Multipler Vertrauensverlust

·
Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Oktober 2021

Eine Zahl sagt mehr als eine Seite Text. Minus 27 Prozent. Noch nie hatte ein Finanzminister, soweit er­innerlich, einen so schlechten Wert im Vertrauensindex wie Gernot ­Blümel (ÖVP). Im Gegenteil. Seltsam hohe Po­pu­laritätswerte waren meist die Norm. Das war besonders bei jungen, smarten Amtsinhabern so. Blümel müsste man ­eigentlich dieser Kategorie zurechnen. Was also geschieht gerade ?

Zum einen ist der Vertrauensentzug durch Verhalten, Fehler in der Amtsführung und eine gewisse Überheblichkeit selbstverschuldet. Das wäre die oberflächliche Erklärung. Sie reicht nicht als Begründung aus, warum einem Finanzminister, der wie keiner vor ihm die verunsicherte ­Bevölkerung mit dem Slogan ›Koste es, was es wolle‹ beruhigen wollte, das Vertrauen entzogen wird. Stärker als zu anderen Zeiten kommt jetzt die Gegensätzlichkeit des Poli­tischen und Gesellschaftlichen zum Vorschein.

Politik und Staat werden pa­radoxer­weise in der Vorstellung vieler gerade in Zeiten der Krise nicht in Einklang gebracht: Der Politik wird misstraut, vom Staat jedoch absoluter Schutz und ausreichend Kontrolle verlangt. Blümel mag unpopulär sein, sein Füllhorn jedoch ist sehr willkommen. Der Regierung schlägt zunehmend Argwohn entgegen. Vom Staat hingegen werden ständig Interventionen in allen Bereichen verlangt. Es ist ein Widerspruch, den sich die Be­völker­ung selbst eingestehen müsste.

Er kann nur durch zivilgesellschaftliches Engagement, Leistungsfreudigkeit statt -feindlichkeit und Einsicht in die eigene Betroffenheit aufgelöst werden.
Er trifft aber nicht nur die Po­litik, sondern gerade jetzt auch die Wissenschaft. In normalen Zeiten stehen Forscher, Ärz­te, Universitätsangehörige ganz oben
im Vertrauensindex. Je länger jedoch die Krise andauert, desto geringer wird das Vertrauen in die Wissenschaft, finale Lösungen für die Covid-Plage zu finden. Auf der einen Seite. Auf der anderen wissen die meisten Menschen sehr wohl, wenn auch nur intuitiv, dass ohne Forschung und Wissenschaft keine Erleichterung zu erwarten ist. Die spektakulär rasche Produktion von geeigneten Impfstoffen, einzig und allein der Wissenschaft geschuldet, wurde freudig begrüßt. Alles schien möglich. Jetzt zieht man nicht nur in den Zirkeln der Verschwörungsfreunde ihre Erfolge in Zweifel, ist aber gleichzeitig von weiteren ­solchen Erfolgen abhängig.

Dieser Wider­spruch lässt sich nur durch Aufklärung breiter Schichten auflösen. Das wäre die Aufgabe der Medien. Sie können sich traditionell nicht auf viel Vertrauen verlassen. Digitalisierung und die Ausbreitung der Sozialen Medien, die Mühelosigkeit in der Verbreitung falscher Nachrichten, haben es weiter erschüttert. Der Abhängigkeit von Aufklärung und Information steht eine abgrundtiefe Skepsis gegenüber. Sie kann nur durch konzertierte Anstrengung der Medien selbst überwunden werden.

Multiples Organversagen entsteht durch eine Vergiftung im Körper. Multipler, also vielfacher Vertrauensverlust kann zur Vergiftung der Gesellschaft führen. Vor allem, wenn er in mehreren Bereichen gleichzeitig auftreten sollte. •

Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:

Bei Austria-Kiosk kaufen