Meine drei Stunden mit George W.
Warum man bei der Erinnerung an die Bush-Jahre fast schon sentimental wird.
Demut hat etwas Gewinnendes. Wer anderen mit Demut begegnet, kann immer auf ein gewisses Wohlwollen zählen, egal wie sehr einen das Gegenüber verteufelt. Das ist eine der Lektionen, die man aus George W. Bushs ›Masterclass‹ ziehen kann. Drei Stunden lang unterrichtet der 43. Präsident der Vereinigten Staaten auf der Videokursstreaming-Plattform jeden, der es wissen will, im Fach ›Authentic Leadership‹.
Für all jene unter uns, die George W. Bush im Reich der politischen Bösewichte beheimatet hatten – Afghanistan, Irak, Guantánamo, Abu Ghraib etc. – sind diese drei Stunden eine Prüfung der eigenen Erinnerung. Denn dieser Bush ist verdammt sympathisch. Kein Fundamentalist, kein Kriegsherr, der ohne UN-Mandat in andere Länder einmarschiert, nicht das leibhaftige Symbol westlicher Arroganz, der den Rest der Welt als eine große Sandburg begreift, auf die er nach Belieben einfach mal so reintritt. Nein, hier sitzt ein knuffiger alter Mann, der von Empathie spricht, der vor sich hin kichert, wenn er sich an die besten Momente erinnert, als er sich vor der Presse versprochen hatte, der sich nicht – wie sein Vorgänger Bill Clinton – im Masterclass-Parallelkurs zu ›Inclusive Leadership‹ als ›Präsident‹ Bill Clinton vorstellt, sondern einfach nur als: George W. Bush.
Ein bescheidener Typ halt. Ein Typ, der gekonnt tiefzustapeln weiß. Seine Demut ist entwaffnend, auch wenn sie nur gespielt ist. Aber sie wirkt. Zu meinem Entsetzen muss ich feststellen, wie schwer es mir fällt, diesen George W. Bush nicht zu mögen. Mir in Erinnerung zu rufen, wie schwarz und weiß er die Welt nach 9/11 gezeichnet hatte. Wie seine Regierung Folter als legitime Befragungsmethode rechtfertigte, mit welcher Leichtigkeit sie zuerst in Afghanistan und später in den Irak einmarschierte, mit der Lüge, dass es dort Massenvernichtungswaffen gebe. Eine Lüge, die der damalige Außenminister Colin Powell in einer Rede vor der UN ausführte und die er später als ›größten Schandfleck‹ seiner Karriere bezeichnete.
Nein, Bush war kein guter Präsident. Weder für die USA noch für die Welt. Und trotzdem empfindet man 2022 Wärme für diesen 76-Jährigen, wie er auf seinem Stuhl ein bisschen herumlümmelt, vollkommen selbstvergessen seine Biografie herunterrattert, der privilegierte Präsidentensohn, der Zeit seines Lebens immer nach oben gefallen ist. Wie er sich an seine erste Begegnung mit Wladimir Putin erinnert, der seinen Scottish Terrier Barney gedisst hat, und Bush es sich nicht anmerken ließ, wie sehr ihn dieser Diss verletzt hatte. Wie er, der Hobbymaler, im grauen Pulli selig Farben mischt, um anschließend voll kindlicher Freude Blumen vor sich hinzutupfen.
Spätestens dann kommt die bittere Erkenntnis, warum dieser Ex-Präsident, der mit seinem Image als Depp der Nation kokettiert, Wohlwollen auslöst, fast schon Sentimentalität.
Es ist der Wunsch, Amerikas republikanischem Wahnsinn in der Gestalt eines George W. Bush zu begegnen, weil er trotz allem – und es ist ein kleines trotz – die Möglichkeit eines zivilisierten Miteinanders aufrechterhält. Einer, der über sich selbst lachen kann, bei dem ist noch etwas zu holen. Einer, der behauptet, nicht alles zu wissen, kann noch lernen. Einer, der sagt, dass eine freie Presse wichtig ist, hat noch irgendwo einen politischen Kompass. ›Die Geschichte wird mich beurteilen‹, sagt er am Ende einer Unterrichtseinheit. Diese Geschichte wird gnädig mit ihm ins Gericht gehen. Trotz allem. Dafür hat seine Partei gesorgt. Bösewichte vom Kaliber eines George W. Bush waren gestern. Und es deprimiert, das zu bedauern. •