Schenken Sie ein Jahr Lesefreude! Mit dem DATUM-Weihnachtsabo.

Nicht schon wieder

Warum Martin Kocher als Arbeitsminister eine herbe Enttäuschung war.

·
Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe September 2024

Endlich! Ein Seufzer der Erleichterung. Er galt Martin Kocher, dem Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), nach seiner Berufung als Arbeitsminister in die Bundesregierung im Jänner 2021. Endlich jemand mit Kompetenz an der richtigen Stelle. Endlich jemand, an dem es nichts zu kritisieren gab. Ein Quereinsteiger ohne Parteibuch, ein Experte par excellence. 

Was für eine Erleichterung. Allzu oft war da in den letzten Jahrzehnten bei Berufungen in diverse Regierungen die Hoffnung, man würde sich täuschen; der erste negative Eindruck möge trügen, die professionelle Deformation zu übermäßiger Kritik verführen. Bei Kocher hingegen war Applaus angesagt. Nach etwas mehr als drei Jahren Amtsführung steht jedoch fest: Dieses Mal hat man sich wirklich getäuscht – nicht in seiner Kompetenz, nicht in seinem Wissen, nicht in seiner Kommunikationsfähigkeit, aber in seiner Durchsetzungsfähigkeit als parteifreier Arbeits- und Wirtschaftsminister. 

Womöglich ist das ungerecht. Vielleicht hat sich Kocher, der Wirtschaftsfachmann, hinter den Kulissen bemüht, in Zeiten der Pandemie vor den Folgen der ›Koste-es-was-es-wolle‹-Politik zu warnen; im Jahr 2022 seine Reform des Arbeitslosengeldes mehrheitsfähig in der Koalition zu machen und nicht locker zu lassen; im Jahr 2023 auf seinem Vorschlag, die Bildungskarenz zu ändern, zu beharren. Vorne an der Rampe aber entstand der Eindruck, als ginge er achselzuckend vor der Parteipolitik von ÖVP und Grünen in die Knie. Nach seiner Nominierung als Gouverneur der Nationalbank steht Kocher nun auch da als jemand, der sich einen der Spitzenjobs der Republik zu sichern wusste – durch Wohlverhalten in der Regierung? Kocher hätte es nicht notwendig, auch nur in die Nähe solcher Vermutungen zu kommen; sich dem Verdacht auszusetzen, der Parteipolitik vor der Sachpolitik den Vorzug zu geben. Er ist wie kaum ein anderer qualifiziert für die Nationalbank.

Und dennoch: Aus dem Seufzer der Erleichterung ›Endlich‹ wurde ein ›Nicht schon wieder‹.  Wieder wurde die Chance vertan zu beweisen, dass Politik auch abseits der fantasielosen Parteilinien praktiziert werden kann. Wieder hat ein eigentlich Unabhängiger seine Stärke nicht ausgespielt, um unter Androhung seines Rückzugs wenigstens das Wesentliche seiner Reformen durchzusetzen. 

Die Berufung Kochers in die Nationalbank kann ob seiner Qualifikation nicht als klassischer Postenschacher gelten. Sie wird in der Öffentlichkeit aber als solcher gesehen. Das fatale Erbe eines Fachmanns nach seinem Ausflug in die Politik. Den Parteien beweist es, dass sie niemanden mit aufrechtem Gang zu befürchten haben; eventuell Ambitionierten, dass sich ein Engagement in der Politik auszahlt, wenn man ein gekrümmtes Rückgrat in Kauf nimmt. 

Nicht zum ersten Mal, aber so deutlich wie selten zuvor, bekam ein Quereinsteiger das Primat der Partei zu spüren. Auch zukünftige Willfährige oder Glücksritter werden so an der negativen personalpolitischen Auslese in der Politik nichts ändern. •

Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:

Diese Ausgabe als ePaper für € 6,00 kaufen