Nach dem Sturz
Die Assad-Diktatur ist zuende. Nun leben die Bewohner von Damaskus zwischen Angst vor den neuen Herrschern und dem zaghaften Aufbau ihres Alltags.
Der rechteckige schwarze Samsung-Monitor im Wohnzimmer von Salmas Elternhaus zeigt nun vier Quadrate – statt nur einem wie zu den Zeiten, als Baschar al-Assad noch Präsident war. Scharfe Kamerabilder in blassen Farben: Die baumgesäumte Straße vor dem Haus. Die rostrote Metallpforte. Die sandfarbenen Steinfliesen der Terrasse. Die schräge Vogelperspektive auf die Wohnungstür. Stumme Beobachter eines Lebens im Viertel Al Mezzeh im Südwesten der syrischen Hauptstadt Damaskus, an dem Salma seit zehn Monaten nicht mehr teilnimmt. Aus Vorsicht. Aus Angst.
Weder Familienname noch Fotos sollen deshalb gedruckt werden, sonst könnten die neuen Machthaber die Familie erkennen.
Im Februar, sagt Salma, habe sie ihre Arbeit verloren, weil sie eine Frau ist. Kurz darauf bedrohten uniformierte Männer, die sie nicht zuordnen kann, ihren Vater, einen ehemaligen General der syrischen Armee. Der habe bereits 2008 seine Uniform gegen einen marineblauen Adidas-Trainingsanzug des Ruhestands getauscht, Jahre also vor Ausbruch der Revolution. Dennoch, sagt Salma: Ihre Familie soll 100.000 Dollar zahlen. Oder ihr Vater werde umgebracht. Weil er Alawit und damit Unterstützer Assads gewesen sei. Salma weiß: ›Kameras schützen uns nicht, egal ob wir ein Bild haben oder vier. Wenn sie kommen wollen, dann kommen sie.‹
Nun beginnt der Tag der 45-Jährigen mit dem Wecken ihrer drei Kinder. Ihr langes, dunkles Haar hat sie mit einem Gummiband gebändigt, schwarze Leggings, schwarze Bluse, unter ihren Augen tiefe Schatten. So sitzt sie auf dem ausladenden Sofa, das neue Zentrum ihrer Welt, die auf der Terrasse endet. Weiter hinaus geht Salma nicht. Sogar im Schlaf, sagt sie, fürchte sie sich.
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