erfuhr, war ich gerade mit meiner Frau Kinderwagenzubehör kaufen, sie war schwanger mit unserem zweiten Kind. Ein Freund schrieb mir ein SMS und fragte : Muss man sich da Sorgen machen ?
Ich war damals 32 und am Atominstitut der TU Wien tätig. Am Tag zuvor hatte ich für eine Professur in Deutschland vorgesprochen – wissend, dass das noch zu hochgegriffen war. Ich hatte zwar einen guten Lebenslauf und eine schöne Publikationsliste, aber irgendwie dachte ich mir : Was ich jetzt bräuchte, das wäre ein neues Thema. Etwas, wo ich mich vertiefen kann, ein Spezialgebiet. Ich habe mir also am 10. März 2011 gewünscht, es möge doch ein neues Thema daherkommen. Und am Tag darauf kam es.
Heute muss ich ehrlich sagen : Fukushima war für mich ein Karrieremacher. Den ethischen Aspekt möchte ich dabei gar nicht ausklammern, darüber mache ich mir natürlich Gedanken. Immerhin bedeutete das, was für so viele Menschen eine absolute Katastrophe war, für meine Karriere einen gewaltigen Boost. Ohne Fukushima wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin, das muss man ganz klar sagen. Ich erhielt damals eine Professur in den USA, knüpfte rasch und viele Kontakte, und ein Jahr später hatte ich ein ganzes Prozent aller erschienenen Publikationen zu Fukushima (mit-)veröffentlicht.
Ich war insgesamt 13 oder 14 Mal in der Zeit im Bild. Ich überraschte damals viele mit der Aussage : Das kann kein zweites Tschernobyl werden. Das rief mitunter Unverständnis hervor. Doch zehn Jahre später hat sich meine Meinung nicht geändert, sie wird auch durch Forschungsergebnisse gestützt. Für die Japaner ist der 11. März nicht nur der Tag des Atomunfalls. Es ist vor allem jener Tag, an dem ein Tsunami beinahe 20.000 Menschenleben forderte. Unser Fokus auf das AKW wird dem Ausmaß dieser Tragödie nicht gerecht.
Ich war inzwischen dreimal in Fukushima, um Proben zu entnehmen und vor Ort zu forschen. Einmal brachte mich mein japanischer Kollege in ein damals eilig evakuiertes und heute verlassenes Altersheim. Es liegt auf einer Anhöhe mit Blick auf Meer und AKW und wurde vom Tsunami verschont. Darin stehen heute noch Tischkalender von 2011, aufgeschlagen auf der März-Seite.
Auch persönlich werde ich von diesem Datum gewissermaßen › verfolgt ‹. Nicht nur, dass mein bester Freund am 11. März Geburtstag hat. Wie es der Zufall will, wurde mir an der Uni Hannover auch eine Telefonnummer zugewiesen, deren letzte drei Ziffern lauten : 311. •
Zur Person:
Georg Steinhauser ist Professor für Radioökologie an der Leibniz Universität Hannover. Der gebürtige Wiener erforscht die Umweltauswirkungen der Katastrophen Tschernobyl und Fukushima.