Neurosen aus Beton

Wenn in Österreich Denkmäler errichtet oder verändert werden, dann meist nur so, dass sich möglichst wenige Menschen darüber aufregen. Gerade für die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist das der falsche Zugang.

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Fotografie:
Stefan Fürtbauer
DATUM Ausgabe November 2022

Inmitten einer Hitzewelle Ende Juni steht eine Gruppe britischer Holocaustüberlebender aus der zweiten Generation vor der Shoah-Namensmauer in Wien. Als sie unter den Steintafeln nach den Namen ihrer ermordeten Verwandten suchen, ist das einzig hörbare Geräusch das Knirschen des Kieses unter ihren Füßen. Eine der Überlebenden hat das Tagebuch ihrer Großmutter mitgebracht und hält es an die Mauer. Im Beisein der Überlebenden ist die emotionale Kraft dieser Gedenkstätte unbestreitbar.

Vor über 20 Jahren hat der Künstler und Holocaustüberlebende Kurt Yakov Tutter erstmals die Errichtung eines Namensmauer-Denkmals für die in der Shoah ermordeten Juden aus Österreich gefordert. Nachdem der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy im Februar 2018 bei der Konferenz ›An End to Antisemitism‹ zur Errichtung einer Gedenkmauer in Wien aufrief, legte die türkis-blaue Regierung einen Monat später einen Vorschlag dazu vor. Nach einem Streit mit der Stadt Wien über den Standort des Mahnmals sowie die Aufteilung der Kosten dafür, wurde die Gedenkstätte im November 2021 im Ostarrichipark eröffnet.

Die Eröffnungsfeier fand zwei Monate nach der einer anderen Namensmauer in Europa – des vom Promi-Architekten Daniel Libeskind entworfenen Holocaust-Namensmonuments in Amsterdam – statt. Libeskinds Gedenkstätte besteht aus vier hebräischen Buchstaben, die von oben den Satz ›zur Erinnerung an‹ bilden. Ebenerdig, wenn man das versenkte Mahnmal betritt, findet man sich in einem eckigen, verwirrenden Labyrinth wieder, das von zwei Meter hohen Ziegelwänden flankiert wird. Auf den Ziegelsteinen stehen die Namen der 102.000 Holocaustopfer aus den Niederlanden geschrieben.

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